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Andreas Jankowitsch, Michaela Mehring. Foto: Uwe Stratmann
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Axthieb gegen das Uraltgespenst von Zeit und Raum – Winklers „Der Universums-Stulp“ im Wuppertaler Opernhaus

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Zwei Würfel, die sich heben und senken, Räume öffnen für Aktion und Verwandlung, zugleich Projektionsfläche bieten für ein Videozuspiel neuen Typs. Dies die Kernidee einer Inszenierung, die auch in der letzten Vorstellung unter Beweis gestellt hat, dass sie imstande gewesen ist, ein fürs Musiktheater neues und vor allem neugieriges Publikum zu kreieren. Womit die Förderinstitution Kunststiftung NRW, gerade 25 Jahre jung geworden, sich selber sicher das schönste Geschenk gemacht hat.

Auch wenn man die literarische Vorlage nicht kannte und vom auskomponierten, 1993 erschienenen Roman des Wuppertaler Autors und Zeichners Eugen Egner alles erwartete nur kein konzises, kein bewegt-bewegendes Spiel – als genau das stellte sie sich heraus, diese „musikalische Bildgeschichte in drei Heften“ unterm großen Rätselwort „Der Universums-Stulp“. Selten genug offeriert der Theater-Ernstfall eine derart intensive Zusammenarbeit zwischen Text, Musik, Szene wie es hier der Fall gewesen ist. Was in Wuppertal schon mit dem Libretto anfing, einer Gemeinschaftsarbeit von Autor Egner, von Thierry Bruehl, dem französischen Regisseur und dem Komponisten Stephan Winkler. Mit Händen zu greifen der Wille, ein neues Kapitel Musiktheater aufzuschlagen. Eines, das die Forderung jedes avancierten Theaters, statt bloßer Ausstattung für eine losgelöste Musik, für eine irgendwie nebenher laufende Szene, einen theatralischen Raum zu schaffen, in dem all diese Teile ein Ganzes werden können. Womit das Stichwort gefallen ist:

Das ganze Theater muss es sein –

so ungefähr lässt sich Bruehls Intention auf den Punkt bringen. Nichts darf ungestal­tet, sich selbst überlassen bleiben. Selbst ein (ziemlich vollständig angetretenes) Ensemble musikFabrik, von Bruehl auf der Hinterbühne platziert, blieb dramaturgisch einbezogen: Herren im Anzug, Damen mit groteskem Fächer-Dutt, derweil Dirigent Peter Rundel unsichtbar vom Graben koordinierte. Für die 18 Solisten gab es Haufen genug, zu tun. Winklers Ensemblesatz ist dicht, kennt kaum längere Pausen, teilt sich dem Ohr mit als eine Art Dauerfeuer, ein Wetterleuchten, das an- und abschwellt und das vor allem keine Probleme damit hat, sich zur rhythmischen Durchformung der Partitur zu bekennen, und sei es, dass das Ganze ins Jazz-Rockige geht. Ein Rucken und Zucken, das für das geteilte Wesen des Helden steht, des mal larmoyanten, dann wieder genießerischen Poeten Traugott Neimann, von Winkler in einen singenden (Bariton Daniel Haye) und einen schauspielernden Teil (Andreas Jankowitsch) aufgespalten.

Wie überhaupt „Der Universums-Stulp“ selber so ein kräftiger Axthieb ist, ausgeführt mit dem Ziel, dem Uraltgespenst ‚Einheit von Ort und Zeit’ noch einmal eins über die Rübe zu geben. Und das kräftig. Die Trennungen, die wir machen, wenn wir nicht im Theater sind: das Wahrscheinliche, das Unwahrscheinliche, hier Er, dort Sie, ich bin Ich, Du bist du, hier Leben, dort der Tod – alles dies ist aufgehoben, wie es in jedem guten Theater aufgehoben sein muss. Da stürzt Herr Neimann aus dem dritten Stock (ein am 3D-Kino Maß genommener Fenstersturz in Zeitlupe) und lebt doch weiter. Einfach deshalb, weil er unterwegs im freien Fall mit irgendeiner höheren Macht (Traugott!) eine Verabredung getätigt hat: Keine Drogen mehr!

Nichts bleibt in diesem Stück wie es vorher war. Der Weg des geteilten Helden führt über Agenten des Innenministeriums, über einen Papst Probstenloch, eine Retro-Wohnzimmeridylle, einen Schnellimbiss der Retro-60er. Nach der Pause kommt es bei ihm zu Wechseln der Körperzustände. Neimann wird als Brotaufstrich verzehrt und steht wieder auf als virtuelle Kunstgestalt.

Jean Paul hätte seine Freude gehabt

Neben den Sinnlichkeiten fürs Auge, gab es solche fürs Ohr. Nicht gegeizt hatte man in Wuppertal mit Zuspielungen in den Zuschauerraum, schöne Surround-Effekte. Ein weiterer Axtschlag galt der Trennung von Sprechen und Singen, von Deklamieren und Rezitieren. Da bewegt Uta Christina Georg als Imbissbesitzerin Thalia Fresluder die Lippen, indes ihre Worte aus dem Off kommen. Und wenn Tenor Christian Sturm die Vokale seiner Papst-Probstenloch-Arie singt, steuert die Konsonanten das Band bei. Kunst darf, kann alles. Es ist die Theaterlust, die das Team um Thierry Bruehl in diesem furiosen Musiktheaterabend erfasst hat.

Die Einwände sind teils technischer, teils struktureller Natur. Zumal in der ersten Hälfte dieses abendfüllenden Musiktheaters scheint die Regie der Wucht der Graphic-Novel-Videoclips von Philippe Bruehl durchaus erlegen. Das wirkt alles recht uneingebunden als ob man jetzt doch einen Kinofilm in 3D drehen wollte. Und unbefriedigend lässt am Ende auch die Entscheidung, einen schier hoffnungslos komplizierten Handlungsfaden ausgerechnet über die Sänger transportieren zu wollen. Ein rationalistisches (Selbst)Missverständnis. Die Folge für den Vokalsatz nicht unerheblich: ein syllabisches, Silbe-für-Silbe Vertonen, das auf die Dauer ermüdet und dem, was in der Oper immer schon genuin aus Zeit und Raum herausführt, dem sich in alles verlierenden Singen, zu wenig Raum lässt. So gesehen (aber auch nur so) etwas zu viel Stulp, etwas zu wenig Universum.

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