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Elza van den Heever (Norma). Foto: Barbara Aumüller
Elza van den Heever (Norma). Foto: Barbara Aumüller
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Christof Loy überwältigt in Frankfurt mit Bellins „Norma“

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Mondpriesterin, Gallier, Römer, Druiden, Irminsul, Mistelzweige – alles für einen Sandalenfilm zwischen „Cäsar“ und „Vercingetorix“… Regisseur Loy zu seinem Ansatz: „Ich spürte, dass Elza van den Heever einen Raum braucht, wo sie nicht durch Dekoratives sich selbst reduziert, sondern über sich hinauswächst.“ Das führte zu Faszination und Tränen.

Vincenzo Bellini sagte 1834 „Die Oper muss durch ihren Gesang weinen, schaudern, sterben machen“. Entgegen der Reduktion auf schwelgerisches Singen von „Casta Diva“ stellte Regisseur Loy fest: „Das Stück zeigt in erschreckender Weise, dass wir Menschen Tiere werden können, zum Glück aber auch den Ausweg durch sehr viel Leid den Weg zurück zu finden.“ Das zeigt er anhand einer sich seit Jahrtausenden ähnelnden, also zeitlosen Besatzungssituation, in kahlen, hölzernen Lagerhallen und Bretterräumen (Bühne: Raimund Orfeo Voigt), alle in abgenutzt grauer Alltagskleidung (Ursula Renzenbrink). Die jahrelang aufgestaute Wut zwischen den Parteien schwelt: unter Anführer Oroveso (solide: Robert Pomakov) schleppen die unterdrückten Männer eine Munitionskiste herein; doch darin befinden sich zunächst nur Bücher – momentane Assoziation: „Fahrenheit 451“, jeder rettet ein Buch – aber beim Aufklappen ist in den ausgeschnittenen Seiten eine Pistole versteckt. Doch neben der im differenziert spielenden Chor wabernden Aufstandsglut (Einstudierung: Tilman Michael) hat sich längst auch eine inakzeptable Liebesbeziehung zwischen dem Besatzer Pollione und der spirituellen Anführerin der Unterdrückten Norma ergeben: aus dem zugrundeliegenden Schauspiel hat Loy übernommen, dass die beiden Buben im Kellergeschoß schon sechs bis acht Jahre alt, aber angesichts der unerklärten Zerrissenheit der Mutter verstört sind, sich ungeliebt fühlen und dem verheimlichten Vater entgegenfliegen. Doch wie so real nach Jahren und Kindern: die erotische Anziehung zwischen den Partnern ist verflogen; zärtliche Familiengeborgenheit kann nicht gelebt werden; der Mann hat sich in eine neue Schönheit verliebt – Adalgisa, die er aus ihrem spirituellen Umfeld lösen und mit in die Hauptstadt nehmen will.

Das daraus erwachsende Chaos zwischen restriktiven Bindungen und einst wie jetzt entgrenzten Emotionen hat Loy in bestürzend präzises und erschreckend nahes Gegen- und Miteinander gefasst. Dass daraus überwältigendes musikalisches Gleichnis-Theater erwuchs, war den schon sprichwörtlichen Frankfurter Qualitäten zu danken: neben allem visuellen „type-casting“ hat der als Casting-Direktor treffsichere Intendant Bernd Loebe eben auch fulminante Stimmtypen gefunden. Dem Pollione von Stefano La Colla glaubte man den schon etwas Behäbigkeit ansetzenden Beziehungsfrust und die neu entflammte tenorale Virilität für Adalgisa. Der musste Gaëlle Arques nicht erotische Attraktivität aufsetzen, sondern besaß und verströmte sie in mal betörend strömenden, mal verzweifelt gequälten Mezzosopranphrasen. Äußerlich der perfekte verführerische Kontrasttyp zu Norma, mischte sich ihre Stimme belcantistisch ideal mit dem Sopran von Elza van den Heever. Ihr gehörte der Abend und als sie nach dem vielfach auflodernden Feuer, dem Blackout des schwarzen Zwischenvorhangs kurz darauf allein in einem Spot des rauchgeschwängerten, dunklen Bühnenraums stand, hätte sie die ohrenbetäubende Ovation des ausverkauften Hauses fast umgefegt.

Da stand im dunklen, banalen Alltagskleid eine reife Frau, der man ihre zwei Kinder ansah, die schon auch noch attraktiv wirkte, aber eben geprägt von den jahrelangen Lebenslügen – dass es schon gut gehen wird, dass es eine Lösung gibt, dass die Liebe wiederkehren wird, dass wieder wird wie einst… und die mit einem vom Pianissimo bis in dem tosenden Ausbruch faszinierend mühelosen, durchweg gesund klingenden Sopran das Felsenstein-Ideal der „Sänger-Darstellerin“ erfüllte. Da war die Medea-Furie mit dem Messer für den Kindsmord – und dann auch Brot schneidend für sie; da war die Umarmung für die Buben und die Wut, nicht frei zu sein; da war das Verständnis für das Liebesgeständnis Adalgisas – und die schneidende Eifersucht, als Pollione als Partner offensichtlich wird.

Als im ersten Finale Pollione, die heraufgeholten Kinder, Adalgisas entsetztes Erkennen und Normas Furor förmlich explodierten, war aus Bellinis intendiertem „Schaudern“ auch zu erhören und erleben, woher später ein Verdi bis zu Mascagni oder Giordano ihren Verismo nahmen. Dass dann der zweite Akt noch eine Steigerung brachte, Normas im Tod ergebene Liebe zu Pollione und dessen späte Ahnung eigenen Versagens in Antonio Foglianis fein differenziertem Dirigat zu einem anrührenden Schlussgipfel aufleuchteten – ja, derartiges musikalisches Theater kann weinen machen. Prädikat: Unbedingt anreisenswert – doch in dieser Saison restlos ausverkauft – aber für die Serie in der Saison 2018/19 mit fast identischer Besetzung gibt es noch Karten.

  • Premiere am 10.06 – Besuchte Aufführung am 23.06.

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