Das älteste Mozartfest Deutschlands feiert in Würzburg seinen 100. Geburtstag und seinen Namensgeber mit einem opulenten Programm: 85 Konzerte an 30 Orten, Uraufführungen, Ballettpremiere, Rahmenprogramm, Bücher, CDs, Musikwissenschaftliche Publikationen und das MozartLabor. Die neue musikzeitung befragte Intendantin Evelyn Meining zum Jubiläumsprogramm 2021.
neue musikzeitung: Wie halten Sie die Spannung aus zwischen Planung & Booking und Pandemieverordnungen?
Evelyn Meining: Welche Pandemieverordnungen? All jene, die mit einem großen Vielleicht im Raum stehen? Wird es anerkannte Teststrategien für den Kulturbereich geben? Abstandsregeln bei den Saalplänen oder doch nach oben gedeckelte Besucherzahlen? Werden die Hotels unsere Orchester und Musiker beherbergen und unsere Konzertbesucher? Gibt es anderen Einlass für Geimpfte als für Nicht-Geimpfte? Wir haben detailliert mitgeteilt, warum solche komplexen Festivalbetriebe nicht mit wenigen Tagen Vorlauf den Motor einer Saison anschmeißen können – und los geht’s. In der Jubiläumssaison stecken drei Jahre intensivster Arbeit. Die Programmzusammenstellung ist nur ein Aspekt dabei. Dazu kommt das Management betreffend Spielstätten, Kooperationen, Sponsoring und Fördermittel samt Antragsverfahren, PR und Marketing, Medien, Publikationen, Verträge, Rechtsfragen und Genehmigungsverfahren, Dienstleister für Aufbauten, Ton, Licht, Bestuhlungen, Catering, Saisonkräfte, Ticketing, Hotels, Künstlerreisen, Reisegruppen und vieles mehr. Wir hatten auf mehr Klarheit und bundesweite Einheitlichkeit in den diversen Verordnungen gehofft. Wobei ich auch ganz deutlich sagen möchte, dass die Stadt Würzburg uns in jeder Hinsicht unterstützt. Fakt ist, dass wir alles tun und bis zur Erschöpfung arbeiten, damit so viel Musik wie möglich für unser Publikum stattfinden kann und die Künstler wieder auftreten können. Damit, wie Hermann Hesse mit Blick auf Mozart sagt, „die Welt einen Sinn hat“.
nmz: Das Mozartfest ist kein Uraufführungsfestival. Aus Anlass der Hundertjahrfeier wurden dennoch etliche symphonische sowie auch kleinere Auftragsarbeiten vergeben. Mit welchem thematischen Impetus sind Sie an die jeweiligen Komponisten herangetreten?
Meining: Im Rahmen von sechs Konzerten wird es Uraufführungen geben: drei Orchesterwerke, eine literarische Arbeit (von Ulla Hahn) sowie Lieder und Klavierstücke. Mozart: Das ist auch die Verpflichtung zu Neuem! 100 Jahre Mozartfest bedeuten gleichermaßen Rückschau, Standortbestimmung und einen Blick in die Zukunft. So wird zum Beispiel Isabel Mundry nach Würzburg kommen und in einem Think-Tank drei Tage lang mit jungen Komponistinnen und Komponisten über Mozarts Musik diskutieren: Was bedeutet sie für unser heutiges Musikverständnis? Wo ist sie uns nah? Wo ist sie uns fern? Es geht um Annäherungen und neue ästhetische Formen kulturellen Erinnerns. In diesem Sinn habe ich auch unsere Auftragsarbeiten vergeben.
nmz: 100 Jahre Mozartfest – das schließt das Feiern mit ein. Und zum Feiern gehört der Ort: Welcher Ort passt zu welcher Musik und zu welchem Publikum und zu welchem Künstler?
