Düsseldorf, im Februar – „Einfach fühlen“ empfiehlt das Logo der städtischen Tonhalle. Was man bei „Music. Mix. Mashup“ gefühlt hat, war vor allem eine tiefe Verunsicherung. Wie tief diese inzwischen sitzt, signalisiert ein chronisch gewordener Marketingsprech, mit dem dieser landeshauptstädtische Jahresbeitrag zur Deutung, Sichtung, Förderung der Gegenwartsmusik um Aufmerksamkeit heischt. Hauptsache, keinen Trend verpassen! Hauptsache, flott rüberkommen! Was natürlich nicht ohne Kollateralschäden abgehen kann. Damit der „Schönes Wochenende“-Music-Mixer ans Laufen kam, hatten Kunst, Kunstübung die Rolle des Futtermittel-Lieferanten zu übernehmen. Undankbar.
Entsprechend die Achterbahn der Gefühle. Erst glaubte man seinen Ohren nicht zu trauen wie wunderbar am Eröffnungsabend in den Ausstellungsräumen des NRW-Forum musiziert wurde. Eine blendende Akustik tat ihr Übriges für einen spektakulären Start, einen veritablen Höhenrausch. Vier Solisten des Kölner Ensemble musikFabrik in bester Musikzierlaune; bewegend, berührend jeder auf seine Weise. Etwa Trompeter Marco Blaauw mit „I can't breathe! (in memoriam Eric Garner)“, jener durch einen brutalen Polizeieinsatz ums Leben gekommene Asthmatiker, dessen Name und Schicksal aufgrund diverser Protestkundgebungen eine gewisse Öffentlichkeit erlangt hat. Eine dieser Eric Garner-Manifestationen hat der österreichische Komponist Georg Friedrich Haas vom Fenster seiner New Yorker Wohnung mitbekommen und daraufhin einen Trauergesang geschrieben, der die Atemnot abbildet, sich in Ambitus und Dynamik zunehmend verengt.
Mit hellem Bewusstsein für die Widersprüche, für die Anwesenheit des Abwesenden im Wirklichen auch Florentin Ginot, dessen Eigenkomposition „Saul“ für Kontrabass als Reminiszenz auf Laszlò Nemes Auschwitzfilm konzipiert war. Ganz anders die vierteltönig gestimmte Akustik-Gitarre des Chicagoer Free-Jazz-Gitarristen Scott Fields mit seinen intim-zarten, zugleich stahlig auskomponierten Klangkaskaden. Hinreißend. Und schließlich war es noch an Dirk Wietheger, der diesem bezaubernden Soloprogramm so etwas wie seinen Grund und Ausgangspunkt hinzufügte. Im auswendigen Vortrag stellte der Cellist, mit gelöst-unangestrengtem Ton Bachs G-Dur-Suite in den Raum, neben die Kunstübungen von hier und heute. Eine alte Erfahrung. In der Kunst gibt es keinen „Fortschritt“. Was man als solchen wahrzunehmen meint, ist der Gestaltwandel, sind die differierenden Stile, Handschriften, Charaktere, die für sich weder „alt“ noch „neu“ sind und schon gar nicht eine Diagnose erlauben, wonach das „Original eine Erfindung von gestern ist“ wie man in der Festival-Ankündigung lesen konnte. Ein Selbstmissverständnis, das der ungebrochene Fortschrittsglaube leider mit sich bringt: Früher war „Original“, heute haben wir dank Copy und Paste und all der anderen Zitat-Collage-Techniken das Hybrid als Norm.
Music. Mix. Mashup
Was für die „Music. Mix. Mashup“-Festivaldramaturgie bedeutete, alles, was nach besagtem „Original“ roch, einem „Live-Remix“ zu unterwerfen. Das Ergebnis: ein digitaler Hackepeter, der frei nach Wilhelm Buschs Rickeracke! deswegen besser sein soll, weil er das Schlechte, das Alte, das Gestrige so schön weghäkselt. Was die Großtaten des norwegischen Punkt-Ensembles betraf, las sich dies in der Packungsbeilage so: „Die im ersten Teil des Konzerts gespielten Werke werden aufgezeichnet und bearbeitet. Sie sind die ‚Zulieferer‘ des Materials für den kreativen Prozess, den die norwegischen Remix-Stars Jan Bang und Erik Honoré gemeinsam mit dem Perkussionisten Audun Kelive und der Grand Dame des lautmalerischen Jazz-Gesangs Sidsel Endresen durch Verarbeitung und offene Improvisationen zum Prozessualen hin öffnen.“ Dass das klingende Ergebnis seinen eigenen Reiz hatte, ist unbestritten. Nur, dass der Schematismus der Gegenüberstellung, das Ineinander von Werten und Abwerten – dort altes „Original“, hier „kreativer Prozess“ – bewirkte, dass das ganze Konzept schief an der Wand hing. Die Unbefangenheit war dahin. Man hörte nicht mehr auf die norwegischen Remix-Meister, sondern darauf, wo in ihrem „prozessualen“ Soundteppich Spuren des geschredderten Originals steckten.
Ein Befund, der sich an anderen Stellen des Festivals fortsetzte. Zugleich verbunden mit den allerschönsten Widersprüchen. So sehr das „Orginal“ angeblich von „gestern“ sein soll, ganz ohne kommen die Mixer, Mashupper ebensowenig von der Stelle. Die Düsseldorfer Symphoniker unter Jonathan Stockhammer demonstrierten es an „Rewriting Beethoven's Seventh Symphony“. Verantwortlich hierfür ein gewisser Michael Gordon, der ausweislich des Programmheftes der New Yorker Undergroundszene zuzurechnen sei. Selten, dass mit jedem Akkordschlag Nicht-Kompetenz so schlagend unter Beweis gestellt ward – aber vielleicht sollte das ja auch so sein, undergroundmäßig gesehen.
Klartext dann in der für solche Formate obligatorischen Podiumsdiskussion. Marktschreierisch einmal mehr der Titel, unter dem man zu diesem Programmpunkt geladen hatte. „I like you, Avantgarde, but I love Helene Fischer“ Andererseits – auch Werbemund tut Wahrheit kund. Arglos wurde denn auch im Folgenden mitgeteilt, dass man dramaturgischerseits die Bemühungen der klassischen neue Musik-Festivals, namentlich der in Darmstadt und Donaueschingen rundweg als Bemühung um „Stacheldrahtmusik“ ablehne. Dazu durften geladene Referenten Uraltkalauer zum Besten geben. Frage: Wer hat die Freude aus der neuen Musik verbannt? Klar, Wiesengrund heißt die Kanaille! Und wie geht's weiter? Empfehlung: Keine Programme mehr kuratieren, sondern „Ereignisse“! Werden im Konzertsaal künftig also Glückspillen verteilt?