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Amneris im Brautkleid presst Aida gegen Ramadés (in Uniform). Amonasro hält von der anderen Seite gegen. Im weißen Bühnenbild steht die Komparserie wie Statuen an der linken Wand und auf der flachen Decke eines Zimmers sitzt ein Clown.

Noch auf dem Weg zur Überfrachtung: Elīna Garanča (Amneris), Marina Rebeka (Aida), Yusif Eyvazov (Ramadés), Gabriele Viviani (Amonasro), Komparserie. Foto: Herwig Prammer

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Calixto Bieito verzettelt sich bei Verdis „Aida“ an der Berliner Staatsoper Unter den Linden

Vorspann / Teaser

1871 wurde sie im Opernhaus in Kairo uraufgeführt, die Oper „Aida“ von Giuseppe Verdi. Eine Auftrags-Oper für das geopolitische Ereignis der Eröffnung des Suezkanals, das der Herrscher (Khadive) Ali Pascha von Ägypten bei Giuseppe Verdi in Auftrag gegeben hatte. Es ist eine Kriegs- und Liebestragödie, halb Grande Opéra, halb lyrisches Drama, nach einem Entwurf des Gründers der ägyptischen Antikenverwaltung und in Kairo lebenden Ägyptologen Auguste Mariette. Das Libretto stammt von Camille du Locle. Die Berliner Staatsoper hat nun eine Neuproduktion dieser Oper herausgebracht.

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Drei Personen sind der Ohnmacht angesichts der Herrschenden, der Priester­kaste und des Kriegs, ausgeliefert: Radames, ein schwacher Kriegsheld, Amneris – die ägyptische Königstochter – eine neurotisch grausame Aristokratin und Aida, Sklavin und Tochter des äthiopischen Königs, ihre Nebenbuhlerin. Auch sie liebt Radames. Sie ist (nach Gilda, Leonora und Violetta) ein Sinnbild reiner unschuldiger Weib­lichkeit, eine Allegorie intakten Menschseins. Aber Menschlichkeit hat keine Chance in Zeiten des Krieges. Das wollte Verdi mitteilen. Was für eine Aktualität! Das Stück wird oft als Ausstattungsoper verkannt, aber es ist eigentlich als Oper über Ende aller Utopien gedacht, eine bürgerliche Oper der Verdizeit, in der Ägypten nur Metapher ist, wie ja auch schon bei Mozart in der Zauberflöte.

Regisseur Calixto Bieito – er galt einst als enfant terrible unter den Opern­regisseuren – nimmt Verdi ernst und zeigt das Eifer­suchts­drama zwischen einer ägypti­schen Königstochter und einer gefangenen äthiopischen Prinzessin, die sich um den Feldherrn Radames streiten, ohne allen pseudohistorischen Mummenschanz.

Schön – aber gut?

Keine Pyramiden, keine sonstigen Ägyptenklischees, keine brennenden Opferschalen und kaum Weihrauch. Dafür huldigt er desillusionierender Gegenwart und politischer Polemik. Er zeigt ein antikapitalistisches, antikolonialistisches Stück in einem weißen würfel­artigen Raum mit absenkbaren Deckensegmenten und variablen Öffnungen. Bühnenbildnerin Rebecca Ringst hat ihn entworfen. Man kann ihm ästhetische Qualitäten nicht absprechen. Es ist eine Art Palast, Archiv, Museum. Ein Museum der Erinnerungen, in dem familiäre Machtkämpfe stattfinden. Schön und gut. Doch Bieito überfrachtet sein Konzept mit Symbolen, Anspielungen, politischen Lippenbekenntnissen und Kriegs- oder historischen Safari-Videos, auch Videosequenzen überfüllter Warenhäuser werden gezeigt (Videodesign Adrìa Reixach). Schließlich wird ein Plakat gezeigt, auf dem steht „Let´s make a lot of money“.

