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Auf-Erstehungen und Inferno-Landschaften

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Uraufführungen von Marc André und Nikolaus Brass bei der Münchner Musica Viva
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Der Herr Professor ärgert sich. Seit einem Jahrzehnt leitet der Komponist Udo Zimmermann die traditionsreichen Münchner Musica-Viva-Konzerte, die unmittelbar nach dem Krieg, im Jahr 1947, vom Komponisten Karl Amadeus Hartmann ins Leben gerufen wurden. Allein in Zimmermanns Amtszeit fanden hier weit über hundert Uraufführungen statt, mehr als drei Dutzend deutscher und europäischer Erstaufführungen. Doch im überregionalen öffentlichen Bewusstsein haben viele dieser Novitäten nicht stattgefunden, weil es an der publizistischen Verbreitung fehlt.

Dem will Zimmermann nun abhelfen. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das als interpretatorisches Zentrum die Musica Viva trägt, hat drei andere Rundfunksinfonieorchester sowie einige kleinere Ensembles vom 25. Januar 2008 an zu einem Festival eingeladen. Ein Bericht folgt in der nächsten Ausgabe.

Gleichsam als Ouvertüre zum Festival gab es im November 2007 die 3. Musica-Viva-Veranstaltung der laufenden Saison mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Johannes Kalitzke. Auf dem Programm: Uraufführungen von Mark André und Nikolaus Brass, als deutsche Erstaufführung das Konzert für Klavier und Orchester (2007) von Georg Friedrich Haas. Marc André präsentierte sich mit seinem neuesten Werk als Meister kompositorischer Ökonomie: Drei Anfragen nach einem neuen Stück beantwortete er mit einem einzigen Werk in drei Teilen, womit alle drei Auftraggeber mit jeweils einer Uraufführung befriedigt wurden. Marc André bezeichnet sein Werk als Triptychon und gab ihm den Titel „… auf …“ was mehrdeutig zu verstehen ist: als Wort-Zitat aus einem Satz oder als Teil eines einzelnen Wortes. Die Teile „… auf … II und III“ wurden bereits in Baden-Baden durch das Ensemble Modern Orchestra unter Boulez (Teil II) beziehungsweise in Donaueschingen (Teil III) mit dem SWR Sinfonieorchester unter Sylvain Cambreling aufgeführt. Das Eingangsstück (Teil I) bei der Musica Viva komplettierte jetzt den Zyklus. Zyklische Aufführungen sind für das Jahr 2009 in Berlin, Paris und Brüssel geplant.

Mit „… auf …“, das sich auf das Wort „Auferstehung“ bezieht, verbindet sich für den Komponisten auch eine religiöse Thematik. Gleichwohl schrieb André kein religiöses Werk, vielmehr interessierten ihn die Übergänge, die Transformationen, die sich spirituell mit dem Begriff „Auferstehung“ verbinden. Das wird in den Teilen II und III auf faszinierende Weise in „Klang“ sozusagen „übersetzt“. Klangräume öffnen sich, gleiten, wie über Schwellen, ineinander über. Jeder einzelne Ton hat Bedeutung, gewinnt gerade in der Stille eine bannende Intensität. Der erste Teil von „… auf …“, mit zwölf Minuten Spieldauer der kürzeste des Triptychons, wirkt, speziell im Rückblick auf die vorangegangenen Abschnitte, wie ein behutsames Entree zum dann Folgenden.

Zwei Klaviere im Orchester, zwei ebenso dort postierte Harfen, ein reich besetztes Schlagwerk, ein ebenso üppiges Bläserensemble mit sechs Hörnern, jeweils vier Posaunen und Trompeten, Tuba, mehrfach besetzten Holzbläsern sowie entsprechend vielen Streichern erlauben eine Vielzahl von Klangkombinationen und Klangschöpfungen, die das Thema vom „Übergang des Todes in das Leben“ in den „reinen Klang“ überführen. Das Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Johannes Kalitzke näherte sich dem Werk mit dem gehörigen Respekt, doch im Vergleich zum Ensemble Modern Orchestra unter Boulez wollte es doch scheinen, dass Marc Andrés Klangstrukturen noch plastischer und konturierter dargestellt werden könnten.

Das Gegenbild zu Andrés „inneren“ Klangerkundungen fertigte der 1949 geborene Nikolaus Brass mit seinem „L’Inferno – Landschaft für Orchester“. Die „Landschaft“ präsentiert sich als eine Art orchestrale Klangskulptur. In vier Gruppen werden die Instrumente in ungewöhnlichen Kombinationen auf dem Podium angeordnet. Ein ständiges Hin und Her der Klänge und kompositorischen Wendungen, gegenseitige Spiegelungen, ein reich differenziertes Reagieren aufeinander erwecken beim Hörer den Eindruck des Unbestimmten, Ungesicherten, schwer Durchschaubaren. Man darf das sicher auch als kritische Implikation sehen: Ein gesellschaftlicher Zustand wird in Klängen abgebildet. Eine gewisse Äußerlichkeit ist dabei nicht zu überhören. Aber in seiner expressiven Vehemenz zeigt das „Inferno“ durchaus anspringende Wirkung.

Beim Klavierkonzert von Georg Friedrich Haas, schon beim diesjährigen „Wien modern“-Festival zu hören, wird von vornherein die Erwartungshaltung gegenüber dem Komponisten erfüllt. Die Halbtöne auf dem Klavier befriedigen ihn nicht, er braucht alles, was dazwischen klingt: Ober- und Mikrotöne. Die liefert das Orchester. Auf Thomas Larchers vehement herausgeschleuderte Klavierpassagen „antwortet“ das Orchester mit hochdifferenzierten Klang-Farben-Spielen. Das macht zwar Effekt, wirkt auf Dauer aber auch ein wenig monochrom. Auf jeden Fall ist Beat Furrers vor kurzem in Köln uraufgeführtes Klavierkonzert das zwingendere Beispiel für den Versuch, den Klavierklang zu intensivieren, das Orchester als Resonanzraum des Soloklaviers einzusetzen. Furrers Klavierkonzert wird beim Musica-Viva-Festival vom Sinfonieorchester des Westdeutschen Rundfunks auch in München vorgestellt. Spannend sind beide Werke, weil sie im Rahmen des klassischen Begriffs „Klavierkonzert“ neue kompositorische Inhalte formulieren.

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