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Tag aus Nacht ein - Foto: Monika Rittershaus
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Besinnlich, kontemplativer Seniorenspielplatz – Achim Freyer bebildert Sciarrinos „Luci mie traditrici“ für die Wiener Festwochen

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La Malaspina ist schon da, bevor die Erörterung der Beziehungstragödie zu scharren beginnt. Stumm steht Anna Radziejewska im Halbdunkel und schweigt. Sie ist fixiert in einem am Körper anliegenden Gitter auf einer in halber Bühnenhöhe schwebenden Plattform. Diese Königin der Nacht harrt der formschönen und zugleich abgründigen Dinge, die auf sie zukommen und sie in ihrem letzten Stündlein begleiten werden. Der matte Schein der liegenden Mondsichel wechselt mit dem gleißenden Licht, das sich auf einen Präsentationsblock unten im Orchestergraben richtet. Auf ihm und um ihn herum zeigt sich zu diskretem Gemurmel das seit vielen Jahren bewährte Personal und so manche Requisite des Freyerschen Theatermachens.

Unter anderem ein Mann mit Spitzhut, Masken mit starren Blicken, ein großes Buch, übergroße Schuhe und ein riesiger Apfel (buntes Allerlei eben aus dem Fundus), Schwein, Hirsch und anderes Getier. Sie alle kreuzen jeweils nur kurz ein-, zwei oder dreimal auf beziehungsweise werden ‚vorgetragen‘ – und verschwinden rasch wieder in der Versenkung. „Tag aus Nacht ein“, das Szenische Prélude zu Salvatore Sciarrinos Erfolgs-Kammeroper, greift in entwickelnder Variation die Machart von Sketchen wie „Komödia“ oder „Orchesterstück“ auf, die Achim Freyer in den 90er Jahren in der Bundeskunsthalle Bonn präsentierte: Ein vielversprechender „Gruß aus der Küche“.

Die sang- und klanglose Augenweide geht fast nahtlos über in den Gesang von Herrn und Frau Malespina. Die beiden werden in der Synopsis als Graf und Gräfin vorgestellt, in der Übersetzung des vom Komponisten nach G. A. Cicogninis „Il tradimento per l‘onore“ selbst gefertigten Librettos als Herzog und Herzogin. Sei’s drum: Sie sind unbeschadet der genauen Bestimmung ihres Adelsranges Figuren aus einem uralten Märchen. Das bildete sich in Anspielung auf die gewalttätige und blutige Lebensgeschichte eines neapolitanischen Renaissance-Fürsten heraus und führt die möglicherweise fatalen Folgen von Ehebruch und Eifersucht vor Augen und Ohren.

21 MusikerInnen des Klangforums Wien beziehen mit Totenmasken vor den Stirnen Position. Sie sind allerdings quicklebendig bei der Sache der minutiösen musikalischen Ausführung: Akribisch, akkurat, fein akzentuierend führen sie die kleinen Bewegungen aus. Sie loten klangliche Grenzbereiche ihrer Instrumente aus: Die Holzbläser hauchen weit mehr als dass sie fauchen, die Streicher bieten exzessiv Flageolett, zirpen, zittern, tremolieren, oszillieren bis zu den Grenzen des Unhörbaren. Das Instrumental-Team etabliert mitternächtlich-geisterhaftes Soundscape der feinsten Art. Der Spielleiter Emilio Pomàrico bekam eine Maske an den Hinterkopf geschnallt, die neckische Blicke ins Auditorium richtet. Doch offensichtlich hat der Dirigent von der Einbeziehung in die szenische Realisierung bald genug und legt das auf denkwürdige Weise zurückblickende zweite Gesicht beiseite.

Von Plattformen aus, im Bühnenraum schweben, singt das Hohe Paar, das hörbar in eine tiefe Krise verstrickt ist. Ebenso Simon Jaunin als der Diener, der sich auf den Kopf stellt in der „verkehrten Welt“, oder Kai Wessel als der Gast, der auf die Gastgeberin zugriff (oder sich von ihr verführen ließ). Er muss es als erster mit dem Leben büßen. Otto Katzameier hält als Hausherr das Gesetz des Handelns in Händen, kündigt mit überragender Stimme seine weitreichenden Entscheidungen an. Dem SängerInnen-Oktett stehen zwei kontrastierende stimmliche Mittel zu Gebote: die kurzatmige Lineatur der Sciarrino-Phrasen und die einer Elegie von Claude Le Jeune aus dem Jahr 1608 erborgte Madrigal-Stimmführung.

Il Malaspina zieht sein nur oberflächlich schaumgebremstes Racheprogramm unbeirrt von den Einwänden der Ehefrau durch. Achim Freyer zeigt den Sänger ein- und angebunden mit einer kräftigen Lineatur, die die Bühneninstallation optisch überlagert. In kurzen Gesangsfloskeln und mit vielen Wiederholungen (bzw. insistierenden Varianten) arbeitet er sich an der für ihn unerreichbaren Frau ab, deren Kostümierung überdeutlich auf das Sexualleben anspielt. Mit warmem Timbre bekennt die Altstimme die Schuld und hofft auf Gnade. Vergeblich.

Der Festwochenauftakt erzielte höflichen Beifall (Ausnahme: einige angestrengte Rufe aus den Reihen der Angehörigen). Mehr nicht. Das erscheint erstaunlich angesichts der dreifach aufgebotenen Altmeisterlichkeit (Claude LeJeune/Gesualdo, Sciarrino, Freyer). Warum wurde diese dreifach auf Nummer Sicher konzipierte Produktion nicht mit Ovationen bedacht? Vielleicht eben deshalb! Das Kalkül der Veranstalter, deren Kopf in Bälde zu den Salzburger Festspielen wechselt, erwies sich als allzu transparent. Vielleicht wurde für viele aufmerksame Augen und Ohren ein künstlerischer Mehrwert dieser fraglos sehr aufwändigen und teuren Installation nicht erkennbar und regte sich ein leiser Verdruss über einen bloß so besinnlichen und kontemplativen Seniorenspielplatz. Die Probleme (und nicht nur die genderspezifischen) des auf die Bühne verhandelten „Ehrenmordes“ wurden respektvoll eingeschläfert.

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