Wir verstehen: Das soll Kritik an unserer Konsumgesellschaft meinen. Die Priester treten auf wie weißgekleidete Polizisten mit Gewehren unter schwarzen Tüchern. Ramphis, der Oberpriester sieht aus wie ein schwarz uniformierter Soldat, mit christlichem Collardhemd und Priesterstola. Nicht nur die Ägypter, auch die Christen sind also gemeint. Heimlich nimmt Ramphis einen Drink aus der Hausbar im aufgeklappten Globus. Der Chor darf mal in Fracks und Krinolinen-Kostümen der Verdizeit auftreten, mal in karierter Einkaufskleidung mit entsprechenden Einkaufstaschen, Alles hübsch arrangiert und choreographisch bewegt. Kinder wühlen in Technikmüll, Flüchtende, Asylanten, gefesselte Gefangene mit schwarzen Tüten über dem Kopf paradieren. Und immer wieder wird mit der Kalaschnikow oder dem Colt gefuchtelt. Radames darf mal in Abendrobe, mal in Nato-Kampfanzug auftreten, der König in seiner farbprächtigen exotischen Kostümierung erinnert an einen arabischen Diktator à la Muammar al-Gaddafi. Eine Wand mit Jagdtrophäen und Fellen wird hochgefahren. Die beiden Königstöchter kämpfen in glitzernden, strassbesetzten Abendkleidern mit der Liebe und gegeneinander, Amneris im goldfunkelnden, Aida im giftgrünen.

Zu viel des Guten?

Am Ende, wenn Radames bei leben­digem Leibe unter dem Tempel eingemauert werden soll, große Ernüchterung. Er sitzt gefesselt auf einem Stuhl, Aida wird von Amnneris, in die äthiopische Flagge gehüllt, hereingeschleift und röchelt ihr Leben auf dem Fußboden aus. Selten hat man einen der schönsten Liebestode der italienischen Oper profaner erlebt. Und immer wieder läuft ein grinsender Clown mit Grotesk-Maske durchs Bild, er vermehrt sich im Laufe des Abends. Der Clown der Geschichte?

Die Produktion ist ein Patchwork der Absichten, Zeiten, Stile und Regieeinfälle. Schon der Zwischenvorhang zu Beginn zeigt ein bezeichnendes Patchwork von Hemden und Fetzen, geschmäcklerisch beleuchtet. Diese Inszenierung entbehrt zwar allen konventionellen Ägyptenkitschs, wartet aber mit einer plakativen Machart auf, die an verbrauchtes und abgeschmacktes gesellschafts- und geschichtskritisches Regietheater von gestern erinnert. Dafür wurde der Regisseur vom Publikum mit eindeutigen Buhsalven abgestraft. Immerhin ist die Produktion musikalisch und sängerisch superb.

Musikalisch begeistert Unter den Linden

Ein stimmlicher Vulkan ist Elīna Garanča, eine Amneris von phänomenaler Durch­schlags­kraft. Klangschön, wenn auch etwas unterkühlt sang Marina Rebeka die Aida. Stimmlich nobel, aber darstellerisch vielleicht etwas zu harmlos gab der Bassist René Pape den schurkigen Oberpriester Ramphis. Der Heldenbariton Gabriele Viviani war ein mächtiger Äthiopierkönig Amonasro, Grigory Shkarupa ein ebensolcher ägyptischer König. Yusif Eyvazov schmetterte krafttrotzend den Feldherrn Radames. Geballte Stimmpotenzen, wie man sie Unter den Linden selten hört. Der Chor war, wie meist, präzise und differenziert.

Dirigent Nicola Luisotti machte der Staatskapelle ordentlich Beine, setzte auf Attacke, Tempo und scharf ausgeleuchtete Strukturen und Details. Ihm gelang spannungsreich die Fäden zusammenzuhalten und wenigstens musikalisch Verdis Aida zu beglaubigen.

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