Eine einfallsreiche Umsetzung Offenbachscher Frechheiten durch die Regisseurin Isabel Hindersin hat unsere Kritikerin Ute-Schalz-Laurenze am Stadttheater Bremerhaven erleben dürfen, obwohl man von dem Gesungenen kein Wort habe verstehen können. Mit dem Philharmonischen Orchester und dem Opernchor Bremerhaven unter der Leitung von Hartmut Brüsch konnte man sogar einem Uraufführungskritiker folgen, der sagte „Diese Musik könnte Tote erwecken.“
„Verhaltensmaßregeln während des Anhörens: Man vergesse jede Haltung. Man schaukele hin und her … nach Belieben. Übrigens setze man eine verlegene Miene auf und hänge den linken Daumen, der es gar nicht mehr aushält, in den Achselausschnitt der Weste; den rechten in die Hosentasche. Man sage: Verrückt! Und lächle dabei mit verständnissinnigem Behagen“. Das war 1880 in einem Buch zu lesen, in dem Verhaltensmassregeln gegenüber verschiedenen Komponisten vorgeschlagen wurden: diese galt Jacques Offenbach, der in Paris mit seinen „Opéras Bouffes“ eine neue und einzigartige Gattung des Musiktheaters schuf. Mit der Satire über die dekadente Bourgeoisie im Gewand des antiken Mythos Orpheus und Eurydike gelang ihm 1858 der Durchbruch: scharfsinnig, gnadenlos, ausgelassen und witzig hielt er der Gesellschaft des zweiten Kaiserreiches (Napoleon III.) den Spiegel vor.
In Bremerhaven gelang das jetzt der Regisseurin Isabel Hindersin, die alle Voraussetzungen für eine einfallsreiche Umsetzung für Offenbachs Frechheiten mitbringt: sie ist Sängerin, Schauspielerin im Theater, Film und Fernsehen, Regisseurin und Professorin für szenischen Unterricht an der UdK Berlin. Sie zauberte mit einem permanent lustvoll wirbelnden Ensemble eine kluge und kurzweilige Unterhaltung. Eurydike ist genervt und vor allem gelangweilt von ihrem langweiligen Ehemann, dem langweiligen Geiger Orpheus mit seiner langweiligen Musik, von dem sich Mädels Autogramme holen. Und erliegt der körperlichen Attraktivität des Imkers Aristaos, der eigentlich Pluto, der Gott der Unterwelt ist. Victoria Kunze zelebriert das mit halsbrecherischen Koloraturen und Konstantinos Klironomos umwerfend. Und auf der „Götterseite“ tobt der Frauen verbrauchende Jupiter, verkleidet sich zwecks der Annäherung an Eurydike in eine Fliege und wird am Ende in seiner ganzen lächerlichen Autorität durch den Aufstand der Götter ausgezogen (Marcin Hutek) und schnell wieder angezogen, weil die „öffentliche Meinung“ aufpasst, den Schein zu wahren. Diese kommt immer von oben und trägt ein Zeitungskleid, wodurch die Verinnerlichung ihrer Gesetze durch die Gesellschaft gut deutlich wird (Boshana Milkov). Unschlagbarer Wirbelwind war Sidney Gabbard als Cupido, deren wilde und lustige Energie wie das zentrale Gewürz dieser ganzen Produktion wirkte.
Dazwischen wuselt der unschlagbare Hans Neblung als queerer, stockbesoffener Styx, dem Diener Plutos, und erntet berechtigten Applaus für sein aktualisiertes Arkadienlied. Und auch in der Gestaltung der Schlussgesellschaft mit dem weltberühmten CanCan lassen die Regisseurin und die Bühnen- und Kostümbilderin Dietlind Konold ihren Ideen für eine durchgeknallte „queer“-Party mit viel Lack und Leder freien tobenden Lauf. Da braucht man schon die Empfehlung von 1880. Und zusammen mit dem Philharmonischen Orchester und dem Opernchor unter der Leitung von Hartmut Brüsch, konnte man sogar einem Uraufführungskritiker folgen, der sagte „Diese Musik könnte Tote erwecken“. Oder auch Friedrich Nietzsche folgen „Dieser Hanswurst Offenbach erreicht in fast jeder seiner Bouffonerien Augenblicke übermütiger Vollkommenheit“. Entspechender Jubel und standing Ovations. Schade war lediglich, dass es keine Übertitel gab, denn von dem Gesungenen versteht man kein Wort. Dass man durch die klaren Dialoge trotzdem gut folgen konnte, ist kein Argument.
- Weitere Aufführungen: 17.2. um 19.30, 19.2. um 15.00, 2.3. und 4.3. um 19.30, 12.3. um 15.00, 28.3. und 6.4. um 19.30, 9.4. um 15.00, 19. und 29.4. um 19.30.