Hauptrubrik
Banner Full-Size

Buddhistische Träume aus Licht und Elektronik

Untertitel
Jonathan Harveys „Wagner Dream“ am Grand Theatre de Luxembourg uraufgeführt
Publikationsdatum
Body

1883, Venedig. Familienkrach im Hause Wagner. Richard streitet mit Cosima. Es geht ums Kleine wie ums ganz Große. Das Erscheinen einer sehr jungen und äußerst attraktiven Sängerin macht Cosima spürbar nervös. Carrie Pringle hatte einen ersten kleinen Auftritt im „Parsifal“ und fühlt sich nun zu Höherem berufen. Neben diesem eher irdischen Konflikt treibt die Wagners jedoch noch etwas ganz anderes um. Ein Lebensoperntraum namens „Die Sieger“. Nur in Richards Kopf existiert die buddhistische Geschichte um das Mädchen Prakriti und den Mönch Ananda. Beide haben schon einiges ohne und nebeneinander durchgemacht, in verschiedenen Inkarnationen fanden sie nicht zusammen. Jetzt schließt sich ein Kreis, sie treffen, finden und lieben sich, allerdings nur platonisch-spirituell…

Mit dem Traum friedvoller Entsagung im Kopf stirbt Richard Wagner, ein Herzanfall sorgt dafür, dass die „Sieger“ nicht mehr aufs Notenpapier gebracht werden können.

Der französische Autor Jean-Claude Carrière hat ein ebenso fantasievolles wie an einigen Stellen leicht kitschiges Libretto verfasst. Sehr blumig ist die Sprache, arg pathetisch kommt so mancher Lieb- und Leidgesang daher – sehr gelungen allerdings das Spiel mit und auf zwei Ebenen. Die „reale“ Wagner-Welt spricht und streitet sich nämlich in bestem Oxford-Englisch, die erträumte Oper ist aber ist reine, sehr komplex gebaute Musik. Der Engländer Jonathan Harvey (geb. 1939) ist nicht nur ein Fachmann für elaborierte Klangverbindungen, sondern auch Buddhist. Ein besonderes Interesse Harveys gilt dem ‚Stehenbleiben‘ der (musikalischen) Zeit.
In Harveys Partituren findet sich oft ein dicht gewebtes Netz aus Klangfiguren, die durch den Einsatz von Elektronik eine neue, raumgreifende Dynamik entwickeln. Da wandern Töne, Akkordfolgen, manchmal auch Melodien durch den Raum, treffen sich, überlagern sich und scheinen urplötzlich still zu stehen. In „Wagner Dream“, Harveys dritter Oper, grummelt es gelegentlich wie bei Stockhausens unterm Sofa, ein andermal mäandern, wuchern die Klänge traumverloren durch den Theatersaal. Uraufführungsregisseur Pierre Audi sorgte in Luxemburg vor allem für gute Lichtstimmungen. Über dem Orchestergraben, in dem rund zwei Dutzend exzellente Musiker des ICTUS-Ensemble unter der Leitung von Martyn Brabbins spielen, hat Audi eine Reihe von unterschiedlich beleuchtbaren Neonröhren anbringen lassen. Darüber ist eine kleine Rampe gebaut, die ein bisschen aussieht wie die Weltscheibe von Wieland Wagner. Dort spielt im Wesentlichen die Opernhandlung, davor läuft das Wagner-Konversationsstück ab. Audis Inszenierung überzeugt durch gute Personenführung und eine kluge Lichtregie, allerdings gerät vor allem die buddhistische Liebesgeschichte durch den Einsatz allzu farbenfroher Kleidung und teils sehr pathetischer Gesten immer wieder doch in die Nähe von Sakralkitsch.

Insgesamt entsteht jedoch ein suggestiver Opern-Trip, der von den diversen Projektionen an der Bühnenrückwand noch verstärkt wird: Es ziehen düstere Wolken oder auch ganz abstrakte Formen vorüber. Die teils sehr deutlich von Benjamin Britten beeinflussten Gesangslinien brachten vor allem Claire Booth als liebendes Mädchen und Gordon Gietz als in sich ruhender Mönch zum Leuchten. Eindrucksvoll außerdem Rebecca de Pont Davies und Dale Duesing, der als leibhaftiger Buddha auftrat. Ausgezeichnet sechs Choristen, deren Sehnsuchtsgesang oder Kommentar gelegentlich hereinschwebte. Die aufwändige Live-Elektronik programmierte Gilbert Nouno vom Pariser IRCAM, der Komponist höchstselbst sorgte an den „Mischpulten“ für ihre Realisierung.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!