Die Symphonien von Dmitrij Schostakowitsch scheinen gegen den russischen Angriffskrieg gefeit. Dies gilt zwar für nahezu alle russischen und sowjetischen Komponisten, wie selbst „Krieg und Frieden“ an der Bayerischen Staatsoper gezeigt hat, aber Schostakowitsch behauptet sich mit seiner Ambiguität von Anpassung und beißender Kritik besser als andere gegen jede Vereinnahmung. Im April habe ich in wenigen Tagen gleich drei seiner Symphonien im Konzertsaal hören können – und am Ende des Monats den Beginn des Festivals ACHT BRÜCKEN. Musik für Köln.
Düsseldorf: Schostakowitsch Sieben
... wem die Wut auf Putin hochkocht ...
Tonhallen-Intendant Michael Becker betritt vor Konzertbeginn (24. April) die Bühne und erzählt, wie der britische Dirigent Alpesh Chauhan, seit letzter Saison Erster Gastdirigent der Düsseldorfer Symphoniker, bereits viermal damit scheiterte, Dmitrij Schostakowitschs Siebte Symphonie, die „Leningrader“, aufzuführen. Versuch No. 3 wurde wegen der Pandemie abgesagt, No. 4 wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine. In den ersten Kriegsmonaten waren Künstler, Veranstalter und Publikum noch unsicher. Inzwischen findet, wem die Wut auf Putin hochkocht, in Schostakowitsch einen Anwalt der Leidtragenden, nicht einen Wegbereiter des russischen Imperialismus. Chauhan lässt es krachen, das Orchester ist ebenso genau einstudiert wie sein Posing, und die vielen Zwischentöne, die bei Schostakowitsch leicht unter die Räder geraten, kommen gut zur Geltung. Standing Ovations im voll besetzten Saal – und auch das ist bemerkenswert: Dreimal spielen die Düsseldorfer Symphoniker das nicht eben leichte Programm mit Benjamin Brittens Cellokonzert und Schostakowitschs Siebter, dreimal ist die Tonhalle Düsseldorf voll (Fassungsvermögen 1.800 Besucher), mehr als die Hälfte der Besucherinnen und Besucher hat ein Abonnement, alle andere buchen Einzelkarten.
Berlin: Schostakowitsch Vier
Beklemmende Aufführung
Einen über jeden Verdacht erhabenen Hang zu russischem Repertoire hat der Chefdirigent des Rundfunk Sinfonieorchesters Berlin, Vladimir Jurowski. Er wählt Schostakowitschs Vierte (15. April) – jenes Werk, das so rüde in den disharmonischen Akkorden, so verzweifelt in den wenigen lyrischen Passagen ist, dass es seinen Schöpfer mutmaßlich den Kopf gekostet hätte, wäre es, wie geplant, im Herbst 1936 uraufgeführt worden, ein halbes Jahr nach dem historischen „Lady Macbeth“-Verriss in der Prawda. Selten erklingt das einstündige Werk, denn es fordert nicht nur das Publikum, sondern auch Dirigenten und das 100köpfige Orchester. Jurowski stellt sich dieser Aufgabe mit großem Ernst und sparsamer, doch klarer Gestik. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges wirkt das Lärmende dieser Musik noch fratzenhafter, und natürlich hören wir die Gräueltaten des gegenwärtigen Krieges in Schostakowitschs 87 Jahre alter Musik mit. Eine durch und durch wahrhaftige, beklemmende Aufführung, die mehr Publikum verdient gehabt hätte.
Vor der Pause wird das Klavierkonzert der 1950 geborenen Komponistin Elena Firsova erstaufgeführt, geschrieben für vier Auftraggeber und Yefim Bronfman. Eine Musik, die Schostakowitschs Vierter näher ist, als es der Komponistin (die bei Schostakowitsch Unterricht hatte) bewusst war – wie Dramaturg Steffen Georgi in der Einführung betont und im Berliner Konzerthaus von jedem nachvollzogen werden kann.
