Ratefreund und Hoffegut langweilen sich: der eine will mehr Macht, der andere hat Sehnsucht nach Schönheit und Liebe. Ratefreund erinnert sich, dass die Menschen einst sich die Vögel unterworfen haben. Man könnte sie ja aufstacheln, sich die Macht umgekehrt zurückzuholen. So hat es sich bereits Aristophanes um 400 v. C. in seinem Stück „Die Vögel“ ausgedacht und so heißt auch die 1920 uraufgeführte Oper von Walter Braunfels.

„Die Vögel“ am Staatstheater Oldenburg. Foto: Stephan Walzl
Aus Schmerz wird Schönheit – von der Machtübernahme der Vögel in Walter Braunfels’ „Die Vögel“ in Oldenburg
Braunfels, ein damals neben Ernst Krenek und Richard Strauss viel gespielter Opernkomponist, ist in Vergessenheit geraten: in der Nazidiktatur als „entartet“ verboten, war in den Fünfzigerjahren kein Platz mehr für seinen spätromantischen, neoklassizistischen Stil. Wie sehr zu Unrecht, beweisen jetzt unter anderem einige Aufführungen seiner Oper, die nach dem enormen Uraufführungserfolg damals bis 1933 über 50 Mal aufgeführt wurde. Das Staatstheater Oldenburg führte jetzt in der Regie von Holger Potocki und unter der musikalischen Leitung von Hendrik Vestman das Werk zu einem bejubelten Erfolg.
Potocki gelang es, die absurde Handlung in zwei glaubwürdige „Lager“ menschlichen Verhaltens zu überführen: bei Ratefreund die Gier nach Macht unter dem Deckmantel der Suche nach Kunst und bei Hoffgut die Sehnsucht nach einem anderen, einem schöneren Leben, nach Liebe. Während Ratefreund nach einem gewaltigen Auftritt Prometheus’ – der vor der kommenden Götterstrafe warnt – sich beugen muss, genießt Hoffegut seine nicht mehr tötbare Erfahrung mit dem unbeschreiblichen Gesang der Nachtigall. Zunächst gelingt den beiden die aufwiegelnde Manipulation: „Aushungern könnt Ihr die Götter!“: Die Vögel bauen ihre Stadt zu hochgepeitschter Musik: Ein Häuschen ist das Symbol, für den Bau brauchen sie „Kraniche aus Libyen“.
Richtig austoben kann sich da die Ausstatterin Lena Brexendorff, besonders bei den Vogelmasken. Entsprechend inszeniert – weil zu starr – ist das im ersten Teil nicht, im zweiten schon. Paraderollen alles: Arthur Bruce als Ratefreund gestaltet einen wirbelnden und wütenden, auch unangenehm besserwissenden „Reformer“ – auch im makellosen Gesang. Jason Kim verleiht dem sehnsüchtigen Hoffegut differenzierte und zarte Töne, die er am Schluss mit berührender Liebe zu seiner Nachtigall ausfüllen kann. Hauptfigur der Oper und Star des Abends aber ist – natürlich – die Nachtigall von Penelope Kendros. Sowohl über das unendlich ausgeweitete Singen – das sehr an die berühmten Frauenstimmen von Richard Strauss erinnert – als auch über das zarte Spiel der historischen Figur – die mythologische Nachtigall hat ihren Sohn Ithys verloren und je größer der Schmerz, desto größer und betörender erfindet sie ihre Melodien – kann man Hoffegut verstehen, dass er das nie mehr vergessen wird: „Ich habe gelebt!“
Die Bilder Potockis vermitteln Aktuelles: etwa die populistische Hetzrede von Ratefreund. Und sie vermitteln als eine Hoffnung der Menschheit das Scheitern von Diktaturen – aber auch gleichzeitig das Gegenteil. Es ist die doppeldeutige Qualität des schon 1913, also am Vorabend des Ersten Weltkrieges, konzipierten Stückes, die Potocki meisterhaft ausarbeitet, da muss er gar nichts aufgesetzt interpretieren. Großen Anteil daran hat auch die musikalische Wiedergabe durch das Oldenburgische Staatsorchester, das Hendrik Vestmann ebenso überlegen aufwühlte – gewaltig geradezu die Katastrophe der Niederlage der Vögel – wie es zart und still werden ließ. Die Spannung ließ über zweieinhalb Stunden nicht nach: begeisterter und auch betroffener Beifall. Oldenburg ist aufs Neue eine Reise wert.
- Weitere Aufführungen: 28.1., 2. und 7.2., 2. und 9.3., 14. und 26. 6.
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