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Aus der Kunst der Fuge zur Kunst aus den Fugen

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Zu den Ittinger Pfingstkonzerten von Heinz Holliger und András Schiff
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Abseits der Metropolen und ihren zahlreichen Pfingstkonzerten präsentierte sich heuer zum fünften Mal das von Heinz Holliger und András Schiff konzipierte, künstlerisch höchst anspruchsvolle Festival in der Kartause Ittingen, einem großzügigen Ort konzentrierter Einkehr, landschaftlich malerisch zwischen Winterthur und St. Gallen, nah am Bodensee gelegen. Die Ittinger Pfingstkonzerte gehören zum Kreis des Internationalen Bodensee-Festivals. Zu dem diesjährigen Thema der Konzerte: „Aus der Kunst der Fuge bis zur Kunst aus den Fugen“ gesellte sich ein zweites Programmmotiv: András Schiff und Heinz Holliger, dessen 60. Geburtstag am 21. Mai nicht passender im Kreise seiner Freunde und der Musik hätte gestaltet werden können, versuchten aufzuzeigen, welche Berührungspunkte von Bach, Mozart, Haydn, Schubert und Schumann zu Komponisten des 20. Jahrhunderts wie Janácek, Berg, Webern, Carter, Kurtág und dem Jubiliar Holliger zu hören sind. Durch geschickte Programm-„Komposition“ brachte man sie in sich wechselseitig durchdringende Konstellationen. Das machen mittlerweile viele Festivals, aber so stimmig und konsequent wie in Ittingen erlebt man dies selten. Es gab nie reine Klavier- oder Streichquartett-Konzerte, sondern immer Kontrapunktierungen verschiedener Instrumentierungen und Jahrhunderte übergreifende Kombinationen. Wohl selten bekommen die Schubertschen vierhändigen Märsche sowie sein Allegro a-Moll „Lebensstürme“ solch starke Ausdruckskraft, werden sie mit den Miniaturen von Webern und Berg für Streicher und Klavier in einem Programm vereint. Hier eine episch lange Form von Ausdruckskunst, dort die Verkürzung auf nur wenige Takte. In einem anderen Konzert konnte man das Hilliard Ensemble mit höchst komplexer Vokalpolyphonie von Antoine Brumel und Machaut hören, daneben nicht minder komplexe, kanonisch konzipierte Werke von Elliott Carter, die auf einmal höchst sinnlich ein- und zugänglich erschienen. In diesem Konzert gab es auch eine Uraufführung von György Kurtág, ein Stück für Englisch Horn für den Jubiliar Heinz Holliger. Ein weiteres Konzert verknüpfte Mozarts selten in der Originalfassung zu hörendes Adagio c-Moll und Rondo C-Dur (KV 617) für Glasharmonika und Ensemble sowie das Quintett Es-Dur (KV 452) mit den Bläserquintetten von Heinz Holliger und György Kurtág. In diesem Kontext schien es um so schlüssiger, daß Schiff das Mozart-Adagio h-Moll (KV 540) auf dramatisch aufwühlende Weise interpretierte und dem Stück eine besondere Bedeutung gab. Ähnliches geschah in dem Konzert mit späten Haydn-Quartetten und Holliger/Carter-Stücken, in dem das singuläre Quatour Mosaïques die Ausnahmestellung des ersten Wiener Klassikers unterstrich, der sich in diesen Werken als experimentierfreudigster Komponist entpuppte. Zu Beginn und am Ende, als Klammer sozusagen, wurde das Motto „Aus der Kunst der Fuge bis zur Kunst aus den Fugen“ sinnfällig präsentiert. Man spielte nicht Bachs gesamte „Kunst der Fuge“, über dessen Gestalt und Instrumentierung es sowieso keine eindeutige Klarheit gibt, sondern einzelne Sätze in Streicher-, Klavier- und Bläserfassungen und konfrontierte sie mit aufgelösteren Klavierstücken von Bartók („Mikrokosmos“) und Kurtág („Spiele“). Das Motto von der strengsten musikalischen Satzform bis hin zur Auflösung in Klangwolken konnte eindrücklich nachvollzogen werden in Holligers Stücken wie seinem Quintett und den „Liedern ohne Worte“, oder in dem Flötenstück „Sonate (in)solit-(air)re“, dessen polyphone Virtuosität brillant von Felix Renggli umgesetzt wurde. Es war beeindruckend, wie das Publikum musikalische Stile und Zeiten überbrückende Konzerte mit ihren dichten und langen Programmen äußerst konzentriert mitverfolgte und der Alten wie Neuen Musik enthusiastischen Beifall zollte. Dies ist der Qualität der Aufführungen, aber auch der Autorität der Programmacher zuzuschreiben und demonstrierte, wie „einfach“ und selbstverständlich Zeitgenössisches präsentiert werden kann. Ein zentrales Konzert mit Werken von Schumann und Holliger wurde der emotionale Höhepunkt der Pfingstkonzerte. Man weiß, wie hoch Schiff und Holliger den Musiker Robert Schumann schätzen. Das Programm mit Schumanns „Nachtstücken“, Holligers quasi romantischen Liederkreis „Beiseit“ nach Gedichten von Robert Walser, Schumanns Steichquartett a-Moll, Holligers Nachtstücke „Elis“ und zum Abschluß das Thema mit Variationen Es-Dur „Geistervariationen“, das letzte Werk von Robert Schumann, unterstrich dies nachdrücklich. „Beiseit“ fügte sich nahtlos an die Schumannstücke an, und die glasklar gestaltete und emotional aufwühlende Ausführung, vor allem des Countertenors David James, wurde enthusiastisch gefeiert. Nach der Pause geschah ein kleines Pfingstwunder. Nachdem das Quatour Mosaïques einen entschlackten, rhythmisch prägnanten Schumann gespielt hat, tauchte Schiff in das Nachtklang-Stück „Elis“ voller Farben und Nuancen ein. Aus der Klangwolke am Ende heraus entwickelten sich übergangslos die unheimlichen „Geistervariationen“ mit ihren in sich kreisenden, glasig-wässrigen Tongirlanden, die kein Ziel und kein Ende finden. Schumann hatte sich während der Komposition in den Rhein gestürzt und nahm die Arbeit später in der Heilanstalt nicht wieder auf. Robert Walser dichtet einmal: „Ich mache meinen Gang; / der führt ein Stückchen weit / und heim; dann ohne Klang / und Wort bin ich beiseit.“ Zuerst stand dort am Ende „befreit“. Diese Wirkung hinterließ nicht nur das Holliger/Schumann-Konzert, sondern die ganze Pfingstzeit in der Kartause Ittingen.

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