Köln: Schostakowitsch Fünf
Einstündige Wutrede
Das Orchestre Philharmonique de Radio France unter Mikko Franck ergänzt am 27. April mit Schostakowitschs Fünfter Symphonie, aus komplexen historischen Gründen seine mitreißendste, und genau das tut sie auch in der gut besuchten Kölner Philharmonie. Der finnische Dirigent, nun schon im achten Jahr Musikdirektor der Franzosen, gleitet lässig durch die Exposition des Kopfsatzes, um dann mit der Durchführung einen Sturm zu entfachen, der zwei Besucher in die Flucht treibt. Sein schnelles Tempo im Finale entzieht der Musik vollends den Parteitagssound. Die Kölner sind begeistert. Sie sind es auch von Hillary Hahn, die vor der Pause Brahms' Violinkonzert klangschön spielt. Tatsächlich eignet sich Brahms besser als der Britten der Düsseldorfer als Ergänzung zu Schostakowitsch: Brahms‘ Komponieren mit sauberen Fingernägeln beschützt die Seele vor der Unbill der Gegenwart. Die nachfolgende einstündige Wutrede trifft einen umso härter.
Heilbronn: Württembergisches Kammerorchester Heilbronn
Reichhaltiges Repertoire
Eine Erwähnung des WKOs Heilbronn an dieser Stelle ist heikel, handelt es sich doch um „mein“ ehemaliges Orchester, der Berichterstatter ist daher befangen. Wertfrei darf protokolliert werden, dass das Repertoire des reinen Streichorchesters zwar kleiner sein mag als das des Sinfonieorchesters, dass es ihm aber an Reichhaltigkeit nicht mangelt. Ein Werk wie die Serenade von Josef Suk zielt ins Kernrepertoire des WKO und die 20 Musikerinnen und Musiker spielen es am 19. April (mit großer Eleganz) unter dem eingesprungenen Schweizer Dirigenten Philippe Bach. Als Gast hat das WKO Daniel Ottensamer eingeladen (mit angehängter Kurz-Tournee), und wer diesen grundsympathischen und begnadet aufspielenden Klarinettisten kennt, kann sich ausmalen, wie er das Publikum in der Heilbronner Harmonie um die Finger wickelt. Bemerkenswert: Das WKO spielt inzwischen aus iPads. Was für die Beweglichkeit der Kammerorchester spricht.
Köln: Arnaud Petit: La Bête dans la Jungle
Opernnovität mit delikater Musik
Die Kölner Oper hat den französischen Komponisten Arnaud Petit mit der Komposition der Oper „La Bête dans la Jungle“ beauftragt – ein Dreipersonenstück zwar, aber angesichts des in mittlerer Stärke aufmarschierenden Gürzenichorchesters für die meisten Studiobühnen zu groß dimensioniert. Die zugrunde liegende Novelle von Henry James handelt von einem lebensuntüchtigen Mann und einer aufopferungswilligen Frau, und allein diese Konstellation aus dem 19. Jahrhundert passt nicht in die woke Gegenwart. Nach gut der Hälfte möchte man aufspringen und dem Sänger ein beherztes „Reiß Dich endlich zusammen“ entgegenschleudern. Das wäre eine hässliche Szene geworden, aber in der zweiten Aufführung (16. April) hätten sie nicht viele bezeugen können. Dass es dennoch ein guter Opernabend ist, sei der Musik gedankt, die der Gürzenich-Chef François-Xavier Roth höchstselbst dirigiert. Petit gliedert die Partitur in zahlreiche kurze, sehr konzise Episoden, instrumentiert mit Delikatesse, manche davon esoterisch, andere aggressiv, dann wieder sehr groovy, im Cool-Jazz-Ton oder auch mit Fender Rhodes und E-Gitarre kurz vor Pop. Man hört gerne zu. Die Inszenierung ist sparsam, Requisiten und Ausstattung muss man sich anhand von projizierten sepia-Fotografien dazudenken. Ein Erzähler (Regisseur Frederic Wake-Walker) umsorgt die Zuschauer zunächst wie ein Yoga-Lehrer, greift aber immer stärker ins Geschehen ein. Den Clou heben sich Regisseur und Ausstatterin Anna Jones für den Schluss auf: John (Miljenko Turk) und May (Emily Hindrichs) stehen sich gegenüber, durch eine transparente, gleichzeitig spiegelnde Wand getrennt. Sie tanzen gemeinsam und sind doch einsam. Gespenstisch und effektvoll.
