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Polizeichef Enver Sahin, gespielt von Oscar Ortega Sánchez. Foto: David Baltzer
Polizeichef Enver Sahin, gespielt von Oscar Ortega Sánchez. Foto: David Baltzer
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Brünnhilde in der Bagdad-Bahn – erstmals „Ring“-Klänge bei den Nibelungenfestspielen Worms

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Vor dem Wormser Dom rundet sich bei den Nibelungenfestspielen 2017 nach „Gemetzel“ und „Gold“ mit „Glut – Siegfried von Arabien“ die Trilogie des Dramatikers Albert Ostermaier (geb. 1967). In jeweils veränderten Rahmen packte er das in Worms so vertraute Sujet, verdrehte überraschend Perspektiven und Rahmensituationen. Was diesmal herauskommt, ist echt unerhört. Erstmals erklingt bei diesen Festival mit dem „schönsten Theaterfoyer Deutschlands“ (so Worms Oberbürgermeister Michael Kissel beim Promi- und Premierenempfang im Park des Heylshof) auch echter Richard Wagner: Erst live in ungewöhnlichstem Klanggewand, dann „full score“ als Zuspielung „Music Minus One“ mit umso mehr authentischem, echtem dramatischen Heroinensopran. Stargast vom Musiktheater in einer markanten Sprechtheater-Ensembleschar keine Geringere als Nadja Michael.

Wenn die übrigens ausgezeichnete Party-Band der Pfälzer High Society vor und nach dem Bühnenspiel mit dem „Rosaroten Panther“ und „Miss Marple“ aufwartet, wirkt das wie Konzept. Albert Ostermaier nimmt seine Zuschauer vor dem Wormser Doms im Fast-Vollmond mit auf die weite Reise von Konstantinopel in den Iran in einer szenisch rasanten Überzeichnung, die schließlich in Brünnhildes Schlussgesang aus „Götterdämmerung“ gipfelt. Denn kurz davor versagen alle Worte des sprachgewaltigen Autors und seines ebenso spielgewaltigen Ensembles in dem Spionage-Abenteuer zwischen den Kulturen, das den Figurenkonfrontationen im zweiten Teil des Heldenepos „Der Nibelungen Not“ immer mehr ähnelt. Für ein größeres Freilichttheater mit 1136 Sitzplatzen beinhaltet diese Story sicher das Höchstmaß der Publikumsbeanspruchung. Am Ende gibt es deshalb neben großer Begeisterung auch dezent artikulierte Ratlosigkeit.

In der Bagdad-Bahn reist neben einer illustren Gästeschar der ersten Klasse A im unteren Preissegment die spartenübergreifende Compagnie „Notung“. Mitten im Ersten Weltkrieg, 1915. Das Ensemble um den „jüdischen Siegfried“ Leutnant Stern (Till Wonka) hat viel Wagner im Gepäck, mit dem es Scheich Omar für deutsche Kultur begeistern will. Doch das ist nur die Außenseite der Mission. Die als Kulturbotschafter getarnte Agentengruppe soll nämlich die so wichtigen Erdöl-Pipelines zerstören und den muslemischen Potentaten in den Heiligen Krieg gegen die Feinde des Deutschen Reiches, also England und Frankreich, hetzen.

Zwei Zugwaggons auf Gleisen und im zweiten Teil ein riesiges Beduinenzelt kehren vor dem mächtig angestrahlten Wormser die Perspektiven um, machen das Horrorszenarium international und exotisch. Im Ensemble „Notung“ verwischen und vermischen sich die Realität der Reise und die metaphorisch-phantastischen Figurenbeziehungen innerhalb ihres Spielgegenstands zunehmend. Autor Ostermaier schiebt die vom Historiker Veit Veltzke entdeckte historische Episode in die Konstellationen des Heldenlieds: Der Mitreisende Hauptmann Klein trägt Mitschuld am Tod des früheren Liebhabers der Doppelagentin Gräfin Falke, die jetzt an der Seite von Scheich Omar lebt und den Untergang der Compagnie „Notung“ befeuert wie Kriemhild den Untergang der Nibelungen am Hof Etzels.

Nuran David Calis quirlt in seiner Regie über vor Riesenlust an Ostermaiers dramatischen Trapezseilakten, dem Genremix von internationalem Boulevard, Salonkomödie, Monstretragödie, Actionmovie, Bühnenhappening und am Ende schließlich doch noch der ganz großen Oper, die wie die Gesellschaftsparade rundum als aufgedrehtes, verspieltes Pingpong gegen den Grünen Hügel beginnt. Heio von Stetten (Hauptmann Klein = Hagen), Mehmet Kurtulius (Omar = Etzel), Alexandra Kamp (Gertrude Nachtigall-Bellhof = Brünhild), Dennenesch Zoudé (Gräfin Falke = Kriemhild) gehen in den sich verschlingenden Wirrnissen zwischen realen Begegnungen, Doppelhandlungen und dem von Ostermaier mit immer farbigerer Sprache und breiteren Satzmelodien ausgebreitetem Sog des Untergangs.

