Kein grüner Wald und keine Trachten, keine deutsche Gemütlichkeit und kein pittoreskes Brauchtum. Im Straßburger „Freischütz“ sind die Bäume rot und nur auf Kulissen gemalt. Das Preisschießen zu Beginn wird im Paintball ausgetragen. Das Volk trägt rote und blaue Militär-Overalls und Schutzbrillen. Von Beginn an machen die Regisseure Jossi Wieler und Sergio Morabito klar, dass sie die deutsche romantische Oper gegen den Strich bürsten.
Der Schatten einer Drohne, der schon zur Ouvertüre auf dem digitalen Vorhang zu sehen ist, kündet von Überwachung. Zur Wolfsschlucht-Szene flimmern Luftaufnahmen von militärischen Kriegseinsätzen über die Szenerie (Video: Voxi Bärenklau). Kaspars Freischüsse als Perfektionierung des Tötens? Killerdrohnen als Werkzeug des Teufels, der in der Oper Samiel heißt und mit kalter Technik-Stimme spricht? Künstliche Intelligenz als Gefahr? Die Regisseure, die als Intendant und Chefdramaturg gemeinsam mit der damaligen Operndirektorin und jetzigen Straßburger Intendantin Eva Kleinitz die Stuttgarter Oper prägten, machen ein großes Thema auf, bleiben damit aber auf halber Strecke stecken. Ihre Grundidee wird mehr behauptet als aus dem Stoff entwickelt. Es fehlt die Konsequenz in der Inszenierung, es fehlt auch jede Bedrohlichkeit. Die bewusste Verfremdung des Stoffes wird nicht durchgehalten. Die mal monoton dahergeleierten, mal in einem Art Singsang gesprochenen Dialoge machen aus den Figuren Karikaturen. Max wird zum Volltrottel, Ännchen zum selfiesüchtigen Girlie mit Glitzerjogginghose (Ausstattung: Nina von Mechow). Manche Arien bleiben aber ganz ohne szenische Brechung und erzählen etwas ganz anderes über die Figuren.
Das Orchestre symphonique de Mulhouse entwickelt unter der Leitung von Patrick Lange eine größere emotionale Bandbreite – von ungetrübter Folklore bis zu düsteren, bedrohlichen Stimmungen, wenn sich in der Ouvertüre schon das Dunkle breit macht und der Streicherklang geschärft wird. Gerade die Verbindung zwischen beidem wie im Eingangschor mit dem markanten „He, he, he“, wenn aus dem lustigen Volk eine bedrohliche Masse wird, zeigt das Orchester mit großer Genauigkeit, während in Straßburg die Choristen mit ihren Paintball-Gewehren dazu tanzen wie in der Disco. Auch der Jägerchor, den einst Peter Konwitschny in seiner gefeierten Hamburger Inszenierung genüsslich filettierte und in seiner Hohlheit entlarvte, wird von Wieler und Morabito szenisch verschenkt, wenn die Anzugträger ein bisschen pantomimisch herumballern und die in Fantasy-Kostüme gesteckten Brautjungfern dazu posen.
Die szenischen Herausforderungen schlagen zudem auf die musikalische Qualität: Im Unisono sind die Chorsänger deshalb nicht zusammen, weil sie ein Sperrholzhaus wegschieben müssen. David Steffens als präsenter, über genügend Schwärze verfügender Kaspar und Josefin Feiler als glockenhelles, aber dennoch strahlkräftiges Ännchen sind die Highlights im Solistenensemble. Lenneke Ruiten (Agathe) und Jussi Myllys (Max) entwickeln eher lyrisch grundierte Interpretationen, denen im Dramatischen ein wenig die Wucht fehlt. Mit Frank van Hove (Kuno) und Roman Polisadov als Eremit sind die tiefen Partien solide besetzt. Am Ende gibt es weiße Rosen für die verstörten Protagonisten. Ob das nach dem Probejahr etwas wird mit Max und Agathe, darf bezweifelt werden. Und auch Ännchen sieht nicht glücklich aus.