Die Premiere musste wegen Krankheit vom 8. Januar um eine Woche verschoben werden, nur deshalb kam es zum Besuch der ebenso verspäteten Generalprobe auf der Studiobühne der Landesbühnen Sachsen im Stammhaus Radebeul. In diesem Fall ist das für eine Besprechung legitim: Sängerin und Pianist stellen sich mit der mobilen Produktion von Gregori Frids Monooper für Schulen und Jugendzentren improvisierenden Herausforderungen. Das meistern sie sicher bravourös. „Anne Frank“ aus Radebeul ist direkt berührend in stimmiger Balance von Darstellung und Empathie.
Schon durch die äußere Erscheinung ist die deutsch-marokkanische Sopranistin Miriam Sabba eine Idealverkörperung der Anne Frank: Klein, aber nicht zierlich. Affektiv bewegend, aber nicht sentimental. Mit schlankem Sopran, aber keine Backfisch-Soubrette. Und sie kann Spannung aufbauen, damit erfreulich echte Sympathien ziehen. Deshalb muss ihr Regisseur Klaus-Peter Fischer nur ganz wenige Requisiten aus einem weißen Koffer zugestehen, das an die imaginäre Freundin Kitty gerichtete Tagebuch vor allem. Ein massiver Holztisch, der hochgestellt zur schützenden Tür und beengenden Wand wird, reicht als Zeichen für den engen Raum des Speichers im Amsterdamer Wohnhaus. Dort, wo Anne Frank sich mit ihren Eltern und einer anderen jüdischen Kleinfamilie bis 1944 von der Gestapo versteckt halten musste. Entdeckung und Deportation beenden, verhindern, begraben die Sehnsüchte und Lebensvisionen der Dreizehnjährigen: Annes dunkelblaue Jacke mit dem Davidsstern, die sie immer wieder ihrem roten Mädchenkleid mit weißen Punkten überstreift, hat mehr Aussagekraft als viele Worte. Diese berührende Beredtheit halten die beiden Interpreten die gesamte Spieldauer, eine ganze Stunde. Das lässt sich bei weitem nicht von jeder Produktion des Werks sagen. Der einzige Einwand könnte sein, dass Miriam Sabba mit einer Rezitation aus dem Klappentext der Buchausgabe beginnt. Das hat wohl die Theaterpädagogik empfohlen und muss so sein an den schulischen Gastspielorten.
Grigori Frids Monooper von 1972 wurde inzwischen so häufig gespielt, dass man ihr den Status einer „Winterreise“ des 20. Jahrhunderts zuschreiben kann – reale Bedrohung überbietet hier Schuberts Darstellung von „nur“ innerer Radikalentfremdung. Und so gilt zunehmend auch für Frids „Anne Frank“: Es wird bei einem Klassiker immer die neue Herausforderung, durch die Bekanntheit vergrabenen Erkenntnisgewinn herauszuschälen. Das ist im „Tagebuch“ möglicherweise noch schwerer, weil Frid in den 21 musikalischen Sätzen weitaus weniger Kontraste aufreißt als Schubert: Legato-Wallungen, gehäufte Ostinato-Wirkungen und Kontrastschärfen der Orchesterfassung wirken vom Solo-Flügel viel weicher. Dagegen kann nicht einmal ein ausgewiesener Bühnenpraktiker wie Thomas Gläser an, der für seine Sängerin genau die richtige Mitte zwischen Virtuosität und Ensemblegeist findet.
Das wird durch die musiktheatralische Intuition noch weiter beflügelt. Miriam Sabba bleibt bei den Forte-Figuren des Klaviers und mit Rundungen maximal ins Mezzoforte durchweg die Dreizehnjährige. Gerade dadurch kann sie mit künstlerischer Bedachtsamkeit die vielen Emotionen Annes vom Berufswunsch zur Journalistin und Beobachtungen ihrer schmalen Umwelt vermitteln. Ihr Frühlingserwachen wird deshalb zum Glück kein Pubertätsschub im Zeitraffer wie so oft. Diese Zurückhaltung Miriam Sabbas im Einklang mit der Regie macht erst recht die Tragödie plausibel, wie da ein hoffnungsvolles Leben ausgelöscht wird.
Ausgewiesen ist diese Produktion der Landesbühnen Sachsen für Ü14. Mit dieser Sichtweise von Regie, musikalischer Leitung und sängerdarstellerischer Einfühlung kann für die jugendliche Zielgruppe tatsächlich gezeigt werden, was es heißt, noch an der Schwelle zum Erwachsenwerden aus dem Leben gerissen zu werden: Was es bedeutet, keine Jugend leben zu können, und was es bedeutet , in der Gefahr zu diesem Leben trotzdem „Ja“ zu sagen.
- Wieder am 24.01./10:00 (Freie Schule Schebnitzstraße), 24.02./19:30 (Landesbühnen Sachsen, Studiobühne). Kontakt: 0351-8954-0