Köln: Godspeed You! Black Emperor
Zülpich: Ana Popović und Band
Inspiriert und elektrisiert
Zwischendurch zwei Ausflüge in rockige Gefilde. Das in den 90er Jahren gegründete kanadische Rockkollektiv „Godspeed You! Black Emperor“ genießt Kultstatus wegen seiner klaren politischen Haltung wie auch wegen stoischer Nichtkommunikation mit dem Publikum. Und natürlich auch wegen seiner Musik. In der Kölner Kantine war man am 18. April zu acht: 3 Gitarren, 2 Bässe, 2 Schlagzeuger und 1 Violinistin. Live agiert die Band eindimensionaler als auf ihren Platten (Anspieltipp: lift your skinny fists like antennas to heaven): Aus kleinen melodischen Einfällen oder auch nur einem Akkord werden in langen Steigerungsprozessen infernalische Donnerwetter. GY!BEs Musik ist ein einziger Lavastrom, dessen farbliche Schönheit in faszinierendem Gegensatz zu seiner Brutalität steht. Wer Drone Metal, Carl Orff und Amon Düül liebt, ist bei dieser Band gut aufgehoben.
Die 1976 in Belgrad geborene Ana Popović gehört zu den wenigen Blues-Gitarristinnen, die sich in diesem männlich dominierten Genre mit eigenen Stücken durchsetzen konnten. Unterstützt von einem energetischen, ja nervösen, aber technisch stupenden Gitarrenspiel, vor allem aber von einer dunkel timbrierten Blues-Stimme, versammelt sie mit Vorliebe jazz-versierte Musiker um sich. So sind auch ihre Songs musikalisch breit aufgestellt, Anleihen an Funk und Soul finden sich allenthalben, selbst ein Reggae setzt sich augenzwinkernd durch. Auf der Deutschland-Tour im April stellte sie ihre neue CD „Power“ vor. Beim Konzert im komplett ausgebuchten Live Proberaum in Zülpich (23. April) präsentieren sie und ihre 5 Begleitmusiker sich in allerbester Spiellaune. Sie wolle, sagt sie, ihr Publikum „inspiriert und elektrisiert“ nach Hause schicken. Es gelingt ihr.
Köln: Festival Acht Brücken (1)
Musik oder Nichts
Das Thema des Acht Brücken Festivals lautet „Musik oder nichts“ – eine Verbeugung vor Samuel Beckett und seiner literarischen Einkreisung des Verstummens. Ausgehend von Becketts TV-Inszenierungen, die beim Festival zu sehen sind, hat die kolumbianische Komponistin und Medienkünstlerin Claudia Robles-Angels ein Kammerspiel für zwei Tänzer und zwei Perkussionisten geschaffen (29. April), das vom Publikum in der Alten Feuerwache in Köln geradezu bedrängt wird: „The Exhausted Sound Space“. Mihyun Ko und Mohamed Ben Salah erobern tanzend immer mehr den Raum, das mehrheitlich stehende Publikum beiseite schiebend. Dazu rühren Dirk Rothbrust und Arturo Portugal ein dichter und dichter werdendes Rhythmus-Gewebe unter, ergänzt durch verfremdete Zuspielungen seitens der Komponistin – eine Steigerungsdramaturgie, an deren Ende die Tänzer erschöpft zu Boden sinken. Eine sehr körperliche, im doppelten Sinne nahe gehende Performance.
Ungewöhnlich auch die Installation in der Pfarrkirche Sankt Peter, dem spätesten noch erhaltenen gotischen Kirchbau Kölns, die sich regelmäßig als „Kunst-Station Sankt Peter“ für Kunstwerke und Inszenierungen öffnet. Dort haben Rebecca Saunders und der Landschaftsarchitekt Martin Rein-Cano 2464 Spieluhren in einer beidseitig begehbaren Leuchtwand montiert. Werden viele von ihnen gleichzeitig in Gang gesetzt – wie am Eröffnungstag 28. April geschehen durch die Mitglieder des ensemble mosaik –, ergibt sich ein schnurrendes Klangbild, aus dem sich beim Ablaufen der kleinen Musikmaschinen freundliche Melodien herausschälen. Die Instrumentalsoli, die Rebecca Saunders dazu komponiert hat, markieren die Veranstaltung, vermessen den Kirchenraum und könnten auch ganz anders sein. Einprägsam blieb das Spiel von Trompeter Marco Blauuw.
Köln: Festival Acht Brücken (2)
... mit überragender Meisterschaft ...
