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Die Kamera ist sehr nah am Bühnengeschehen. Vorne im Bild stehen sich an den Bildrändern zwei Kriegsgeporter:innen gegenüber. Etwas weiter hinten mittig auf dem Boden liegen mehrere quasi nackte Körper übereinander. Noch weiter hinten hat die Rückwand der Bühne einen großen Spalt, durch den man die Musiker:innen sehen kann. Die Wand darüber wird mit Projektionen aus Kriegsszenen bestrahlt.

Aus Brittens „Male“ und „Female Chorus“ sind unter Regisseur Joachim Rathke zwei Kriegsreporter:innen geworden. Im Hintergrund die Holst Sinfonietta. Foto: Marc Doradzillo

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Bedeutungsvolle leere Bühne: Brittens „The Rape of Lucretia“ im Freiburger E-Werk

Vorspann / Teaser

Eine leere Bühne. Mehr braucht die Opera Factory Freiburg nicht, um packendes Musiktheater zu machen. Bei Benjamin Brittens 1946 uraufgeführter Kammeroper „The Rape of Lucretia“, mit der das von Klaus Simon gegründete freie Musiktheaterensemble sein 30-jähriges Jubiläum feiert, verzichtet Regisseur Joachim Rathke im Freiburger E-Werk komplett auf ein Bühnenbild. Und setzt stattdessen einen präzise agierenden Bewegungschor ein (Choreographie: Stefanie Verkerk), der die Szene öffnet oder verdichtet, der mal individuell geführt ist oder als starkes Kollektiv fungiert, mit Masken oder ohne, mal empathisch, mal kriegerisch (Anna-Sophia Arnold, Fiona Bauer, Liese Fulda, Margareta Gäbel, Mona Kempf, Anna Saperas, Johanna Zander, Leonie Zwiessler). Mit dieser klugen Idee strukturiert der Regisseur nicht nur die Bühne, sondern führt auch neben den beiden Erzählerfiguren (Male/Female Chorus) eine zusätzliche Kommentarebene ein, die das etwas steif vermittelte Geschehen lebendiger und nahbarer macht. Die stimmigen Videos von Frank Böttcher zeigen Bilder vom Krieg.

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Eigentlich sollten laut Brittens Regieanweisung die beiden Erzählfiguren während der ganzen Oper auf beiden Seiten der Bühne sitzen. Warum sie die im Jahr 500 vor Christus spielende Geschichte immer wieder christlich deuten und beispielsweise am Ende der Oper nach dem Selbstmord Lucretia, die auf diese Weise nach der Vergewaltigung durch Prinz Tarquinius ihre Ehre wiederherstellen möchte, Hoffnung durch den Kreuzestod Christi verbreiten, erschließt sich nicht. Rathke macht aus dem Male und Female Chorus zwei Kriegsreporter mit Helm und schusssicherer Weste, die für „Christ TV“ arbeiten (Ausstattung: Claudia Spielmann-Hoppe). Dieser Eingriff funktioniert ebenfalls erstaunlich gut, weil auch hier die Regie eine große Variabilität in den Auftritten schafft – manchmal verschwinden beide auch ganz – und nah am Text bleibt. Den Bericht über die Aufstände der Römer gegen die Etrusker im zweiten Akt sprechen sie in römischer Gefangenschaft. Für die finale christliche Deutung schauen die beiden wieder ins Gebetbuch, das Siri Karoline Thornhill schließlich auf den Boden pfeffert. Thornhill ist mit ihrem schlanken, leuchtenden Sopran ganz bei den Frauen des Dramas. Mit ihrem Reporterkollegen Daniel Johannsen, der die hoch liegende Tenorpartie mit lyrischem Schmelz und weicher Stimmgebung veredelt, hat sie ein Gegenüber auf Augenhöhe, das auch im Duett gut harmoniert.

Von Beginn an entwickelt Dirigent Klaus Simon mit der im Bühnenhintergrund postierten zwölfköpfigen Holst Sinfonietta ein sprechendes, atmosphärisch dichtes Klangbild. Die Balance innerhalb des Ensembles, aber auch in Verbindung mit den Gesangssolisten ist perfekt. Die rezitativischen Passagen begleitet Simon selbst am Flügel sensibel und perfekt getimt. Die Holst Sinfonietta kann zubeißen, wenn sich die Soldaten zum Besäufnis treffen (Horn: Hannah Rottmayer, Schlagzeug: Lee Ferguson), aber auch einen zarten Klangteppich mit Harfe (Julia Weissbarth), Flöte (Martina Roth), Violinen (Sylvia Oelkrug und Cornelius Bauer) und weicher Bassklarinette (Lorenzo Salvá Peralta) auslegen, um die weibliche, idyllische Welt von Lucrecia zu illustrieren. Und wenn einzelne Instrumente zum Begleiter für Figuren werden wie das Fagott (Robert Oros) für Tarquinius oder das Englischhorn (Alexander Ott) für Lucretia, dann geschieht das mit viel Einfühlungsvermögen. Dass bei der Premiere noch ab und zu ein Bläsereinsatz klappert, stört den ausgezeichneten musikalischen Gesamteindruck nicht.

Ekkehard Abele war schon bei der Gründungsproduktion der Oper vor 30 Jahren dabei. Als gehörnter Junius, der Tarquinius zur tödlich endenden Treuewette anstachelt, agiert er mit Präsenz und kräftigem Bariton. Lucretias Ehemann Collatinus wird von David Rother mit geschmeidigem, tragfähigem Bass und strenger Würde ausgestattet. Ejnar Ĉolak gibt Tarquinius als selbstbewussten draufgängerischen Machomann, der stimmlich aber auch weichere Seiten offenbart. Barbara Ostertag verleiht Lucretias Amme Bianca Tiefe, Leonor Pereira Pinto ist eine glockenhell klingende Dienerin Lucia. Der Titelfigur schenkt Sibylle Fischer Expressivität und dunkle Farben. Nur darstellerisch agiert die Sängerin zu eindimensional, so dass man das Trauma dieser Frau nur musikalisch erahnen kann. Am Ende erhebt sich Lucretia aus dem Leichenberg. Und hofft mit strenger Miene vielleicht doch noch auf eine bessere Zukunft.

Weitere Vorstellungen: 8./11./12.Okt., jeweils 20 Uhr. 13. Okt., 19 Uhr. E-Werk Freiburg. 

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