Nachdem sich immer mehr Komponisten vom Typus der Literaturoper verabschieden und in ihren Stoffen direkteren Zeitbezug suchen, hat heute die musikalisch dramatische Auseinandersetzung mit markanten Personen der Geschichte Konjunktur. Jetzt hat sich der Münchner Komponist Alexander Strauch des Boxerpaars Max Schmeling und Joe Louis angenommen. Eine ebenso erhellende wie vergnügliche Auseinandersetzung.
Ein Mythos braucht seine Rahmenbedingungen. In den Boxpaarungen zwischen Max Schmeling und Joe Louis kamen sie gleich gebündelt zusammen. Hier der schwarze Außenseiter von bulliger Kraft, vom weißen Amerika misstrauisch beäugt, in den Schwarzenvierteln als Idol gefeiert, dort der Deutsche, der mit seinen Erfolgen in den Nationalsozialismus hineinwuchs und weder Widerstandskämpfer noch blinder Parteigänger war und damit den deutschen Durchschnittsbürger repräsentierte, der freilich durch seine boxerischen Leistungen, durch die Heirat mit dem Idol Anny Ondra auf der Überholspur des Erfolgs segelte. Der Kampf zwischen Weißen und Schwarzen, der zukünftige zwischen u u USA und Hitler-Deutschland, das Eindringen Europas in die amerikanische Boxphalanx, ja sogar der Kampf von Kraft (Brauner Bomber) gegen den Geist (der berechnende Schmeling) flossen hier in einem Punkt zusammen.
Beim Boxen wie in der Musik kommt es immer auf das richtige Timing an. Die Geschichte hatte dieses Timing fast ideal vorgezeichnet. Nun war es nur noch auf die Bühne des Münchner „i-camp“ zu bringen.
Der Texter Marcus Hank und der Komponist Alexander Strauch hatten sich zum Boxopernprojekt „Joe + Max“ zusammengetan und konnten schon vorab mit einem Selbstläufer rechnen. Denn jeder Mythos ist Bühnengestalt per se.
Max Schmeling und Joe Louis wurden in je zwei Darsteller (die „echten“ Boxer und unter anderem Bayerischen Meister Max Wallner und Yalla Krüger) und zwei Sänger (Werner Rau und Kimako Xavier Trotman) zerlegt, weitere gut fünfzehn Rollen zwischen Adolf Hitler und der Mutter von Joe Louis wurden von der grandios agierenden Ursula Berlinghof gestemmt.
Und dann wurde die Geschichte der zwei Kämpfe, Schmelings Sensationssieg 1936, seine fürchterliche Niederlage 1938, gleichsam in Runden aufgeschnitten: mit Bildprojektionen und Zeitdokumenten, mit Echtzeit- oder Zeitlupennachstellungen im Ring. Es wurde ein zweistündiges Bilderbuch, das die Spannung über weite Strecken hielt und sich zum Ende hin eine reflektierend ausgedehnte Fläche gönnte.
Vier Musiker der harten Außenseite des Klangs (E-Piano, E-Cello, Saxophon, Vibraphon) sorgten für riffartige Einwürfe mit zeichensetzendem, immer wieder mit Zitaten spielendem Charakter.
Das war nicht nur musikalisch prägnant und stimmig zum Sensationsgeschehen mit all seinen menschlichen Weichstellen passend komponiert, es setzte auch die Kontur des ganzen Ablaufs. Was etwas stören mochte, war die Behandlung der zwei männlichen Singstimmen, deren expressive Parlandogestik in dieser Umgebung eher befremdlich wirkte. Sonst aber konnte man ein weiteres erfolgreiches Glied in der neuen Form der Sportoper (Fußball und Eishockey, auch eine Annäherung ans Boxen hatten wir schon) verbuchen: mit Reflexen, Kontern, politischen Rechts-Links-Kombinationen, Tiefschlag und Tiefgang.