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Foto: Cornelia Ptassek, Michael Baba. Foto: © Hans Jörg Michel
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Auf Sand gebaut – „Der ferne Klang“ am Nationaltheater Mannheim

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Im Vorschauheft dieser Spielzeit war für die letzte Premiere der Saison, „Der ferne Klang“, noch kein Regisseur benannt. Die zwischenzeitlich engagierte Tatjana Gürbaca stellt in ihrer Inszenierung zwei Akte lang eine Menge Rätsel auf – die sie dann auch im dritten Akt nicht beantwortet.

In einem leeren Raumgeviert als Eltern-, Freuden- und Opernhaus, im Schlussakt auf rotierender Drehscheibe, werden diverse Filmzitate von Hitchcock bis Lynch herangezogen, die bestenfalls dem entsprechen, was der Mannheimer GMD Dan Ettinger symptomatisch für Franz Schrekers Partitur benennt, „Die Kunst der Unschärfe“.

Die erste Partitur Franz Schrekers, für welche der Komponist auch als sein eigener Librettist verantwortlich zeichnete, nimmt in seinem Oeuvre einen besonders langen Schaffensprozess ein. Tatsächlich ist die im dritten Akt im Theater auf dem Theater aufgeführte Oper, von der nur Fetzen ans Ohr des Zuhörers dringen, so etwas wie das künstlerische Konglomerat der ersten beiden Akte dieser Opernhandlung, welche dem jungen Komponisten Fritz als männlichen Haupthandlungsträger das Leben vorschreibt. Diese beiden Akte der Oper „Die Harfe“ kommen beim Publikum an – während der dritte, eben noch nicht gelebte Akt von Fritz’ Werk durchfällt.

Die junge Grete, von der Fritz im ersten Akt Abschied nimmt um in der Welt seinen ersehnten fernen Klang zu suchen, ist in der Mannheimer Inszenierung gewandet wie Dorothy im „Zauberer von Oz“ (Kostüme: Silke Willrett), und wie dort im Film fliegt die Holzhütte als ihr Liebesnest in den Himmel davon; dafür rieselt dann viel Sand und auch einiger Glitzer herab (Bühne mit verdeckten Auf- und Abgängen: Marc Weeger). Auf diesen Sand baut die weibliche Hauptfigur ihr künftiges Glück, welches ihr eine Kupplerin verheißt. Die Rehe, die der fortgelaufenen Grete in Schrekers Szenenanweisung in der nächtlichen Waldszene begegnen und die sie als Teil eines zauberischen Naturbildes davon abhalten, sich zu ertränken, sind hier bereits – in Goldpaillettengewändern und mit Tierköpfen – ihre Kolleginnen des Bordells La Casa di Maschere. In diesem, sich pausenlos anschließenden Akt begegnet die Protagonistin, nun als gefeierte Luxushure Greta, ihrem Jugendgeliebten wieder, sie verspricht sich ihm als Preis für die Erzählung seiner Erlebnisse seit ihrer Trennung, aber er beschimpft sie als „Dirne“ und stößt sie von sich.

Einem Gespräch im Programmheft ist zu entnehmen, dass die Regisseurin die ersten beiden Akte als „inneres Erleben [...] in Gretes Kopf“, als einen „Traum, den sie über ihr Leben träumt“, versteht. Das Sofa, auf dem die Gäste des Wirtshauses „Zum Schwan“ den Wirt hereintragen, welcher Grete als Spieleinsatz ihres versoffenen Vaters gewonnen hat, bildet auch den Mittelpunkt der Bordellszene, die als choreographische Gesamtbewegung ins Bild gesetzt ist. Grete, weiter im grünen Kleidchen, trägt nun eine Reiherkrone, die auch für des Grafen Lied von der glühenden Krone dient.

