Oscar Straus ist der Operetten-Boomer der Spielzeit 2024/25. Erst „Das Walzerparadies“ (ist nicht gleich „Ein Walzertraum“) in Annaberg-Buchholz, dann „Hochzeit in Hollywood“ in Hildesheim und jetzt das freie, auf Operetten-Reform spezialisierte Kollektiv tutti d‘amore mit einer alle Maße von ‚Studio-Produktion‘ sprengenden Adaption von „Die lustigen Nibelungen“. In der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin läuft nur bis 16. März die wunderbare Produktion „Ab in den Ring!“: Witzig, kess, fulminant und posthistoristisch. Leider auch aktuell. Die Nibelungen-Operndirektion und das freie Ensemble ‚Die wilde Brünhilde‘ fusionieren unter städtischem Sparauftrag zu „Die wilde Oper GmbH“ und versinken in Taubenkot.

AB IN DEN RING! von und mit tuti d*amore, Uraufführung: 28.2.2025 .Tischlerei der Deutschen Oper Berlin. Foto: © Eike Walkenhorst
Berliner Operndämmerung: Nibelungen-Sternstunde nach Oscar Straus mit tutti d‘amore in der Tischlerei
„Du darfst mich Krimi nennen“, säuselt die im mittelalterlichen Nibelungenlied zur Schlächterin ihrer Familie werdende Kriemhild zum zeitlosen Mythos und deutschesten Sagenheld Siegfried. Dieser ist soeben auf der steingrauen Burg, welche den mit Witz und Brillanz spielenden 15 Musik*innen aus dem Orchester der Deutschen Oper Berlin kaum Platz lässt, angekommen. Siegfried schaut goldig aus und hat Megamengen Pinke-Pinke, welche später durch Börsencrashs zusammenschmilzt. Er und Kriemhild jubeln sich mit „brausender Brunst“ in tenorale Superhöhen: Kriemhild – unter aus Fritz Langs jetzt hundertjährigem Stummfilmepos abgeguckten Monsterzöpfen mit dem Mann Ludwig Obst besetzt – ist nicht tuckig, agiert vielmehr mit grotesker Perfidie und gewaltiger Spiellust. Zu innig-intimer Umarmung kommt es am Ende in utopischer Umkehrung von Mordgeschichte und Dolchstoßlegende zwischen Siegfried (Ferdinand Keller) und dem burgundisch-berlinischen Finanzdirektor Hagen (Ferhat Baday). Das ist allerdings nur die emotionale Oberfläche von Anna Webers Einrichtung für den Superstreich von tutti d‘amore mit der Deutschen Oper Berlin in der am 6. März ausverkauften Tischlerei.
Was sich in Stella Lennerts megageiler, da der Computergame-Ästhetik, historistischen Illustrationen der Kaiserzeit und überdies der infantilen Popkultur verpflichteten Ausstattung tut, ist gar nicht lustig. Denn die Nibelungen in ihrer aschgrauen Burg und in ihren feschen Rüstungen sind gleichzeitig das durch Traditionsstaub und familiäre Selbstgefälligkeit etwas unbeweglich gewordene Opernschiff an der Bismarckstraße. Existenzielle Etatkürzungen, welche weder Hagen noch die sich in Chorleitung flüchtende Königinmutter Ute abfedern können, zwingen die Deutsche (Bismarck-)Oper zur Fusion mit dem knallbunten, aber etwas flachen Kollektiv „Die wilde Brünhilde“. Doppelbesetzung: Caroline Schmitzer spielt eine echte Lady Ute auf der Opernseite und die brillant rappende, aber für profunde Diskurse wenig zugängliche Brünhilde.
In Anna Webers Operetten-Bearbeitungen ist die Gegenüberstellung von freier Szene und großen Subventionsbühnen seit ihrer Weimarer „Prinzessin von Trapezunt“ ein Hauptanliegen. Präsent, aber nicht überfrachtend und leider durch die Berliner Tagespolitik beschleunigt, wurde der Sparzwang mitsamt institutioneller Existenzangst zum konzeptionellen Kern. – Was für eine Programm-Logik: Im großen Haus gucken in der Inszenierung von Adams‘ „Nixon in China“ durch das Musiktheaterkollektiv Hauen und Stechen Kleintiere 27 Millionen Jahren nach dem atomaren Super-GAU die Möhrchen von unten an. „Ab in den Ring!“, die wilde tutti d‘amore-Mischung aus Kultur-Knockdown und Wagner-Kolorit – muss nur in die allernächste Zukunft blicken und prognostiziert für dort evolutionären Austausch. Wo zuerst die schon das Foyertreiben inspirierenden Mitglieder des Apollo-Chors (Leitung: Artur Just) mit dem Publikum einträchtig den Einzug der Gäste auf Wartburg aus „Tannhäuser“ singen, übernehmen am Ende Großstadttauben die Macht, picken herum und hinterlassen weiße Flecken. So wird’s gehen – während die Cheftaube (Evelina Smolina, vor dem Clash als Giselher in der Nibelungen Entourage) Unverständliches gurrt und Drachenblut für Siegfrieds Bäder weiterhin Pfützen bildet. Von den Bambiaugen und Softietönen des schwächelnden Intendanten Gunther (Artur Garbas) sollte man sich nicht einlullen lassen. Denn mit verschmitzter Heiterkeit, bittersüßer Wagner-Expertise und Galgenhumor zum drohenden Kultur- & Spar-Kahlschlag bewegt sich „Ab in den Ring!“ immer ganz nah am Abgrund des todernst-fatalen Nibelungenstoffes.
Ändern musste Anna Weber an den originalen Gesangstexten von Rideamus für ihre feinnervige und wirkungsmächtige Nibelungen-Theatertopographie kaum etwas. Das Stück funktioniert bestens, in der musikalischen Einrichtung von Felix Stachelhaus und dem theateraffin prickelnden Dirigat von Elda Laro sogar ausgezeichnet.
Es bleibt ein Geheimnis, warum Straus’ 1904 im Wiener Carltheater uraufgeführte ‚burleske Operette‘, die einzige deutsche Offenbachiade von Rang, trotz vereinzelter Erfolgsblitze so selten auf die Bühne kommt. Das Parodie-Barometer zu Wagners Tetralogie und teutonischem, auch von Thomas, Heinrich, Klaus Mann bemerktem Meisterkult steht hoch. Straus’ Musik ist mitreißend und deren szenischer Humor-Input immens, was Weber kongenial und intelligent ausnützt. Am Ende riesiger Applaus für alle und ein karnevalistisches Totalvergnügen, das nach der Vorstellungsserie bis 16. März dringendst im Repertoire bleiben sollte.
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