Das Festival „music unlimited“ im oberösterreichischen Wels spannt seit mehr als drei Jahrzehnten den Bogen von freier Improvisation über zeitgenössische Musik bis hin zu modernem Rock und avantgardistischer Elektronik. Und das überaus erfolgreich. Die 33. Auflage, die vom 8. bis 10. November im Alten Schl8hof und an mehreren Orten in der Stadt stattfand, war einmal mehr ausverkauft. In diesem Jahr holten die Veranstalter gleich drei Jubilare auf die Bühne: die Pianistin Magda Mayas, den Gitarristen Kazuhisa Uchihashi und den Saxofonisten Joe McPhee, die anno 2019 ihren 40., 60. beziehungsweise 80. Geburtstag feierten. Als Dank durften sie das Festival gemeinsam kuratieren. Holger Pauler mit seinem Festivalbericht.
Dabei machten sich die Kuratoren das größte Geschenk selber. In acht der insgesamt 18 Konzerte steht mindestens einer der drei Musiker auf der Bühne, am Samstag, beim Nachmittagskonzert im Kirchenschiff des ehemaligen Minoritenklosters spielen sie sogar gemeinsam im Trio. Die Musiker finden dabei spät aber nicht zu spät zueinander. Im zweiten Stück, dominiert vom spirituell-freien Spiel McPhees, entwickelt sich endlich der Sound, auf den alle warteten: Mayas erzeugt schwebende Kaskaden auf dem präparierten Piano, die gemeinsam mit psychedelischen Licks auf der Gitarre und dem Saxofon eine warme Fläche bilden. Es fehlt nur noch der Afternoon Tea.
Bei zahlreichen Auftritten steht das Thema „Reduktion“ oben auf der Agenda, sowohl was Lautstärke und Dynamik als auch die Anzahl der gespielten Noten und Töne angeht. In Zeiten der permanenten Reizüberflutung ein cleverer Schachzug. Doch nicht immer ist weniger gleich mehr, wie etwa das Eröffnungskonzert von Magda Mayas „Filamental“ (mit Anthea Caddy und Aimée Theriot am Cello, Rhodri Davies und Zeena Parkinn an der Harfe, Angharad Davies an der Violine, Michael Thieke an der Klarinette und Christine Abdelnour am Saxofon) zeigt. Die Ensemble-Mitglieder orientieren sich an einer offenen, minimalistischen Foto-Partitur, die laut Mayas einen „Gedankenzustand oder eine Denkweise“ vermitteln soll. Das funktioniert immer dann, wenn die Musiker zu zweit oder zu dritt in den Dialog treten, im Gruppenklang verlieren sich die Gedanken im Durcheinander der Töne.
Echtzeit-Komposition
Wesentlich besser machen es Sainkho Namtchylak (voice), Ned Rothenberg (reeds) und Dieb13 (turn). Rothenberg erweist sich sowohl auf Klarinette, als auch auf Saxofon und Flöte als Meister der Zirkularatmung und der lyrischen Spaltklänge. Namtchylak genießt es – anfangs noch mit einem über das Gesicht gezogenem, roten Shirt – damit zu arbeiten und ihre schrägen Kommentare abzugeben: Sie nutzt alle Facetten ihrer angeblich sieben Oktaven umfassenden Stimme, vom tiefen Grummeln bis hin zum grellen Schrei. Die Klänge sind später kaum noch zuzuordnen, woran das stets passende, aber selten dominierende Live-Sampling von Dieb13 einen hohen Anteil hat. Er bedient sich dabei nicht nur der Klänge seiner Mitspieler, sondern greift auch ins eigene Archiv. Komposition in Echtzeit.
Das „A Trio“: Highlight des Festivals
Manchmal hat auch die Tagespolitik Einfluss auf das Geschehen. Das „A Trio“ reiste aus Beirut an, wo seit Wochen Demonstrationen gegen die Regierung stattfinden. Lange ist nicht klar, ob sie es rechtzeitig schaffen. Mazen Kerbaj nutzt den Auftritt zur der kurzen Ansage, dass die Herzen der Musiker bei ihren Freunden und Landsleuten seien. Musikalisch sind die Musiker sofort bei der Sache. Neben ihren präparierten Instrumenten benötigen sie zahlreiche Objekte und elektronische Effekte, um ihren dichten Gesamtsound zu erzeugen. Raed Yassins Bass liegt dabei seitlich auf der Bühne und dient vor allem als Klangkörper. Bauch und Saiten des Instruments werden dabei gerne mit zwei Bogen bearbeite. Kerbai schließt seine Trompete derweil an einen Schlauch an und taucht in tiefe Sphären ab, während Sharif Sehnaoui seiner akustischen Gitarre Laute entlockt, die man sonst nur Elektronikern zutraut. Fluxus ist ein Einfluss, freie Improvisation aber auch zeitgenössische Komposition sind andere. Die Performance beschränkt sich hier nicht auf das Abrufen von Tonleitern, Licks oder Patterns - das Ensemble schafft einen einheitlichen Zusammenhang musikalischer Artikulation, der vor allem durch die Auswahl der Instrumente und der Art, sie zu spielen, geregelt wird. Der Auftritt ist vielleicht das Highlight des Festivals.
