Zum dritten Mal fanden auf dem Adlersberg bei Regensburg die Singer Pur Tage statt. Das Vokalensemble präsentierte Renaissancemusik von Josquin des Prez und Philippe de Monte sowie Zeitgenössisches der koreanischen Komponistin Junghae Lee. Juan Martin Koch berichtet:
Es war eine kleine musikhistorische Sensation: Ende der 1990er-Jahre kamen bei Restaurierungsarbeiten der Sixtinischen Kapelle auf der Sängerkanzel unter neueren Farbschichten nicht nur Reste der originalen Fresken aus dem 15. Jahrhundert zum Vorschein, sondern auch zahlreiche Namenszüge als Graffiti. Mit diesen hatten sich offenbar Kapellsänger an den Wänden verewigt, darunter auch einige Komponisten. Als prominentester Name findet sich dort „Josquin“ eingeritzt und damit höchstwahrscheinlich das einzige Autograph eines der bedeutendsten Renaissancekomponisten überhaupt: Josquin des Prez. Auf diesen im Programmheft schön wiedergegebenen Fund bezog sich die launige Ansage des Singer-Pur-Baritons Jakob Steiner, der das Publikum darum bat, sich doch bitte nicht in ähnlicher Weise in der Dominikanerinnenkirche auf dem Adlersberg nahe Regensburg zu betätigen…
Welch unübersehbare und -hörbare Spuren der 1521, also vor genau 500 Jahren verstorbene Komponist in der Musikgeschichte hinterlassen hat, dafür schärften die nunmehr dritten Singer Pur Tage auf wunderbare Weise die Sinne. In drei klug und abwechslungsreich zusammengestellten, jeweils gut 70-minütigen Programmen – ein ausgezeichnetes Format, das Singer Pur vom Ensemble Stimmwerck und von deren Vorgänger-Festival, den Stimmwercktagen übernommen haben, erklangen dabei nicht nur Werke von Josquin selbst, vielmehr stellten Singer Pur dem Großmeister vor allem den weniger bekannten Philippe de Monte gegenüber. Der wurde nicht nur im Todesjahr Josquins geboren, sondern bezog sich, wie viele andere seiner Zeitgenossen auch, in einem Stück direkt auf seinen schon zu Lebzeiten legendären Vorgänger.
Die Abfolge von Josquins berühmter, am Feiertag Mariä Himmelfahrt besonders passender Motette „Benedicta es caelorum regina“ und de Montes auf eben diese Motette Bezug nehmender Messe machte die Weitergabe vokalpolyphoner Traditionen ebenso deutlich wie die stilistische Neuorientierung, für die de Monte steht. Diese war schon im ersten, vor allem seiner Musik gewidmeten Konzert plastisch geworden, wo ein von italienischen und französischen Vorlagen zu farbigem Textausdruck inspirierter, auf Monteverdi vorausweisender Komponist zu erleben war.
Überwältigende Zeugnisse von der herben, zeitlos modernen Finesse Josquin’scher Stimmverflechtungen waren beim stimmungsvollen Kerzenschein des zweiten Konzerts das Klagelied auf seinen Vorgänger Ockeghem und das abschließende Miserere. In wechselnden Stimmkopplungen glänzten Claudia Reinhard, Markus Zapp und Manuel Warwitz. Von Warwitz’ mitreißender, nie den Ensemblerahmen sprengender Extrovertiertheit ließ sich auch Jakob Steiner anstecken. Das dienstjüngste Mitglied im Bunde sang sich hier von anfänglicher Zurückhaltung frei. Am Ende des Miserere erreichten Singer Pur, inklusive Christian Meister und Marcus Schmidl, eine atemberaubende Balance aus individueller und kollektiver Expression. Die lange Stille danach, das Innehalten von Publikum und Künstlern, atmete das Gefühl, gemeinsam etwas Unwiederbringliches erlebt zu haben.
Instrumental bereichert wurden die drei Abend durch das hochklassige Ensemble Leones, das auf drei Gamben einige Vokalsätze feinsinnig begleitete, aber auch – wenn Marc Lewon zur Laute griff – musikantischen Schwung zu entfachen wusste. Den zeitgenössischen Kontrapunkt lieferten die sinnfällig eingebetteten Klänge der koreanischen Komponistin Junghae Lee. Den stärksten Eindruck hinterließ dabei eine Volksliedbearbeitung, deren teils mikrotonal verzierte Melodie Manuel Warwitz beeindruckend in den Raum stellte, eingebettet in exquisit ausgehörte, teils dissonante Harmonien des Ensembles. Auf schwindelerregendem Niveau aus der Taufe gehobene Uraufführungen waren der in launigem Dreiertakt pulsierende „Gu-əm Mix“ und das mit ausgeschrittenen Raumwirkungen und gesprochenen Passagen apart durchsetzte „Arirang from Jɔng Sɔn“.
Kein Zweifel – im dritten Jahr haben Singer Pur mit ihrem Festival längst bleibende Zeichen hinterlassen.