Alexander Strauch hat sich durch das verlängerte Februar-Wochenende der Münchner musica viva Saison 2014/2015 durchgehört. Seine Stationen: Harry Partch, Frank Zappa, Mate Bella, Rebecca Saunders und Vinko Globokar.
Vom 19. bis 21. Februar veranstaltete die „musica viva“ des Bayerischen Rundfunks ein kleines Festival mit drei Konzerten: zuerst präsentierten sich Solisten der Sinfonieorchesters des Bayerischen Rundfunks mit Kammermusik in der Allerheiligenhofkirche. Tags darauf zog man nur ein paar Meter um die Ecke weiter in den Herkulessaal, das Stammhaus der Konzertreihe. Als ob man einen Parcours zwischen den bisher ab- wie angezählten Alternativen für aktuell verunmöglichte Konzertsaalneubauten oder von höchster Freistaatsstelle unmöglich geplante Philharmonieertüchtigungen hinlegen sollte, fand man sich zuletzt am Fuße des Gasteigs, schräg gegenüber der Insel des Deutschen Museums in der Muffathalle wieder. Oder war dies erlebte Wanderschaft, das unausgesprochene Motto dieses Wochenendes?
Harry Partch
Fabulieren bayerische Spitzenpolitiker in Sachen ihrer dilettantischen Konzertsaalverfänglichkeiten zum Frühstück von „Weltniveau“, fabrizieren andere dieses leibhaftig nach dem Abendbrot: die Musikfabrik Köln brachte zum Abschluss der drei Tage ihre „Wunderharfen“, ihre Nachbauten der Harry-Partch-Spezialinstrumente erstmals in München zum Erklingen. Mit „And on the Seventh Day Petals fell in Petaluma“ erlebte man exemplarisch noch nie gesehene Zithern, Schlaginstrumente und Orgeln von Duetten bis hin zum Septett, die in Partchs „Just-Intonation“ gestimmt sind, eine besondere Art der „Reinen Stimmung“. Manchmal vermisste man in rhythmisch unterkomplexen Momenten die grobkörnig-rauen Gesänge von „Delusion of the Fury“, zu denen dieses Werk eine instrumentale Vorstudie ist. Aber die eigentlich nur mit der Magengrube wahrnehmbaren zweistelligen Bass-Frequenzen der utopisch riesigen „Marimba Eroica“ oder das Flirren der „Blue Rainbow“-Zither machten das wieder wett. Wann bringt die Musikfabrik das rituelle Musiktheater „The Bewitched“ an die Isar?
Frank Zappa
War Partch in den 30er-Jahren obdachlos, weshalb man ihn „Maverick“ nannte, ein Prärierind, hieß man genauso Frank Zappa als Wanderer zwischen Rock und zeitgenössischer Musik. Er verursachte in diesem Konzert wippende Füße und überkandidelten Jubel. Durchaus verständlich, wenn man die musikantische Spielfreude der Musikerinnen und Musiker der Musikfabrik in Betracht zieht, mit der sie ihr enormes virtuoses Potential voll ausfahren konnten. Allerdings wirkt dies ohne Zappa in Person wie erkalteter Kaffee: was einmal Provokation aller Musikszenen war, in denen er sich bewegte, ist heute nur Staubwedelattacke und kleinsinfonischer Jazz.
Mate Bella
Ein ähnliches, typisch Münchner Applausunglück war tags zuvor im Konzert des Sinfonieorchesters des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Peter Eötvös zu erleben, der mit seiner Stiftung auch den Kompositionsauftrag „Lethe“ für Streicher von Mate Bella mit der musica-viva ko-kuratierte. Ohne Zweifel ist dieses Stück sauber instrumentiert, Tan-Dun-Chinoiserie, Boulez-Zwölfton-Pflicht und Ligeti-Flächen-Kür bis hin zur Lachenmann-Copy-Cat „1A“ erfüllt. Letztlich aber schmeckte es nur wie ein mit Senf aufgehübschter Pausenkitzler vom Vortag. Nichts gegen seinen Grand-Prix-d'Eurovision-Song. Aber diese exemplarische Neue-Musik-Neoklassik, wird auch nicht durch Bellas Jugendlichkeit entschuldigt.
Rebecca Saunders
Rebecca Saunders‘ „Alba“ für Trompete solo – hier mal wieder unübertroffen Marco Blaauw, der im Musikfabrikkonzert auch mit Georg Friedrich Haas‘ Solo „I can't breathe“ elegisch brillierte – und Orchester war dagegen gelungener in seiner Monochromie: die changierenden Klänge des Soloinstruments, die Weltraum-Sheng der Streicher-Akkordeon-Mixturen, die permanent klirrenden Autofedern, die Tuttifokussierungen des Solisten und die Übergänge zwischen all diesen Zuständen erzeugten ein weißes Rauschen, als hätte man direkt in die gleißende Corona einer Sonnenfinsternis geblickt.
Vinko Globokar
Mit elektronischem Rauschen grundierte auch Vinko Globokar die intensiveren Bläserklänge seiner Kantate „Exil 3 – Das Leben des Emigranten Edvard“. Mit einem Klang, der erstaunlicherweise an den Klarinettenschrei zur Eröffnung von Brian Ferneyhoughs „Shadowtime“ erinnerte, startete die Wanderung des slowenischen Arbeiters Edvard, vom Komponisten selbst textiert, durch Peter Handke übersetzt und von Bruno Ganz vorgelesen, von karstigen Feldern in staubige Kohleminen und über dampfende Arbeiterkantinen zurück ins kostenlose titoistische Bildungssystem. Das wirkte überaus lebensfroh und kollidierte seltsam mit den expressiv vertonten Exil-Texten von Ovid bis Brecht. Gerade daraus zog das Stück seine musikalische Abwechslung und spielte schillernd mit Vertreibung und Familienglück, egal in welcher Zwickmühle der Emigrant auch gerade stecken mochte. Als bald nach einer freien Improvisation des Kontrabassklarinettisten Michael Riessler, der Schuhe ausziehenden Koloratursopranistin Piia Komsi, des Sprechers Ganz und des in einem Bretterverschlag versteckten Globokars der Chor des Bayerischen Rundfunks das alte „Za sirnim daljinim oceanom“ anstimmte, was jedem Sonnenuntergang einer alpenländischen Heimatsendung die letzte Prise Kitsch verabreicht hätte, zeigte sich Globokar als Meister genau kalkulierter Emotionen, machte er wahrhaft „Bella Figura“ zum Abschluss dieses Abends.