Die Macher von „music unlimited“ achten seit Jahrzehnten darauf, dass die Frauenquote eingehalten wird, in der Hoffnung, irgendwann auf derartige Regulierungen verzichten zu können. Der Auftritt des Trios Ami Yamasaki (voice), Christine Abdelnour (s) und Katharina Ernst (dr) zeigt, dass diese Hoffnung durchaus begründet ist. Abdelnour bevorzugt hier die Zirkularatmung und nähert sich so elegant dem Räuspern, schweren Atmen, Husten, Schreien, Lachen Yamasakis. Die Klänge entwickeln sich eher langsam und bedächtig, laute Parts sind die Ausnahme, sorgen aber regelmäßig für Schrecksekunden. Das Schlagzeug dient über weite Strecken eher als perkussive Begleitung, denn als Taktgeber, erst spät mutiert es zur monotonen Maschine. Auch hier gilt, was schon beim Trio Rothenberg/Dieb 13/Namtchylak zu hören war: die Klänge lassen sich mitunter kaum den Quellen zuordnen – hier allerdings ohne Unterstützung des Live-Samplings.
Dass bei einem dreitägigen Festival nicht alles funktionieren kann, liegt in der Natur der Musik, die sich größtenteils dem Experiment, der (freien) Improvisation, kurz: dem Spontanen und oft Unvorhersehbaren verschrieben hat. Im Nirwana endet etwa der Auftritt von Joe McPhees „Special Wels Ensemble“ (mit Mette Rasmussen (s), Noid (vc), Irene Kepl (vl) und Dennis Tyfus (elec)). Nur für kurze Zeit schaffen es die Musiker die Balance zu halten, je länger das Konzert dauert, desto mehr franst es aus. Statt eines Kollektivs stehen nurmehr Solisten auf der Bühne, die mit sich selbst zu beschäftigt sind. Spannend wird es immer dann, wenn Rassmussen und Kepl sich in den Vordergrund spielen.
Auch das um Joe McPhee erweitert Trio des Saxofonisten Rodrigo Amado (mit Kent Kessler am Bass und Chris Corsano am Schlagzeug) sorgt für wenig Begeisterung, was auch an der Tatsache liegen mag, dass der klassische Free Jazz, der mittlerweile zum Kanon der improvisierten Musik gehört, niemanden mehr erschrecken kann – zumindest dann nicht, wenn auf Sicherheit und Halten gespielt wird. Auf einem Festival wie „music unlimited“ wirkt das sogar beinahe exotisch. Spannend wird es immer nur dann, wenn Joe McPhee sich einschaltet, um den „Wohlklang“ zu stören.
McPhee fühlt sich an der Seite Amados dennoch wesentlich wohler als im Trio mit Klaus Kugel (dr) und John Edwards (b), wo er allein für das Saxofon zuständig ist und keinen echten Anschluss an seine Mitspieler findet. Edwards ist hier eindeutig der Taktgeber und Arrangeur – letzteres natürlich nicht im klassischen Sinne: Er ist es, der das Trio gestenreich durch die schwierigen Phasen des Konzerts dirigiert, Verbindungen herstellt, Tempi und Dynamik variiert. Der Auftritt lebt vor allem von rhythmischen Vieldeutigkeiten; oft weiß man nicht: ist das noch dekonstruierter Swing oder schon frei-metrisch?
Das Trio „Altered States“ um Kazuhisa Uchihashi, Mitsuru Nasuno (dr) und Yasuhiro Yoshigaki profitiert schließlich am letzten Abend vom Gastspiel des Saxofonisten Frank Gratkowski. Die permanente Veränderung ist hier Programm: Themen werden oft nur angerissen, maximal einmal wiederholt. Und egal, ob es in Richtung Noise, Free Jazz, Art-Rock, Ambient oder Dub geht, Gratkowski findet auf alles eine passende Antwort und nicht nur das: Er erweitert den Gruppenklang durch Überblasen, Spaltklänge und Shouts. Und wer dann noch den Fusion-Sound gelassen ignoriert, zu dem sich das Trio mitunter hinreißen lässt, erlebt einen wunderbaren Abend.
Dass das Festival Jahr für Jahr auch um Anerkennung und finanzielle wie politische Unterstützung kämpfen muss, ist bekannt. Die seit rund drei Jahren in Wels regierende FPÖ hat wenig am Hut mit einer Musik, die sich der wirklichen Freiheit, der Überwindung nicht nur künstlerischer Grenzen und der Aufforderung Adornos, „Chaos in die Ordnung zu bringen“ verschrieben hat. Solange aber die Macher sich davon nicht unterkriegen lassen und Musiker wie Besucher sich solidarisch zeigen und Jahr für Jahr zahlreich erscheinen, muss man sich keine Sorgen um die Zukunft dieses einzigartigen Festivals machen.