Das offizielle Eröffnungskonzert am 28. April mit dem WDR Sinfonieorchester unter seinem Chefdirigenten Cristian Măcelaru kombinierte eine sphärische und eine irdische Programmhälfte. In der sphärischen verbeugten sich Festival und WDR vor dem Jubilar György Ligeti mit „Clocks und Clouds“ und „Atmosphères“ – Neue-Musik-Klassiker in wunderbarer Interpretation (mit den Damen des WDR Rundfunkchores). Dazwischen „Orion“ von Claude Vivier, ein Werk auf dem Weg zum Ritual, schön und fremd wie so vieles aus der Feder des Kanadiers, der unter anderem Unterricht bei Karlheinz Stockhausen in Köln nahm. Mit beiden Beinen auf dem Boden des Aufträge erteilenden Musikbusiness steht der britische Komponist Mark Simpson, dessen Violinkonzert von gleich vier Orchestern (Köln, London, Glasgow und Cincinnati) bestellt wurde. Ein großer Spaß, mitreißend und Applaus garantierend, natürlich auch in der Kölner Philharmonie. Solistin Nicola Benedetti spielt mit bewundernswertem Schwung eine Partie, die ihr nichts erspart. Ihr gebührt ein extra Brava und ihr gelten auch die Standing Ovations im Saal. In den ironischen Resonanzklangräumen, die das Orchester zuweilen unter dem bebenden Solopart auffächert, mag man die Persönlichkeit des Komponisten suchen. Oder im Gerumms des Schlagwerks? Schwer zu sagen.
Einen Abend später, wieder in der Philharmonie, die jüngste Oper von George Benjamin, mit der der britische Komponist und Dirigent sowie diesjährige Siemens-Preisträger derzeit durch europäische Konzerthäuser reist. Benjamin präsentiert sein Werk als halbszenische Aufführung, das Solisten-Oktett spielt mit so viel Hingabe und derart souverän im Raum (Inszenierung: Dan Ayling), dass man in den anderthalb Stunden die Bühne nicht vermisst. Benjamin interessiert sich nur vordergründig für den Mad King Edward II., verhandelt wird vielmehr die sehr gegenwärtige Aufrechnung von Kosten für Kultur und Soziales. Heikel, ein solches Thema im hochsubventionierten Kosmos der Zeitgenössischen Kultur anzusprechen; eine Antwort wird selbstverständlich nicht versucht, dafür ist die Politik zuständig. Benjamin pflegt eine edle Opernsprache, immer zart, immer transparent. Bewunderswert, mit welch unerschöpflicher Phantasie der Komponist Instrumente hervortreten lässt. Benjamin bringt die Gattung nicht voran, komponiert aber mit so überragender Meisterschaft, dass man dem Werk viele Inszenierungen in Opernhäusern wünscht.
Wieder ein Tag später (30. April), noch immer die Kölner Philharmonie: Lucia Ronchetti erhielt vom Acht Brücken Festival den Auftrag zu einer Choroper, für den sich die italienische, weltweit gefragte Komponistin einen Text des in ihrem Heimatland verehrten Schriftstellers Giacomo Leopardi aussuchte, stammend aus dem fast 4000 Seiten umfassenden Gedankenkonvolut „Zibaldone di pensieri“. Darin geht es um Einsamkeit – ein Zustand, den der Autor gut kannte. Die Besetzung allerdings weiß von Einsamkeit wenig: Für zwei Kölner Männer-Laienchöre plus die Knaben des Kölner Domchores plus drei Blechbläser plus vier Solisten des Vokalensembles „The Present“ wurde die große Rundbühne der Kölner Philharmonie frei geräumt. Denn die über 100 Jungs und Männer sortieren sich immer wieder neu im Raum – nur der Platz des Dirigenten Eberhard Metternich (kurzfristigst eingesprungen) ist unverrückbar. Ronchettis Tonsprache geht hier von der Harmonik des frühen 19. Jahrhunderts aus, in dem Leopardis Texte entstanden, franst dann aber in die Gegenwart aus und ist auf diese Weise beweglich wie die Sänger im Raum. Aus Fluidität entsteht Dramatik, die in einer Eloge auf den Schlaf mündet, jenem Zustand, in dem die Menschen ihr Leben unterbrechen und Kraft schöpfen können – gerade auch gegen den tiefen Pessimismus, der Leopardi beherrscht haben muss: „Ich erschrak darüber, mich mitten im Nichts wiederzufinden, selbst ein Nichts zu sein.“ Damit wurden Ronchettis „Chronicles of Loneliness“ zu einem zentralen Stück des Acht Brücken Festivals.
