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Foto Roberto Fonseca: Michael Scheiner, weitere Bilder: jazzzeitung.de
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Ein Fazit der 48. Internationalen Jazzwoche Burghausen
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Vorab war das Thema der 48. Internationale Jazzwoche Burghausen der Ausstieg des Fernsehens nach 36 Jahren, ein weiteres Armutszeugnis der öffentlich-rechtlichen Sender. Wundersamer Weise standen dann doch Kameras, wenn auch kleinere, in der Wackerhalle: Die Kollegen der Hörfunkredaktion von BR Klassik sprangen sozusagen in die Bresche, kümmerten sich, obwohl mit den Radiosendungen und dem Blog bereits gut beschäftigt, auch noch um Live-Streams im Internet.

Dort konnte man nun ein Programm sehen, das so fernsehtauglich wie selten war und für einen Vorverkaufsrekord gesorgt hatte. Restlos gefüllt wie seit seiner Einführung vor neun Jahren war schon das Festival-Präludium im Stadtsaal, der Wettbewerb um den Europäischen Nachwuchs-Jazzpreis. Der bewies erneut, welches noch vor wenigen Jahren kaum vorstellbare Niveau junge Jazzer heute auf breiter Front erreicht haben. Fünf völlig unterschiedliche Bands (aus 70 Bewerbern ausgewählt) traten an, von der Spaß-orientierten Powerjazztruppe des Münchner Trompeters Matthias Lindenmayr (der den Solistenpreis bekam) bis zur elektronisch verschraubten Ambient-Fusion vom multinationalen Trio des staunenswert virtuosen italienischen Posaunisten Filippo Vignato, das zum Sieger gekürt wurde.

Mit dieser hochinteressanten, aber auch intensiven und anstrengenden Musik wurde also auch konfrontiert, wer wegen Joss Stone den Eröffnungsabend besuchte – solche Verbreitungseffekte sind die vorrangige, hier mehrfach mustergültig erfüllte Aufgabe eines modernen Publikumsfestivals. Dieser Abend war ebenso seit langem ausverkauft wie der Blues-Nachmittag mit der Original Blues Brothers Band und der Auftritt von Till Brönner. An Brönner aber konnte man am besten das Dilemma eines Konsens-Jazz sehen: So herausragend er Trompeter auftrat, so langweilig war doch sein vollkommen glattgebürstetes Programm. Jedenfalls im Vergleich zu anderen, nicht ganz so populären Größen.

Wie man Spannung erzeugt, mit Pausen und Rhythmen arbeitet und selbst konkurrenzlose Tasten-Artistik noch ganz in den Dienst des Ausdrucks stellt, das demonstrierte etwa der kubanische Pianist Roberto Fonseca. Ganz der Musik-Tradition seiner Heimat verpflichtet, stellt er sie doch zugleich auf den Kopf – wie es der Titel des Programms „Abuc“ (Kuba rückwärts) andeutet. Seit Erroll Garner nicht gehörte Latin-Akkordgebirge, eine perfekt arrangierte Band – dieser Auftritt gehörte zu den Festival-Höhepunkten. Genau wie der des amerikanisch-mexikanischen (noch gibt es solche jeder Mauer Hohn sprechenden Kulturverschmelzungen) Schlagzeugers Antonio Sanchez. Seine fünfteilige „Meridian Suite“ erwies sich als eine der dichtesten, kraftvollsten und formvollendeten Kompositionen, die man seit langem im Jazz hören konnte. Durchaus überzeugend war auch das historische Projekt des Saxofonisten Vincent Herring, sich mit einer All-Star-Band chronologisch durch hundert Jahre Jazzgeschichte zu spielen – auch wenn das ausschließlich amerikanischen Jazz und auch den nur bis in die Achtzigerjahre umfasste.

Suchte man einen Schwerpunkt, dann fand man ihn bei drei Soul-lastigen Damen. Die schon erwähnte Joss Stone war solide, aber erwartbar und denkbar Jazz-fern. Fast ärgerlich durfte man den Hochdruck-Soul der jungen Saxofonistin Lakcetia Benjamin finden. Zwei-Viertel- und Vier-Viertel-Gangsta-Jazz und überflüssige Showeffekte ließen selten echten Groove aufkommen. Mindestens uncharmant war, wie Benjamin redete, sich bewegte und spielte. Am überzeugendsten präsentierte sich China Moses, nicht nur, weil sich unerwartet frei und improvisierend zur Sache ging. Die vielleicht aktuell beste Jazz-Entertainerin singt ihre Song nicht nur, sie lebt und spielt sie – und hat endlich eine Band, die das auch stützen kann.

Zu den erfreulichen, selbst hohe Erwartungen übertreffenden Erscheinungen gehörte auch eine Einheimische: Monika Roscher mit ihrer Bigband. Nicht nur, weil sie erstmals ihren Ganzkörper-LED-Anzug präsentierte, der zu Takt und Tonhöhe aufleuchtet, sondern vor allem, weil sie bei ihrem „Of Monsters And Birds“-Programm außer Indie-Elementen auch atemberaubende Bläsersätze schreibt, die die Band inzwischen bewundernswert meistert. Viel Schönes von Christian Prommers Dance Night bis zu den drei Bands des „Next Generation“-Sonntags gab es außerdem zu erleben. Vor allem aber wieder den „Spirit of Burghausen“, die Hingabe des ehrenamtlichen Teams wie der gesamten Stadtgesellschaft. Den hat das Fernsehen ohnehin noch nie wirklich einfangen können. ARD Alpha hat sich ohne Not von einem sehr schmückenden, zu ihrem eigentlichen Auftrag gehörenden Format verabschiedet - und wird nach Lage der Dinge schon im nächsten Jahr nicht mehr vermisst werden.

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