Torsten Rasch verwandelt Reiner Kunzes legendären Prosaband „Die wunderbaren Jahre“ in eindringliches musikalisches Erinnern an den Alltag in der DDR. Vom Uraufführungsabend im Regensburger Theater am Haidplatz berichtet Juan Martin Koch.
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„Die wunderbaren Jahre“ von Torsten Rasch am Theater Regensburg. Foto: Tom Neumeier Leather
Beklemmend herangezoomt: Torsten Raschs „Die wunderbaren Jahre“ nach Reiner Kunze am Theater Regensburg
Wie passend: Am Nachmittag der Uraufführung hatte es eine Kundgebung kommunistischer Gruppen in Regensburg gegeben. Wie Komponist Torsten Rasch, 1965 in Dresden geboren, im Vorgespräch schilderte, musste er jungen Demonstranten im FDJ-Hemd erst einmal den gar nicht so friedliebenden Charakter der DDR-Jugendorganisation erklären…
Es gibt also gute Gründe, knapp 50 Jahre nach seiner Veröffentlichung Reiner Kunzes berühmten, in der DDR natürlich verbotenen Prosaband „Die wunderbaren Jahre“ und seinen bitteren Blick auf das Aufwachsen in einem totalitären Regime in Erinnerung zu rufen. Rasch hat für seine Kammeroper einige von Kunzes beklemmend prägnanten, auf Interviews basierenden Skizzen ausgewählt: Da wird Kindern schon das Feindbild Westen vermittelt, eine Jugendliche, die in der Öffentlichkeit Gitarre spielt, erhält einen Ordnungsbescheid wegen „Störung des sozialistischen Zusammenlebens“, der Selbstmord eines Schülers wird totgeschwiegen.
Rasch hat diese Schlaglichter für Sopran, Mezzo, Bass (in wechselnden Rollen) und Sprechstimme sowie ein Kammerensemble (Streichquintett plus Flöte, Klarinette, Fagott und Akkordeon) vertont. Stilistisch wählt er dabei einen expressionistischen, zwischen Atonalität und freitonalen Elementen oszillierenden Tonfall, dem das Akkordeon eine Prise Gebrauchsmusik beimischt. Das wirkt mitunter etwas aus der Zeit gefallen, aber gerade deswegen sehr passend und eindringlich, zumal bis auf einige Passagen in den ersten Szenen durchweg die nötige Textverständlichkeit gegeben ist.
Ab der sechsten von 21 Szenen bereichert Rasch seine Palette um verfremdete Volkslieder, die sich als Inseln zwischen den Alltag aus Militarisierung, Indoktrinierung und Einschüchterung schieben. Hier scheint auf, dass der Komponist Kunzes Buchtitel „Die wunderbaren Jahre“ nicht nur ironisch-sarkastisch versteht und auch dem Erleben einer Jugend „trotz allem“ musikalisch Raum geben möchte.
Dass dieses konzentrierte, knapp 90-minütige Musiktheater seine beklemmende Wirkung entfaltete, lag auch an Sabine Sterkens schnörkelloser Inszenierung. In einem abstrakt-schwarzen Bühnenraum verweisen einige Original-Requisiten auf den historischen Ort der Handlung. Begrenzt wird er von einer Mauer, hinter deren Tür bei den ersten Volksliedern grüne (westliche?) Natur sichtbar wird, die dann aber auch gleich mit Stacheldraht abgeschirmt wird. In der erschütterndsten Szene reicht eine Mutter beim Gefängnisbesuch einen Kuchen für ihren Sohn durch eine Luke nach hinten. Was sie zurückbekommt, ist die Urne mit dessen sterblichen Überresten. Er habe sich in seiner Zelle erhängt, heißt es. Doch der Titel, der auch hier zu Beginn der Szene eingeblendet wird, verrät, worum es wirklich geht: „Schießbefehl“. Der anschließende Epilog wird – wie von Dramaturg Ronny Scholz im Vorgespräch treffend charakterisiert – zum instrumentalen Requiem für die Mauertoten, deren Sterbedaten projiziert werden.
Die Ensemblemitglieder Sophie Bareis, Svitlana Slyvia, Jonas Atwood und Franziska Sörensen füllten ihre Rollen vokal wie darstellerisch überzeugend aus, die Mitglieder des Philharmonischen Orchesters unter der Leitung von John Spencer sorgten für instrumentale Trennschärfe.
Torsten Rasch arbeitet auch an einem Oratorium nach Reiner Kunzes Vorlage. Ob es die Dichte und Intensität seines am Wahlabend konzentriert und einhellig zustimmend aufgenommenen Musiktheaters erreichen wird, bleibt abzuwarten.
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