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Avantgarde mit sozialer Erdung

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Forum neuer Musik im Deutschlandfunk
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Jeweils für ein Wochenende im März lockt das Forum neuer Musik die Freun-
de einer sich neu definierenden Avantgarde in den Kammermusiksaal des Deutschlandfunk. Im Kreis der um Weiterentwicklung und Neuentdeckung sich mühenden Veranstalter ist das Kölner Festival eine wichtige Adresse geworden, obwohl die Programme ganz bewusst einen Bogen machen um Moden, Events und zugkräftige Prominenz. So auch beim diesjährigen „Focus Balkan“. Eine im Windschatten des allgemeinen Interesses stehende Komponisten- und Interpretenszene konfrontierte mit neuen unbekannten Namen und ungewöhnlichen Konzepten – ein Festivalbericht aus fokussierter Perspektive.

„That’s our way“, sagt Bákos Árpad, nippt an seinem Sektglas und lächelt verlegen, so als ob er sich für irgendetwas entschuldigen wollte. Dort, wo er zu Hause ist, in der Vojvodina, der erst vor wenigen Jahren wieder autonom gewordenen serbischen Provinz mit fünf Amtssprachen und einer noch größeren ethnischen Vielfalt, ist Bákos Árpad ein bekannter Folklore-Musiker. Er spielt die Koboz, die achtsaitige mittelalterlich-altungarische Laute, singt dazu alte Lieder, ist außerdem Spezialist für traditionelle Holzblasinstrumente wie etwa der aus dem Hirtenmilieu stammenden Kaval. Jetzt, zum Empfang, steht er am Partytisch im Foyer des Kölner Deutschlandfunk. In seinen Gesichtszügen die Erleichterung, gerade eben auch seinen Beitrag geleistet zu haben zu einem fulminanten Eröffnungskonzert des Forum neuer Musik 2007. Der Fachmann staunt, der Laie wundert sich: Was macht einer wie Bákos Árpad auf einem Experimentierfeld der Avantgarde? Ja, sagt der Serbe, und greift noch einmal zum Sektglas, auch für ihn sei es das erste Mal, dass er so etwas mache. „Quite unusual.“ Ganz und gar ungewöhnlich sei das schon gewesen.

Wie wahr. Die mundstücklos geblasene Hirtenflöte Kaval integriert in ein Programm zeitgenössischer serbischer Kunstmusik. Ein bis in die Fingerspitzen motiviertes Ensemble European Music Project, spielend geleitet vom Posaunisten Mike Svoboda, hat soeben einer Gemeinschaftskomposition von Irena Popovic und Ensemblegründer Jürgen Grözinger zur Uraufführung verholfen: „Dodole. Rituals, Songs and Dances from Serbia“.

Mit von der Partie eine Kaval, die mit ihren eigentümlichen Flöten- und Klarinettenklängen weder exotischen Parfumduft verbreiten will, noch archaisierende Fill-ins liefert, damit’s esoterisch klingt. „Dodole“ archaisiert nicht, schließt aber auch nichts aus, organisiert sein Material auf großer Bandbreite. Gleiche Rechte wie Pflichten auch für das Alte, eingestellt in einen zeitgenössischen Ensemble-Kontext: Streicher, Perkussion, elektronische Vorproduktion, dazu experimentell-improvisatorische Zwischentöne, halb Klang, halb Geräusch, die Irena Popovic ihrer Stimme, Mike Svoboda seiner Posaune entlockt und die man ungern in eines der üblichen Schubfächer stecken möchte. Ein Erlebnis.

Wie auch der ensembleinterne Dialog Popovic/Árpad. Hier ein Instrument, das in Zeiten zurückreicht als in Mitteleuropa die Troubadoure unterwegs waren – dort eine Stimmperformerin, die in der Theatermusik und im Jazz ebenso zu Hause ist wie in der neuen Musik. Vorproduzierte Sequenzen aus Kaval und Stimme live zugespielt, im Konzert individuell verarbeitet, „abhängig“, so Mit-Komponist und Perkussionist Grözinger, „von der Stimmung und Situation“. Improvisation als selbstverständlicher Bestandteil von Komposition. Diese wiederum verstanden als soziale Interaktion Belgrad-Ulm. Hier wie dort sind die scharfen Trennkanten verschwunden.

Keine Frage: Zu den faszinierendsten Ergebnissen der Festival-Ausgabe 2007 zählte die hörbar gewordene Begegnung mit einem spirituellen Serbien und seinem eigenen Weg, Zukunft zu denken: einerseits Anschluss suchen, andererseits die Wurzeln befragen, die-se zugleich neuen Bewährungsproben aussetzen. “That’s our way.”

Selten, dass ein Kompositionsauftrag, weil im Ergebnis übers tönende Ereignis hinausweisend, von so eminenter Wichtigkeit war. Relativiert das Bild des veröffentlichen Meinens, das im Fall Serbien vor allem die Schablone kennt, stets bereit, grobe Keile auf einen vermeintlich groben Klotz zu setzen. Es war ein anderes Serbien, das am Kammermusiksaal-Horizont des Deutschlandfunk auftauchte; eines, das man zwar immer vermutet hat, dem man aber hierzulande nirgendwo begegnet war, weil es, wie beinahe das gesamte Südosteuropa mit Ausnahme Ungarns, ausgeblendet wird. Serbien? Bulgarien? Rumänien? Da winken die Realisten unter den Festivalmachern gleich ab: ohne Stars, ohne Umfeld, ohne Events ist nichts zu bewegen.

Ist es doch! Wie diese Ausgabe des Forum neuer Musik bewiesen hat. Natürlich – es ist der Rundfunk, der Freiraum bietet, den andere an anderen Orten möglicherweise so nicht haben. Doch es bedarf eben auch eines Kurators, dem die Pflege des Kulturauftrags süße Pflicht ist, für den Offenheit, Neugierde, Mut nicht nur Metaphern sind, mit denen man sein Vorwort schmückt, womit das Selbstverständnis des verantwortlichen Redakteurs umschrieben wäre: „Gastgeber, Initiator und Produzent“ zu sein, so definiert Frank Kämpfer seinen Part wie den seines Arbeitgebers. Was ist zentral fürs Zustandekommen des Neuen, wenn nicht die Neugierde? Dass der mäandernde Weg der neuen Musik am Kölner Deutschlandfunk nicht vorbeiführt, ist sein Verdienst. Ein März-Wochenende, so ist es Usus geworden, gehört dem Forum neuer Musik. Was Frank Kämpfer vor Jahren von seinem Vorgänger übernommen hat, trägt mittlerweile seine Handschrift: Avantgarde mit sozialer Erdung.

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