Meining: Seit seiner Gründung 1921 ist das Mozartfest geprägt von einer ambitionierten Bürgerschaft. Hochkultur und internationale Spitzenmusiker mit ihren künstlerischen Wahrheiten werden ergänzt durch Angebote und Formate, die „barrierefreien“ Zugang zur Klassik bieten. Dazu würde ich unbedingt die „Nachtmusiken“ im Hofgarten der Residenz zählen, aber auch die musikalisch-literarische Wanderung entlang des Nikolausberges und diverse Kooperationen mit Würzburger Institutionen. In der Jubiläumssaison kommen Dutzende Aktionen über und für Mozart aus der Stadtgesellschaft dazu: ein Ideenwettbewerb unter dem Motto „100 für 100“, der enorme Wirkung entfaltet hat. Einzelpersonen, Vereine, Schulen, Unternehmen, Institutionen haben – generationenübergreifend und unabhängig von Vorkenntnissen – mit unglaublicher Fantasie und Kreativität ihre persönlichen Mozart-Wahrheiten in Aktionen übersetzt. Vom Koffé Mozart bis zu anspruchsvollen KI-Forschungsprojekten der Universität, von der Schulaufführung bis zum Klangkunstprojekt. Das Mozartfest definiert sich über seine Pole, die sich nicht als Gegensätze verstehen, sondern einander ergänzen: Die hochherrschaftliche Residenz und die Fußgängerzone, das klassische Sinfoniekonzert und experimentelle Elektroniksounds, lässige Loungeformate und intellektuelle Diskurse.
nmz: Seit Anbeginn Ihrer Intendanz gibt es das MozartLabor im Kloster Himmelspforten. „Wie viel Mozart braucht der Mensch?“ heißt die Laborfragestellung 2021. Gibt es da eine Einschätzung Ihrerseits?
Meining: Die Frage und das Format einer Vortragsreihe haben wir übrigens schon lange vor Beginn der Corona-Pandemie entwickelt. Unser Subtext hieß und heißt: „Europas Musikerbe zwischen Werte- und Haushaltsdebatte“. Eine Reihe herausragender Wissenschaftler aus unterschiedlichen Fachdisziplinen hat sofort zugesagt, darunter aus dem Bereich der Literatur Peter-André Alt, dann der Musikwissenschaftler und Dirigent Peter Gülke, der Romanist Hans Ulrich Gumbrecht und der Theologe Christoph Markschies. Dass dem Thema durch Corona eine beängstigende Aktualität zugewachsen ist, hat interessante Aspekte zutage gefördert: Von allen Führungspersönlichkeiten aus der Politik, bei denen wir angefragt hatten, bekamen wir eine Absage. Das waren immerhin sechs Personen.
Was sind Kunst und Kultur uns wert? Wie steht es um die geistige Verfassung unserer Gesellschaft? Soll es für die mentale und emotionale Versorgung keine Intensivmedizin geben? Wie es sich für das MozartLabor gehört, gibt es ein speziell ausgearbeitetes Stipendienprogramm für 28 junge Menschen, die zu den Wochenenden der Vorträge eingeladen sind und die sich von den Schnittstellen zwischen ästhetischer Erfahrung und kritischem Diskurs anregen lassen können.
nmz: Welche Epochen und Wandlungen in 100 Jahren Festivalgeschichte scheinen Ihnen besonders bemerkens- und hervorhebenswert?
Meining: Die Krisensituation der Pandemie konfrontiert uns in neuer, ungeahnter Weise mit Grundfragen des Seins. Vieles, was wir sicher, verfügbar und unantastbar glaubten, ist zutiefst erschüttert worden. Das Mozartfest blickt zurück auf ein Jahrhundert bewegter deutscher Geschichte. Es wurde 1921 im gesellschaftlichen Chaos nach dem Ersten Weltkrieg gegründet und nach der totalen Zerstörung Würzburgs im Zweiten Weltkrieg 1951 erneut aus der Taufe gehoben – als Initiative in die Zukunft, ein Akt der Besinnung und Selbstfindung, der damals natürlich auch mit Verdrängung zu tun hatte.
Unabhängig von solchen Schichtungen wird man sagen können: Mozarts Musik war und ist geeignet, den Menschen Orientierung zu geben, „aufrecht im Wandel der Zeiten“, wie Carl Flesch das in den Zwanzigerjahren formulierte. So war es damals, so ist es heute. Deshalb wird es genauso wie 2020 auch 2021 ein Mozartfest geben – trotz aller Einschränkungen und Hürden, die wir bis dahin noch überwinden müssen.
Das Gespräch führte Andreas Kolb