An Rostocks Hochschule für Musik und Theater (HMT) ist am 1. Dezember nach achttägiger Dauer das nunmehr 9. „Brücken“-Festival für Neue Musik in Mecklenburg-Vorpommern zu Ende gegangen. Veranstalter war der Verein für Neue Musik in MV, der es in Verbindung mit dem Landesverband MV des Deutschen Komponistenverbandes und der HMT Rostock erneut geschafft hatte, ein so attraktives wie überzeugendes Programm in durchgängig hervorragenden Interpretationen anzubieten.
Beides zu sichern ist so selbstverständlich nicht. Allerdings besitzt spiritus rector Peter Manfred Wolf, Hochschul-Professor für Musiktheorie/Tonsatz und Komposition sowie Begründer dieses Festivals (2004) Erfahrung, Enthusiasmus und Durchsetzungsvermögen genug, um Abstriche am vorstellbar Optimalen nicht zuzulassen.
Was eindrucksvoll zu beweisen war! Und dies wieder mit den bewährten drei Bereichen: composer in residence, renommierte Gastensembles und die landeseigene, Komponisten wie Interpreten erfassende Neue-Musik-Szene. Wolfs Fazit fiel durchweg positiv aus. Es untermauerte den Erfolg eines nicht ohne Mühen durchgehaltenen Konzeptes, das die HMT in einem dafür eher weniger prädestiniert erscheinenden Territorium zum Hort Neuer Musik hat werden lassen und dieser damit gleich auch noch das Prädikat des Unverzichtbaren verlieh.
„Idealfall Rostock“
Jörg Widmann, nach Huber, Kagel, Sandström, Lachenmann, Smolka, Hölzsky, Döhl, Rihm und Ruzicka nun diesjähriger composer in residence, bestätigte das aus eigener Sicht, indem er seiner Begeisterung für das von großer Offenheit, Begeisterungsfähigkeit und künstlerisch hoher Qualität getragene Festival keine Zügel auferlegte und gar vom „Idealfall Rostock“ sprach. Dies schien – auch im Hinblick auf herausragende studentische Leistungen – nicht nur deshalb glaubhaft, weil innerhalb von acht Tagen und in 14 Konzerten 23 seiner Kompositionen aufgeführt wurden und sich drei Vorträge mit Spezifika seines Schaffens befassten (Prof. Dr. Jan Philipp Sprick, Marinus Jan Ruesink, Prof. Peter Manfred Wolf). Widmann hatte zudem reichlich Gelegenheit, als Vortragender und Diskutant, instruktiver Probenbegleiter und – nicht zuletzt – fabelhafter Klarinettist (Mozart, Weber, Widmann) viel von dem deutlich werden zu lassen, was ihn als Komponisten bewegt – die hier hinsichtlich intensivster Ausdrucksstärke sicht- und spürbare Symbiose von Komponieren und Interpretieren eingeschlossen. Und es war wohl der Glücksfall vieler persönlicher Begegnungen und durchweg hochkarätiger Aufführungen, die ihn abschließend von einer für ihn wichtigen, ja „außergewöhnlichen“ Woche in Rostock sprechen ließen. Wer sie miterlebte, kann das nur bestätigen.
Da gab es den sensationellen Auftakt mit dem auch in zwei Meisterkursen tätigen Kölner Minguet-Quartett und allen fünf Streichquartetten Widmans (Claron McFadden, Sopran) sowie das kammermusikalisch „bunte“ Porträt-Finale mit dem Freiburger ensemble recherche und Sarah Wegener (Sopran). Dazwischen positionierte man ein weiteres, sieben Kammermusiken Widmanns bietendes Komponisten-Porträt mit dem neophon-Ensemble (Konstantin Heuer) - eine studentische Neugründung an der HMT von mittlerweile professionellem Niveau – und das Hochschulorchester (Prof. Christfried Göckeritz) unter anderem mit der fulminant vorgetragenen Konzertouvertüre „Con Brio“ – meiner „Liebeserklärung an Beethoven“ – so der Komponist.
Ferner präsentierten sich das seit Jahren äußerst verdienstvoll agierende und für die Neue-Musik-Szene in MV unersetzliche Ensemble mv-connect (Ulrike Mai) und die Streicher der Norddeutschen Philharmonie Rostock, die mit den Extremanforderungen von Widmanns „Insel der Sirenen“ und der „Ikarischen Klage“ ausgezeichnet zurechtkamen (GMD Florian Krumpöck, Triin Ruubel, Violine).
Herausragend auch fabelhaft musizierte Soloprogramme von Frank Thönes (Kontrabass) und Jan Philipp Schulz (Klavier). Letzterem verdankte ein atemlos staunendes Publikum klavieristische „Entfesselungen“ apokalyptischen Ausmaßes (Sonate „Fleurs du mal“ nach Baudelaire, Elf Humoresken).
Das „Beiprogramm“
So nachdrücklich und repräsentativ Jörg Widmann im Mittelpunkt stand, das „Beiprogramm“, das natürlich kein solches war, besaß mit 29 weiteren Werken von 28 Komponisten schon quantitativ sein ganz eigenes Gewicht – und Gesicht. Das reichte von Mozart, Schubert, Mendelssohn und Weber bis zu Henze, Brass, Illes und Xenakis und erfasste in einer vierstündigen MV-Musiknacht nicht weniger als 15 im Landesverband MV des Deutschen Komponistenverbandes organisierte Tonsetzer. Dass der Deutschlandfunk davon eine Aufzeichnung veranlasste, darf als Prestigegewinn gewertet werden. Erfolg also auf ganzer Linie! „Ein Ton ist ein Lebewesen“ hat Widmann in Rostock gesagt. Das durfte man eine ganze Woche lang eindrucksvoll und nachhaltig erleben! Ein Weilchen müssen wir davon zehren, denn das nächste Festival wird sich auf 2015 vertagen; dann aber – so Wolf – mit unverändert hohem Anspruch neu und breiter aufgestellt erscheinen.