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Beginn und offen gebliebene Verheißung

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Das erste Konzert der Münchner „musica viva“ 1997/98
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Mit Udo Zimmermann in die Zukunft! Fast wirkt es wie eine Beschwörungsformel. Dem neuen Leiter der traditionsreichen Münchner Reihe „musica viva“ soll es gelingen, die zeitgenössische Musik wieder in das Rampenlicht zu bringen, das vor 40 Jahren in der Ägide Karl Amadeus Hartmanns auf sie herunterstrahlte – Helligkeiten, die sich in den letzten Jahren kontinuierlich abdüsterten. Bewährte Konzepte, zum Beispiel das Heranziehen großer Interpreten, werden mit Neuerungen gemischt. Heraus aus dem vielleicht jugendscheuen Herkulessaal, und bei Bedarf hinein in die pop- und jazzfreundliche Muffathalle, ins kinderliebe Prinzregententheater oder in die experimentierfreudigeren Säle des Gasteig-Kulturzentrums. Auch die Einbeziehung theatraler Momente wird in die Wege geleitet. Beim Empfang nach dem ersten Konzert der neuen Ära gab sich Zimmermann erwartungsfroh. Die Lust am Wagnis sei im Wachsen, eine neue Neugier entstehe, der Mut der Anbieter sei also gefordert. Womit er wohl recht hat. Glückwünsche begleiten den angetretenen Weg. So hatte das Eröffnungskonzert demonstrativen Charakter – eine Demonstration, die, dies vorweg, leider ambivalent ausfiel. Drei junge, gleichwohl schon bewährte Komponisten, Olga Neuwirth, Jörg Birkenkötter und Manuel Hidalgo legten den Teppich für das letzte, vermächtnishafte Werk des musica-viva-Gründers Karl Amadeus Hartmann aus: für dessen Gesangsszene „Sodom und Gomorrha“ nach Worten von Jean Giraudoux. Referenz und jugendliches Voran war die Botschaft, die als Flaschenpost in die musica-viva-Zukunft verschickt wurde. Es hätte ein schönes Konzert werden können. Die uraufgeführten Arbeiten nämlich vermochten jedes auf seine Art zu beeindrucken. Am wenigsten war dies bei Manuel Hidalgos kraftgeladenem Stück „La ira pura“ (Der pure Zorn) nach einem Gedicht von Ignacio Llamas für Euphonium und Orchester der Fall. Der Solist Michael Svoboda, ein souveräner Tausendsassa für alles, was ein etwas größeres Blechblas-Mundstück besitzt, hielt sein Instrument gleichsam wie eine MP im Anschlag und teilte harte Attacken auf Publikum wie auf das reagierende Orchester aus. Die harschen Kaskaden der wechselnden Aggression allerdings begannen sich formal zu verlieren, das Stück erweckte den Eindruck des Unabgeschlossenen (war es unter Zeitdruck entstanden?). Jörg Birkenkötter entwickelte in „gekoppelt – getrennt“ eine splittrige Klanglandschaft, in die das vormusikalische Bild vom Beginn aus Mahlers erster Sinfonie mit flirrenden Hochlagen und Quartmotivik versteckt einzog. Irritationen waren eingebaut, so zunächst kaum wahrnehmbare Einsprengsel von im Raum verteilten Instrumenten. Der Klangapparat, zwei impulssetzende Klaviere und das die Impulse verarbeitende Orchester, wurde wahrnehmungstäuschend aufgelöst. Zusammenhänge verflüchtigten sich, tauchten in fremde Landschaften ab. Nicht nur über Klangannäherungen fühlte man sich an Mahler erinnert, Birkenkötter setzt zugleich strukturelle Merkmale des entfernten Klanges, der Logik des Zerfalls (all dies ist an Mahler beobachtbar) in eine freilich völlig neuartige Umgebung. Zu fragen blieb allerdings, wie viel von Birkenkötters Intentionen bei dieser Uraufführung im Nicht-Wahrnehmbaren verdeckt blieben. So bestach wohl am meisten Olga Neuwirths „Photophorus“ für Orchester und zwei E-Gitarren, einfach deshalb, weil der Elektrometallklang dieses Werks, die Blaulicht-Klanglichkeit mit heulenden Glissandi ganz direkt Wirksamkeit erzwang. Es macht den Eindruck, als würde ein schlaflos überreiztes Ohr die Welt in verschärften, lack- und neonfarbenen Konstellationen wahrnehmen. Neuartige Konturierungen, greller, wie mit dem Stift nachgezogen prägten bunt faszinierend den Klang, der den Eindruck erweckte, als seien seine Trennschärfen im Photostyler nachbearbeitet. Neuwirths Ohr kennt die Effekte von Techno-Discos – „Photophorus“ reflektiert sie. All dies hatte einen Haken, der beim bekannten Werk „Sodom und Gomorrha“ noch bedauerlicher zum Vorschein kam. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter dem nicht zu beneidenden Bernhard Kontarsky bot eine Leistung, die einem Scheitern vor der Aufgabe gleichkam. Kontarsky, der immerhin in Stuttgart die vielbeachtete „Intolleranza 1960“ von Luigi Nono oder Rolf Riehms „Das Schweigen der Sirenen“ dirigierte, vermochte kaum mit den hörbaren Defiziten umzugehen und war, wie auch der Bariton Franz Grundheber, sichtlich von den Anforderungen überfordert. Allein schon exakte Einsätze gestalteten sich zum Husarenritt, an Fragen der klanglichen Ausbalancierung war in diesem Umfeld nicht zu denken. Es hieße ein fatales Kuckucksei zu legen, wenn man die hoffnungsvoll gestartete „musica viva“ mit der arroganten und leider durchaus bei (Orchester-) Musikern verbreiteten „Das hört sowieso keiner“-Haltung um ihre noch nicht gereiften Früchte brächte. Die neue Musik wäre solcher Haltung zu entziehen. Denn Musiker mit großem Engagement und Verständnis sind heute nicht mehr rar. Reinhard Schulz

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