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Castorfs „Rheingold“-Inszenierung in Bayreuth 2017. Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
Castorfs „Rheingold“-Inszenierung in Bayreuth 2017. Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
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Bayreuther Festspiele: „Rheingold“ variationenreich von Frank Castorf überarbeitet

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Während die im Wagner-Jubiläumsjahr 2013 besonders diskrepant aufgenommene Inszenierung „Der Ring des Nibelungen“ von Frank Castorf in den vergangenen beiden Sommern offenbar von seinem Assistenten in Schwung gehalten wurde, aber außer der kontinuierlichen Vermehrung junger Krokodile im „Siegfried“ kaum deutliche Aspekte der „Werkstatt Bayreuth“ aufwies, hat der Regisseur jetzt, nach Beendigung seiner Intendanz an der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, sich für die letztmalige Wiederholung in Bayreuth erneut gründlich Probenzeit genommen und Modifikationen erarbeitet.

Beim „Rheingold“ sind diese zahlreich, ohne dass sich konzeptionell etwas verändern würde. So wird Alberich von den Rheintöchtern nicht mehr mit ihren frisch gerösteten Bratwürstchen gehänselt, sondern Woglinde (Alexandra Steiner) und Wellgunde (Stephanie Houtzeel) führen selbst ein Degengefecht mit Bratwürstchen an langen Zangen aus. Nun braucht sich Alberich auch nicht mehr die Brust mit Senf einschmieren, um scharf zu werden, das besorgen die Rheintöchter mit SM-Praktiken, sie schlagen ihn mit dem Gürtel seiner Hose und zwicken Wäscheklammern an seine Handkuppen.

Häufig andere Szenen und Bildausschnitte als in den Vorjahren zeigen die dominanten, live gesendeten Bilder auf der großen TV-Wand des Golden Motels, in dem die gesamte Handlung des „Ring“-Vorabend spielt; bisweilen aber lügen diese Bilder bewusst, werden mit vorproduziertem, anderem Material gemischt oder um Effekte angereichert.

Weiterhin spielt Castorfs Regie- und Dramaturgie-Assistent Patric Seibert eine wichtige Rolle in jedem Teil der Tetralogie, hier als Tankstellenwärter, Barkeeper und Motel-Manager in Personalunion. Er schießt auch jene Fotos, die Loge ihm abkauft um den Göttern gegenüber damit seinen Bericht über den Raub des Goldes zu garnieren. Oder er fischt die Pistole aus dem Motel-Swimmingpool, welche der Möchtegern-Cowboy Donner (Markus Eiche) dort verloren hat.

Während die Entwicklung des Spiels sich oft absichtlich diskrepant zum Fluss von Musik und Text entwickelt, liest Siebert Comichefte, deren Abfolgen kontinuierlich zur Handlung gewählt sind („Sigurd – das Gesetz der Stärkeren“ und „Sigurd –Überlistet“). Zugenommen hat das Demolieren von Glasscheiben und Gegenständen; auch Alberich tobt sich nun an und in der Tankstelle aus, so dass Lebensmittel herumkugeln.

Hatte Barrie Kosky für die „Meistersinger von Nürnberg“ einen Verzicht auf Paillettenstoffe versprochen und sich auch daran gehalten, so überbieten sich diese auf Kostümen von Adriana Braga Peretzki, etwa bei Mimes komplettem Goldpailletten-Anzug. Alberichs Leopardenfell-Laubfrosch-Wendejacke hat allerdings nichts mit seinen Verwandlungen in Riesenwurm und Kröte zu tun.

Die von Alberich befehligten Nibelungen sind weiterhin nicht zu sehen, nur sein Bruder Mime liefert die Goldbarren ab und  – wirft sie ins Wasser, ohne dass damit die Handlung um das gestohlene Gold ein Ende finden würde. Im Gegenteil: er will sich, wie es später von Alberich berichtet wird, die Liebe einer Frau mit Gold erkaufen, hier einer Nixe mit goldenem Fischschwanz. Zu der an der Tankstelle weiterhin völlig konträr zur besungenen Handlung abgespulten Szene in Nibelheim hat Castorf offenbar einfach keine Lust, dagegen hat er merklich engagiert an Sexszenen weitergearbeitet. Insbesondere bei der Begegnung von Wotan und Erda geht es nunmehr sogleich voll zur Sache. Das genießt als Voyeur auch Froh, der es sich auf einer von den Riesen aus Wotans Appartement auf die Straße geworfenen Matratzen gemütlich macht. Trefflich spielt Tanja Ariane Baumgartner Frickas Eifersucht aus, doch gelingt es Wotan, die Gattin körperlich erneut für sich zu gewinnen.

Durch den Hammerschlag von Donner (Markus Eiche) funktioniert die vordem defekte 
Elektrik des inzwischen mehr maroden als einladenden Motels wieder, und der permanent mit einem Gasfeuerzeug zündelnde Loge will schon mit dem Benzinschlauch aus der Zapfsäule das Hotel in Brand setzen, als aus dem Off die Rheintöchter ertönen und in Zeitlupe als Unterwasser-Projektion zu erleben sind. Das Spiel der Sängerdarsteller ist engagiert und aktionsreich, bringt aber auch häufiges Kokettieren mit der Kamera.

Unter den Rheintöchtern schält sich stimmlich Wiebke Lehmkuhl als Floßhilde heraus. Nach zwei Elisabeths in der „Tannhäuser“-Version für Kinder am Vortag, gestaltet Caroline Wenborne nun kraftvoll die Freia im Latexanzug. Traumhaft schön singt Daniel Behle den Froh und genussvoll Nadine Weissmann die Erda. Andreas Conrad als Mime ist ein dominant singender, intellektueller Erfinder. Weiter gewonnen hat Albert Domen als Alberich mit stimmlicher Wotans-Vergangenheit.

Den meisten Applaus am Premierenabend erhält Günther Groissböck in der vergleichsweise kleinen Partie des Fasolt. Wenn jedoch Iain Paterson als ein seine Partie perfekt beherrschender Wotan auch massive Buhrufe erntet, so ist daran abzulesen, dass hier etwas aus dem Lot geraten ist: diese Buhrufe zielen offenbar auf die Rollengestaltung, also gegen den Regisseur.

Musikalisch bewegt sich der Abend ohne merkliche Höhen und Tiefen. Das Bayreuther Festspielorchester ist ausgezeichnet disponiert, aber es wackelt oft zwischen Graben und Bühne, und Marek Janowski braucht dann jeweils lange, um diese Schmisse wieder aufzufangen.

Die letzten Aufführungen: 8. und 23. August 2017.

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