Erst wurde es belächelt, dann als Kommerz beschimpft und mittlerweile geht das Queen-Musical „We Will Rock You“ in seine dritte ausverkaufte Londoner Spielzeit. Dazu kommen Dependancen in Las Vegas, Sydney, Moskau und ab Dezember 2004 in Köln. Stets beteiligt: Regisseur und Autor Ben Elton, Queen-Gitarrist Brian May sowie Queen-Schlagzeuger Roger Taylor als musikalische Leiter. Zusammen mit einem fantastischen Team (Schauspieler, Produktion und Band) haben sie im altehrwürdigen Londoner Dominion Theatre ein perfektes Musical auf die Beine gestellt, das sich als mit den konventionellen Musical-Klischees wenig solidarisch erweist.
Da wäre vorderhand die Story. Oft abgeschmackt, unablässig schwülstig, beschränkt modern. Hauptsache mit pomadiger Romanze. Das Queen Musical wurde da gegenwartsnah und progressiv inszeniert: Britischer Humor. Derbe Seitenhiebe auf die Industrie. Witzige als Text eingebaute Songzitate von den Beatles über die Rolling Stones bis hin zu Cliff Richard, der in der Gesamtstory eine Menge aushalten muss. Und leidenschaftliche Hauptfiguren namens „Britney“, „Pop“ oder „Khashoggi“ sorgen für den ein oder anderen britischen Brüller. Natürlich geht es mitunter um eine Liebesgeschichte. Zwischen Musik und Hörer, aber auch zwischen dem Protagonisten Galileo (leicht wahnsinnig, auf der Suche nach der letzten Gitarre des Planeten und immer wieder mit als Queen-Songs getarnten Gehirnwäsche-Flashbacks) und seiner Partnerin Scaramouche (Typ: ausgeflippte Cyndi Lauper). Eine Geschichte, die in der Zukunft stattfindet, die visionär aufzeigt, wie es aussehen wird, wenn die Globalisierung durch ist und alle gleich sind. Es ist eine GaGa-Welt auf dem Planeten „Mall“. Doch es gibt Rebellen. Rockmusik-Rebellen. Die „Bohemians“. Sie leben im Untergrund und erinnern sich sehr gut an das Goldene Zeitalter, in dem Bands ihre Songs noch selbst komponierten. Sie nennen diese Zeit „The Rhapsody“.
Vor diesem Hintergrund taucht das Ensemble in London den Zuseher für fast zweieinhalb Stunden in eine Welt aus zirka 30 Queen-Hits (von einer brillanten Band gespielt), in eine Vision aus moderner Theaterkultur (herkömmliche Bühnen- und Szenenwechsel), eine Achterbahnfahrt aus Technicolor Klein-Bildschirmen, überdimensionale Videoleinwände und quer durchs Theater fahrbare Bühnenteile. Die befürchteten Massen-Choreographien bleiben aus, lediglich eine kleine, gut abgestimmte Tanztruppe bewegt sich überschaubar und nicht zu überkandidelt zur queen’schen Rockmusik.
Die Musik ist laut, aber herzlich. Das Publikum lässt sich vom ersten Song an („Innuendo“ als Intro gefolgt von „I Want To Break Free“) berauschen, sitzt zumindest auf den Parkett-Plätzen selten und klatscht selbstverständlich den „We Will Rock You“-Rhythmus wie mit einer Hand zum vorläufigen Finale, das lediglich durch die „Bohemian Rhapsody“ übertroffen wird, die oft während des Musicals akzentuiert, aber bruchstückartig angedeutet und nun endlich absolutiv von vorne bis hinten als Endstation der Rockreise gespielt wird.
Der Vorhang wird fünfmal geöffnet und geschlossen. Damen kreischen, Herren wollen die nach oben gerissenen Arme nicht mehr senken. Und wenn man das Theater verlässt, verarbeitet man mehr emotional als rational die Menge und Qualität an Hits, die Queen in ihrer Karriere abgeliefert haben und welch visionäre Gedanken in Freddie Mercury schlummerten. Ein Stück Rockgeschichte wurde in London aufgearbeitet und mit genug Platz zum Nachdenken inszeniert. Das ist vor allem einer klugen Story und einem modernen Zeitgewand zu verdanken. Die Vorfreude auf die Premiere in Köln (Dezember 2004) darf langsam gedeihen.
Die nmz hatte zudem die Gelegenheit in London mit Brian May und Roger Taylor über die bevorstehende Musical-Premiere in Köln und die Entstehung des Musicals (unter anderem auf Initiative von Robert de Niro) zu sprechen. Ausführliche Interviews dazu können Sie in der kommenden Oktober-Ausgabe lesen.