Tom Tykwers Film „Lola rennt“ kam 1998 in die Kinos – und wurde ganz schnell international gefeiert. Franka Potente spielte die Hauptrolle – und auch sie wurde ganz schnell berühmt. Vor gut einem Jahr wurde aus dem Film eine Oper, komponiert von Ludger Vollmer und uraufgeführt im Theater Regensburg als Auftraggeber des Stückes ( siehe nmz Online vom 28.2.2013 ). Nun bietet das Theater Hagen eine Neuinszenierung und unterstreicht damit einmal mehr sein großes Engagement für die zeitgenössische Oper.
Das Leben ist ein Hamsterrad: wir strampeln uns Tag für Tag, Stunde für Stunde ab – und kommen doch nicht recht vorwärts. Viele von uns jedenfalls, viele jener Menschen, die wie graue Mäuse und ohne jede Form von Individualität in unserer Gesellschaft sang- und klanglos untergehen, auswechselbar (geworden) sind. Diese grauen Mäuse bevölkern auch die Hagener Opernbühne, auf der ein rundes, spiralförmig sich nach oben drehendes Gerüst aus Stangen und Laufböden steht – ein Hamsterrad … und ein Obdachloser ist auch dabei.
Die Rede ist von dem Film „Lola rennt“ des Regisseurs Tom Tykwer. Und es ist die Rede von der Oper „Lola rennt“ des Berliner Komponisten Ludger Vollmer, die Anfang 2013 uraufgeführt wurde – eine philosophische Oper über die Zeit, über das Leben im Hier und Jetzt, über die Zukunft und die Ewigkeit, über das Ausbrechen aus dem Hamsterrad, über Individualität und Liebe. Große Themen also.
Vollmers Oper auf ein Libretto von Bettina Erasmy, das sich ziemlich genau an Tykwers Kinostreifen orientiert, ist getrieben von großem Tempo. Keine Frage: Lola rennt. Um irgendwo irgendwie eine Menge Knete aufzutreiben, mit der sie verhindern kann, dass ihr Lover Manni umgelegt wird. Jene Knete („100.000“), die Manni in der U-Bahn auf der Flucht vor Polizisten hat zurücklassen müssen und die er eigentlich seinem Chef Ronnie hätte übergeben sollen. Der Countdown läuft: ganze zwanzig Minuten bleiben ihm und ihr, den Zaster aufzutreiben.
Wie im Film präsentiert das Opern-Libretto drei verschiedene Versionen, wie diese zwanzig Minuten ausgehen können. Runde Eins: Lola wird von einer Kugel tödlich getroffen. Runde Zwei: Manni wird von einem Krankenwagen überfahren. Runde Drei: Lola spielt in einem Casino Roulette und gewinnt gleich zweimal hintereinander! Das, was jeweils im Anschluss an diese unterschiedlichen Final-Versionen thematisiert wird (in den sogenannten „roten Szenen“), bildet den philosophischen Kern der Oper. Lola und Manni sinnieren über die genannten existenziellen Angelegenheiten: über Liebe und Leben … Aber diese Reflexionen gehen nicht besonders in die Tiefe, vielleicht weil das ganze Stück doch eher geprägt, wenn nicht dominiert ist von rastlosem Tempo, dem die entschleunigenden „roten Szenen“ kaum Einhalt gebieten können.
Uneingeschränkt gelungen ist Roman Hovenbitzers Inszenierung, die vor Fantasie nur so sprüht, die höchst virtuos choreografiert ist (Chor und Extrachor des Theaters Hagen agieren ganz erstklassig), durchaus witzige Momente bereithält und nicht zuletzt dank der Ausstattung von Jan Bammes auch optisch ganz viel Vergnügen bereitet. Overheadprojektoren kommen (sinnvoll) zum Einsatz, Vorhänge senken und heben sich, die Drehbühne ist mächtig aktiv, die Bühnenrückwand wird zur Projektionsfläche für das angestrengte Rennen durch eine Stadt... – und darüber hinaus kann Roman Hovenbitzer auf ein Solisten-Ensemble setzen, dass den mitunter enormen vokalen Anforderungen der Partitur durch und durch gerecht wird. Kristine Larissa Funkhauser in der Titelrolle, am Premierenabend zwar indisponiert (angegriffen von einer tagelangen Grippe), singt und spielt dennoch mit unbändiger Energie. Ihren Freund Manni gibt Raymond Ayers völlig typengerecht und stimmlich brillant als verwegenen Kleinkriminellen; Ulrich Schneider ist Lolas Vater, ein stets in seine Geschäfte vertiefter Banker, der von seiner Sekretärin Jutta angehimmelt wird. Diese Jutta, eine wahnsinnig hoch liegende Sopran-Partie mit etlichen halsbrecherischen Koloraturen, bewältigt Maria Klier grandios, sowohl stimmtechnisch als auch klanglich. Richard van Gemert schlüpft in die Rolle des Herrn Zeit, Rolf A. Scheider, Michail Milanov und Wolfgang Niggel komplettieren das Ensemble auf durchweg hohem Niveau.
„Lola rennt“ als Oper (statt als Film) – das überzeugt an diesem Abend trotzdem nicht wirklich. Vor allem der Musik wegen: Vollmer schreibt für die drei „Runden“ im Grunde immer dieselben betriebsamen Klänge, bewegt sich dabei auf eher konventioneller Ebene, macht Anleihen bei Komponisten-Kollegen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Und obwohl das groß besetzte Philharmonische Orchester Hagen und sein Leiter David Marlow ganz hinten auf der Bühne sitzen, wirkt die Musik oft laut und deckt die Sängerinnen und Sänger zu. Hier sind Übertitel eigentlich unverzichtbar, denn wer kennt schon Text und Inhalt einer Oper, die gerade mal etwas mehr als ein Jahr „alt“ ist?
- Weitere Termine: 5. 4., 11. 4., 16. 4., 8. 5., 24. 5., 29. 6. und 5. 7. 2014