Köln: Festival Acht Brücken (3)
Vor der Erstarrung erklingt noch viel Musik
Das Ensemble S201 (30. April, WDR Funkhaus) gehört zu jenen jungen undogmatischen Neue-Musik-Ensembles, bei denen Performance, Elektronik, Verfremdung, Improvisation zum Selbstverständnis gehören. Eine Geige ist überflüssig, das Cello klingt selten nach Cello, und das Klavier bleibt ein gutbürgerlicher Fremdkörper, der dem Akkordeon klanglich nicht das Wasser reichen kann. Der Nachteil ist, dass die Musik, die für solche Ensembles geschrieben wird, über die Erkundung statischer Flächen oder punktueller Geräusche hinaus oft nichts bietet. Einzig der aus Brasilien stammende, in Berlin lebende Ricardo Eizirik inszeniert eine Interaktion zwischen elektronischen und instrumentalen Klängen, als würden diese jene an- und wieder ausknipsen.
Der European Workshop for Contemporary Music unter seinem Dirigenten Rüdiger Bohn ist ein Projektorchester für junge Musikerinnen und Musiker und unterhält gute Beziehungen zum Warschauer Herbst. Im Stiftersaal des Wallraf-Richartz-Museums wagt man sich an DEN Klassiker der neueren Ensemble-Literatur (30. April), gleichsam die musikalische Gründungsurkunde des Ensemble Modern: „Mouvement (– vor der Erstarrung)“ von Helmut Lachenmann besticht jedes Mal, wenn man es wieder hört, durch sein Tempo und seine Ereignisdichte. Bohn und sein junges Kammerorchester erledigten damit die beiden tatsächlich erstarrten Kompositionen, mit denen sie das Konzert begonnen hatten.
Im Sendesaal des WDR Funkhauses ging am 30. April das Finale des Internationalen Acht Brücken Kompositionswettbewerbes zu Ende. Die Jury unter Brigitta Muntendorf hatten aus 80 Einsendungen drei Ensemblestücke ausgewählt, die vom Kölner ÉRMA Ensemble unter Yorgos Ziavras uraufgeführt wurden. Den ersten Preis holte der Taiwanese Po-Chien Liu, Kompositionsstudent an der Folkwang Universität Essen, für seine kraftvolle Komposition „In einem verlassenen Zimmer“. Die anderen Preisträger waren die beiden Italiener Antonio La Spina und Luca Ricci. Das Ensemble gab noch ein neues Stück von Tom Belkind hinzu, der vor zwei Jahren das Bernd-Alois-Zimmermann-Stipendium der Stadt Köln gewonnen hatte: „I see green Hills spill into the valley“, starke, elektronisch verfremdete Musik an der Grenze zum Noise.
Berlin: „Orpheus in der Unterwelt“
Diese Inszenierung ist ein Wunder!
Als Nachschlag reist der Kölner Berichterstatter nach Berlin, zur Aufführung von Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“, denn: Diese Inszenierung von Barrie Kosky und deren Umsetzung durch Sängerinnen, Sänger, Chor, Bewegungschor und Schauspieler Max Hopp ist ein Wunder. Ihre Präzision und Komik überzeugte im Sommer 2019 selbst als Fernseh-Übertragung von den Salzburger Festspielen. Um der bekannten Problematik zu entgehen, dass Sänger gut singen, selten aber sprechen können, lässt Kosky alle Sprechtexte durch Max Hopp synchronisieren, was dieser mit je eigener Stimmcharakteristik löst. Synchron reißen dazu die stummen Sängerinnen und Sänger ihre Münder auf und schneiden die passenden Grimassen. Doch nicht nur das: Hopp markiert auch alle Geräusche auf der Bühne: Türenquietschen, Haarspray, Nagelfeilen, sogar einen je eigenen Schrittsound bekommt jeder Sänger von Hopp verpasst. Jupiter Peter Bording bestätigt mir anderntags, dass die Sänger bei der aufwändigen Probenarbeit ebensolchen Spaß hatten wie das Publikum, das am Abend des 14. April in der ausverkauften Komischen Oper außer Rand und Band geriet. Es ist ein Meisterwerk und ein Lehrstück über Genauigkeit, Rhythmus und Freizügigkeit. So ähnlich müssen Lubitschs Screwball-Comedies auf ihr Publikum gewirkt haben. Was immer ich im Offenbach-Jahr 2019 gesehen habe – Koskys „Orpheus“ steht auf einem sehr einsamen Gipfel.