„Ist es nicht wunderbar, dass wir heute an dieser Stelle wieder jiddische Lieder singen dürfen?“ Max Hopp stellt diese Frage nach einer fulminanten Barrie-Kosky-Abschiedsvorstellung in der Komischen Oper und erntet damit einen Extra-Applaus und Standing Ovations. Knapp drei Stunden der „Barrie Kosky’s All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue“ sind gerade zu Ende gegangen. Der Intendant des Hauses übergibt sein Amt nach zehn erfolgreichen Jahren, will ihm als Regisseur aber regelmäßig weiter verbunden bleiben.
Die von ihm in Zusammenarbeit mit Adam Benzwi und dem Choreografen Otto Pichler konzipierte Revue hat einiges zu bieten: Spritziges, Schlüpfriges, Klamaukiges und nicht zuletzt auch Anrührendes. Knallige und leise Beiträge wechseln einander ab. Kosky hat einige von seinen „Stars“ wie Dagmar Manzel, Max Hopp oder Katharine Merling dazu eingeladen, hat, wie er es gerne tut, Ensemble mit Gästen gemischt, Chor und Tanzcompagnie einbezogen und einen mehr als bunten Strauß gestaltet.
Koksy, selbst jüdischer Abstammung, macht das Judentum in seinen Inszenierungen immer wieder zum Thema, etwa, indem er die Hochzeit in „Figaros Hochzeit“ als jüdisches Fest darstellt, indem er jüdische Klischeebilder in seine Regiearbeit einbaut und gleichzeitig bricht, natürlich durch die Inszenierung von „Anatevka“ oder auch in seinem berührenden Liederabend „Farges mikh nit – Vergiss mich nicht“ mit jiddischen Operettenliedern. Mit der aktuellen Revue will er „zeigen, dass in der jüdischen Kultur nicht alle Wege nach Auschwitz führen“, wie er im Programmheft-Interview erklärt. Diese Kultur ist auch geprägt von Lebensfreude und viel Gespür für Witz und Komik. Kosky will außerdem deutlich machen, dass jüdische Kultur immer ein Teil der europäischen und der deutschen Kultur war und ist.
Die Show in der ausverkauften Komischen Oper präsentiert ein Stück jüdischer Kulturgeschichte, die in Europa den wenigsten bekannt ist. In die USA ausgewanderte europäische Juden wollten es sich, sobald sie materiell Fuß gefasst hatten, in der neuen Heimat gut gehen lassen und an der amerikanischen Tradition der Sommerfrische teilhaben, was gar nicht so einfach war. Denn auch jenseits des großen Teichs waren Juden durchaus nicht überall erwünscht. So etablierten sie, 100 Kilometer nördlich von New York, ihr eigenes Areal für Entspannung und Urlaub: die Catskills, auch „Borscht Belt“ genannt. Mit zunehmendem Wohlstand entstanden neben einfacheren Unterkünften luxuriöse Hotels, die ihre Gäste mit Konzerten aller Stilrichtungen und Shows unterhalten wollten. Fast alle namhaften jüdischen Künstlerinnen und Künstler traten früher oder später hier auf, Bette Midler zum Beispiel, Danny Kaye, Sammy Davies Jr., Jerry Lewis oder Barbara Streisand. Ein umfangreiches Programm wurde Sommer für Sommer gezeigt. In den 1950er- und 1960er-Jahren erlebte diese Form der Unterhaltung ihren Höhepunkt.
Den Besuchern der Komischen Oper wurde nun ein kleiner Ausschnitt aus diesen Programmen präsentiert, in einer rasanten Nummernfolge, im Ablauf perfekt geplant und ausgeführt. An Kostümen und Maske wurde nicht gespart, die Ballettcompagnie zeigte einmal mehr ihre Qualität und Vielseitigkeit, den Chorsolisten der Komischen Oper war deutlich anzumerken, dass sie ihren Spaß hatten, das Orchester spielte sich schwungvoll von einem Beitrag zum nächsten, die Solisten sangen, mal schrill, mal leise-melancholisch, in bester Show-Manier, ein Gesamtkunstwerk gewissermaßen, das genau das bot, was intendiert war: Unterhaltung von der ersten Note bis zur letzten. Und Beweis für diese lebensfrohe Seite der jüdischen Kultur, die Kosky in seiner Abschiedsrevue präsentieren will. Er zeigt hier zudem ein weiteres Mal, dass er zwischen „U“ und „E“ nicht trennt, schon gar keinen qualitativen Unterschied macht.
Gesungen wird vorwiegend jiddisch, teilweise auch englisch. Die Übersetzung direkt am Platz macht verständlich, worum es gerade geht: um drei nicht mehr taufrische Damen zum Beispiel, die von ihrer Hochzeit träumen, um ein schmachtendes Liebespaar – oder auch um die Mutter, die traurig davon singt, eine „mamele“ ohne Kind zu sein.
Momentan befinde er sich in einem Wechselbad der Gefühle, erklärt der scheidende Intendant im Interview. „Ich bin sicher, in den nächsten Wochen werden da noch einige Tränen fließen.“ Dem Publikum wird es nicht anders gehen. Die Show aber endet mit einem fröhlichen Tanz, an dem noch einmal alle Darsteller/-innen beteiligt sind – in bester Laune, die sich auf das Publikum überträgt: rauschender Beifall und anhaltende Jubelrufe sind der Beweis.