„Elphi“ heißt es schon liebevoll und der gerade eröffneten Hamburger Elbphilharmonie ist – bei allem Verständnis für die Proteste – nur das Beste zu wünschen (wir berichteten). Im Fernsehen haben Millionen die Eröffnung des großen Saales mit seiner phänomenalen Akustik gesehen und nun gab es im Kleinen Saal ein denkwürdiges Konzert.
Ein Konzert allerdings, das keineswegs typisch war für ein generelles Niveau der Präsentation von zeitgenössischer Musik: da tummelt sich oft in recht traditionellen Aboreihen eher eine „nicht störende“ Moderne. Dieses Konzert im Kleinen Saal war das erste einer dreiteiligen Reihe „State of the Art“, in der noch das Klangforum Wien und der Klarinettist Jörg Widmann folgen werden.
Die koreanische, seit 1977 in Deutschland lebende und zuletzt als Professorin an der Bremer Hochschule für Künste lehrende Komponistin Younghi Pagh-Paan – hat nun im Alter von 71 Jahren im Auftrag der Elbphilharmonie und des Arditti Quartettes ihr erstes Streichquartett geschrieben. Seit Joseph Haydn die Gattung „erfunden“ hat, ist sie die Königsgattung; in keiner anderen spielte sich die Avantgarde der Kompositionskunst so ab wie im Streichquartett. Entsprechend sind die Skrupel, die jeder Komponist bestätigt, der sich am Streichquartett versucht. Zudem sind die Vorlagen in der zeitgenössischen Kunst überdimensional: nach den sechs Quartetten von Bartók sind zum Beispiel die von György Ligeti und Helmut Lachenmann zu nennen. Einen Ausnahmestatus bildet das 1979/80 entstandene „Fragmente – Stille, An Diotima“ von Luigi Nono; es ist nicht zu viel gesagt, Nonos Werk als Jahrhundertwerk zu bezeichnen. An ihm entzündete sich eine heftige ästhetische Debatte, wie obsolet – weil zu privat – das Komponieren von Streichquartetten geworden war.
Nun also „Horizont auf hoher See“ von Pagh-Paan und gleich der erste unbeschreiblich magische Klang machte den Ausnahmezustand deutlich. Pagh-Paan verdankt ihr gesamtes Werk außermusikalischen Impulsen, hier legt sie „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ aus dem Lukasevangelium und ein Zitat von der verehrten Philosophin und Mystikerin Simone Weil zugrunde: „Wellen. Gesamtes und Teile. Dasselbe und das andere. Horizont auf hoher See. Wir sind von unserem eigenen Blick eingekreist“. Es geht ihr um Verzeihung und Liebe, nicht zum ersten Mal versucht sie, „Gedanken in Klänge zu verwandeln“ (Pagh-Paan). Der klangliche Weg, der in dem Werk zurückgelegt wird, findet aus einer betörenden gemeinsamen Grundfarbe über immer größere Individualisierung der Stimmen zu einem „Horizont“ mit einer modalen Melodie, einem Raum, dessen innere utopische Tiefe erschüttert. Immer wieder gibt es Bewegungslosigkeit – ein Zustand, der eigentlich der Musik widerspricht –, aus der sich Bewegung auf wundersame Weise löst. Ovationen für ein neues, ein bedeutendes Streichquartett war die Antwort des Publikums (ohne einen einzigen Huster!).
Das setzte Maßstäbe, denen an diesem Abend nur „Grido“ (2001/2002) von Lachenmann mit unerschöpflichem Überreichtum an Klangaspekten standhalten konnte. Schön auch, aber nicht annähernd so bedeutend, die „Fragmenti“ von Philippe Manoury und das sechste Streichquartett von Brian Ferneyhough – einer der Lehrer von Pagh Paan –, das überkomplex vorwärtsdrängt, ohne je eine wirklich emotional ergreifende Klangsinnlichkeit zu erreichen. Bleibt, das gewohnt überragende Niveau der Interpretation zu bestätigen, wie es nun seit mehr als vierzig Jahren das Arditti Quartett (Irvine Arditti und Ashot Sarkissian, Violine, Ralf Ehlers, Viola und Lucas Fels, Cello) leistet.