Bunte, bedrohliche und gerade deshalb verzaubernde Welt

Auf der anderen Seite einige internationale Persönlichkeiten wie Valerie Koch (wird als Agentin des Deutschen Reiches zum bipolaren Vamp), Georgios Tsivanoglou (Zugchef, der mit ausgerechnet mit einem Briten das „deutsche Laster“ zelebriert) und Ismail Deniz (als durch Schlangenbiss verletzter russischer Prolo-Prinz). Man merkt es schon: Es ist eine bunte, bedrohliche und gerade deshalb verzaubernde Welt, die da von Irina Schickedanz (Bühne), Amélie von Bülow und Carina von Bülow-Conradi (Kostüme) entfesselt wird, dabei Fragen aufwerfend, und der es deshalb hervorragend gelingt, Wagners Musik zum Glück nicht als schmelzende, alleinseligmachende Klangkulisse zu verharmlosen. Videos mit Details auf die Darstellergesichter, Projektionen aus dem nicht einsehbaren Beduinenzelt und Ton leisten Außerordentliches. Auch da spielt das Festival inzwischen in der ersten Reihe.

Für Wagneraffine Enthusiasten, von den Nibelungenfestspielen jetzt zum allerersten Mal umworben, enthält „Glut“ eine faszinierende Verdrehung: Reisebegleiter ist ein achtköpfiges Instrumentalensemble, das den „Ring des Nibelungen“ mit exotischen Instrumenten wie Kabak Kemane (Kürbisgeige), Kanun (Kastenzither) und Duduk (armenische Flöte) Richtung Osten verortet. Der Klang ist auch deshalb überwältigend, weil sich in Zwischenstimmen noch nie so gehörte Motivkombinationen entwickeln. Bassem Alkhouri zieht Alberichs Fluch und Siegfrieds Tod vokal in einen leichteren tenoralen Kontext. Die so bei Wagner stehenden, aber im Orchestermischklang nicht so deutlich vernehmbaren Satzmomente geraten absolut stark, der Übergang von der Trauermusik in den Schlussgesang faszinierend.

Es ist Nadja Michaels erste spartenübergreifende Produktion und ihre real geflutete Brünnhilde wird zur musikalisch-symbolischen Kuppel des Abends. In den am Ende wie Wagners Nornenseil verschlungenen Inhalts- und Ausdrucksfetzen will Albert Ostermaier mit seinen Worten keinen Ausweg in die erlösende Apokalypse finden, das überlässt er letztlich doch Wagner und seiner Primadonna. Am Ende, wenn diese gertenschlanke Walküre mit strahlenden Stentortönen vom „Brand in Walhalls prangende Burg“ singt, wird der Platz von dem Wormser Dom zur Engelsburg, ist diese Brünnhilde im weißen Einhorn- und Engel-Ornat auch eine Tosca. Eigentlich schade, dass die Leitungscrew im Nibelungen-Intendant Nico Hofmann vor dem radikalen Kunstgriff eines orientalisch instrumentierten „Götterdämmerung“-Finales offenbar Muffensausen bekam. Da wäre in den neuen Reibungen und leichten Intonationsverschiebungen der beiden glänzend artikulierenden Stimmen dieser knarzige, raue und dabei so sinnlich-aufreizende Klang erst recht zum großen Ereignis geworden.

Eine kleine Nuance zu übersteuert

Auf der riesigen Bühne wirkt das rundum mitreißende Spiel der Darsteller letztlich doch eine kleine Nuance zu übersteuert. Sicher, das ist die große Lust und Emphase am großartigen Augenblick. Das Hinübergleiten aus der ersten Realitätsebene in der Bagdad-Bahn hinüber in die Nibelungen-Sphäre vollzieht sich hier schnell absehbar von der Revueburleske des Ensembles „Notung“ in die Ideendiskussion der politischen Gegner und dann in die musikalische Apokalypse. Aber nichtdestotrotz hat dieses Spektakel einen satten Gestus, der immerhin so stark ist, dass man sich von der Ideenfülle und den vielen Pointen auch dann mitreißen lässt, wenn man an die hier leicht erreichbaren Verständnisgrenzen kommt. Aber das darf man, weil Ernsthaftes neben Humorblitzen steht und neben der großen Geste der gut gesteuerte Spieltrieb. Ein Höhepunkt mit nur minimalem Regionalkolorit, das tut gut.

 

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