Im dritten Akt probt im rotierenden Karree ein Regieassistent die Szene des Abschieds aus dem ersten Akt mit einem singenden Darsteller des Opernensembles und einem stummen Double der Grete, und im Video ist dieselbe Szene mit jungen Doubles des Liebespaares in der Natur zu erleben. Nun wird klar, warum Grete mit Kreide „Feuer“ auf die sich hebende Hütte geschrieben hatte, denn ihr Freund schüttet einen Benzinkanister über die Stätte der jungen Liebesbegegnung. Als potenzielle Schlussmöglichkeiten sieht der Zuschauer auf der filmischen Ebene (Video: Thilo David Heins) einerseits Grete als Wasserleiche, andererseits das romantisch gemeinsam über die Felder entschwindende Liebespaar. Á la „Psycho“ hat der Sängerdarsteller des Fritz zu Beginn des dritten Aktes Gretes grünes Kleid an und hält ihre roten Haare als Perücke in der Hand. Aber die Sterbeszene wird idyllisiert, indem Gretes entsetzte Ausrufe eliminiert sind. 

Auch sonst wurde in den melodramatischen Szenen textlich einiges verändert, teils geglättet (wie auch auf den verkürzten deutschen Übertiteln), teils sprachlich zugespitzt, – insbesondere im Dialog Gretes mit ihrer Mutter (Petra Welteroth).

Die von Schreker intendierten Mehrfachrollen sind im großen Ensemble berücksichtigt, ergänzt durch einige ungewöhnliche Koppelungen, wie die von Wirt und dem Komponisten-Freund Rudolf (Sebastian Pilgrim) und die von Gretes Vater und dem Baron (Sung Ha). Der Schmierenkomödiant und Schauspieler (Raymond Ayers) ist als Graf ein Russisch Roulette-Spieler.

Trotz eines vom Intendanten angesagten Schnupfens der Hauptdarstellerin, singt und spielt Cornelia Ptassek die Grete (auch Greta und Tini) sauber, eindrucksvoll und mit liebenswerter Mädchenhaftigkeit. In seiner Maske, mit langen Haaren und dunkler Hornbrille, soll Fritz offenbar an den jungen Neutöner Bernd Alois Zimmermann gemahnen. Michael Baba stemmt die extreme Tenorpartie, im ersten Akt unter völligem Verzicht auf Piani, mit so viel Kraft, dass ihm die hohen Passagen sämtlich wegrutschen. Ungewöhnlich dramatisch packt Juhan Tralla die (gekürzte) Partie des Chevalier und die Charaktertenorrolle des zweifelhaften Individuums an. Als Pendant zum Alten Weib, der Kupplerin, die Edna Prochnik mit satter Stimmgebung altistisch und gefährlich verkörpert, macht die Regisseurin aus dem Winkeladvokat Dr. Vigelius einen teuflischen Priester, was Bartosz Urbanowicz grotesk ausspielt.

Eigenleben in dieser Version erlangt eine gleich von mehreren Darstellern eingesetzte Schere als Waffe – aber die Schnitte in der Partitur halten sich in Grenzen.

Mit deutlicher Barenboim-Attitüde gibt sich dessen langjähriger Mitarbeiter, GMD Dan Ettinger, der von seinem Lehrmeister auch die Schärfe der Lesart, die Akkuratesse im Zusammenspiel und musiktheatrale Stringenz übernommen hat. Konkrete Klangvermittlung mit unvermittelte Reibungen sowie bisweilen gespenstisch wirkende Rückungen lassen in Ettingers Lesart eigene Deutungsebenen hervortreten. Allerdings wünschte man sich auf einer so breiten Bühne, wie der des Nationaltheaters Mannheim, die Bühnen- und Fernorchester direkt zu erleben, wie es selbst an kleineren Häusern, etwa dem Theater in Augsburg, erfolgreich praktiziert wurde. Hier wirken die anderen Orchester und auch der konzertante Fernchor leider nur wie Zuspielungen aus der Konserve.

Die auf den ersten Blick engagierte, sich aber insgesamt als unentschieden und verworren erweisende szenische Lesart ließ die meisten Zuschauer im nicht ganz ausverkauften Theater ratlos. Dennoch gab es am Ende für alle Beteiligten herzlichen Beifall.

  • Weitere Aufführungen: 12., 15., 28. 7., 3., 28. 10., 11., 20. 11. 2015

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