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NIMMERSATT von EVE GEORGES & JIRO YOSHIOKA. 
Foto: © Judith Buss

NIMMERSATT von EVE GEORGES & JIRO YOSHIOKA. 
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Courage und Ödnis: Die Biennale-Uraufführungen „nimmersatt“ und „Shall I Build a Dam?“

Vorspann / Teaser

Was für ein Kontrast bei der Münchener Biennale für Neues Musiktheater am Montag zwischen zwei Stücken über lebenswichtige Ressourcen. In „nimmersatt“, Beitrag der Hochschule für Musik und Theater München, geht es um Nahrungsketten. Das Ensemble überraschte mit einer zündenden Gesamtleistung und intelligentem Griff nach der Musik von Jiro Yoshioka und Eve Georges. „Shall I Build a Dam?“ von Kai Kobayashi und der Performerin Simone Aughterlony enthielt Längen mit Mut zur Hässlichkeit. 

 

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Münchener Biennale für Neues Musiktheater, Premiere, Uraufführung, Jiro Yoshioka, Eve Georges, Simone Aughterlony, Kai Kobayashi, 

In „nimmersatt“ geht es um die von Menschen gründlich aus der ursprünglichen Form gewuchtete und ökonomisch pervertierte Nahrungskette. Ein großes Thema. Die Biennale-Produktion der Hochschule für Musik und Theater mit der Medien-Produktion Nightfrog GmbH dröhnt demzufolge impulsiv: Das neueste Musiktheater von heute brauche keine Hero:innen und Handlungen alten Zuschnitts, müsse sich räumlich und dramaturgisch von Stereotypen und verengenden Sujets befreien. Das Schöne aber folgte nach dem dem Betreten der engen Treppe zum Aufführungsort: Die Produktion „nimmersatt“ benutzt dieses poetologische Manifest nicht unter Aufwand aller Mittel, sondern äußerst bedacht und sogar mit einer plausiblen inhaltlichen Idee für eine tolle Location. 

Die Alte Utting, ein alter Ausflugsdampfer vom Ammersee, wurde von der Verschrottung gerettet und ragt seit 2017 als Eventlocation über eine Straße zwischen Schlachthofviertel und Untersendling. Für ein originelles Instrumentalensemble und Vokalquartett bedienen Jiro Yoshioka und Eve Georges aus verschiedenen Stilen und Epochen. Das klingt mit einem flotten Variantenspektrum und – passend für das Kultstück mit Gebrauchs- und Nostalgiespuren wie von den Comedian Harmonists arrangierter Bach und Barock. Garniert haben das die Komponistinnen mit anspruchsvollen Salonmusik-Anklängen vom Strandcafé. Das Regie- und Konzeptteam Waltraud Lehner, Paulina Platzer und Alexandra Hermentin arbeiten auf der Alten Utting zwar mit VR-Brillen, bleiben aber auch in der virtuellen Show dem Aufführungsort verbunden. Sie und das gesamte Ensemble sind mit Komödiantik, minimaler Melancholie und pointierter Serviceorientierung, welche zur Inszenierung gehört, bei der Sache. Diese authentische Kritik am Ressourcen- und Moral-Verschleiß mitsamt der indirekten, aber nicht drohend auffahrenden Warnung vor dem alsbaldigen Ende berührt. Denn die Haltung von „nimmersatt“ bleibt bescheiden trotz des pathetischen Editorials. 

Im virtuellen Teil durchstromert ein einsames Huhn den Maschinenraum und den Speisesaal der Alten Utting. Alles menschenleer. Später – da wechseln die ästhetischen Mittel Richtung Trickfilm – wirbeln Astronauten im Weltall und kommen wieder zurück. Der Untertitel von „nimmersatt“ lautet: „Eine immersive Reise mit Schiff und Getreidekorn“. Aber am Ende prasselt ein ganzer Körnerregen nieder. Ist das Getreide oder Kunstdünger? Das einsame Huhn guckt gleichgültig und pickt ziellos. Sind sie das schon, die letzten und durch die VR-Brille nostalgisch verpixelten letzten Momente der Menschheit? 

Eng sitzen die 25 Teilnehmenden je Vorstellung auf den Bänken im Maschinenraum. Es wird live musiziert und Technik findet nur in dem Maß Verwendung wie für den Stückverlauf nötig. Aus der Interaktion spürt man die Begeisterung aller Mitwirkenden, ihre Freude an der Berührungsnähe zum Publikum und eine engagierten Energie ohne Floskelhaftigkeit. „nimmersatt“ hat eine ganz hohe Affinität zum Spielort, der selbst zum allegorischen Hauptschauplatz wird. Der schon koloniale Theorie-Anspruch des „nimmersatt“-Teams mündet in ein gar nicht sektiererisches, sondern beglückend vitales Resultat. 

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Chiara Feldmann, Richard Valitutto. SHALL I BUILD A DAM? 
von KAI KOBAYASHI
. Foto: © Judith Buss

Chiara Feldmann, Richard Valitutto. SHALL I BUILD A DAM? 
von KAI KOBAYASHI
. Foto: © Judith Buss

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Hygienisch fragwürdig 

Eines muss man Simone Aughterlony beim Biennale-Projekt „Shall I Build a Dam?“ zugestehen: Die australisch-schweizerische Künstlerin hat Mut zur Hässlichkeit. Das Fragmentierte, Assoziative und Dissoziierende der Klänge von Kai Kobayashi, der Postgraduierten-Studentin von Gordon Kampe in Hamburg, das Vermischende mit Geräuschen blieb in „Shall I Build a Dam“ nur Illustration mit leider nur viel zu geringem musikalischem Nachdruck. In vier Kreisen kann das Publikum um einen Flügel, Musikinstrumente und wasserbezogene Gerätschaften sitzen. Das wirkt so, als sei das Wechseln von Plätzen angeboten. Aber dieses Angebot nimmt niemand wahr. 

„Wasser in ständigem Fluss, steht für Austausch und Verwandlung“ beginnt die dramaturgische Liturgie für „Shall I Build a Dam?“. Diese beschwört „die kosmologische Dimension jenes Elements, das alles Leben auf dieser Erde in Beziehung zueinander setzt“ – und zwar „aus einer posthumanen hydro-feministischen Perspektive“. Man merkt es an den herumstehenden Eisblöcken, auf denen Mitwirkende sitzen und sogar wiederholt mit Wollust daran lecken. 

Irgendetwas tröpfelt, rieselt, fließt immer – physisch und auch akustisch aus den Boxen. Auf dem schwarzen Boden bilden sich Lachen. Leise rieseln die Wasser- und Gedankenbäche. Noa Frenkel und Chiara Annabella Feldmann brillieren als Virtuosinnen der Übergänge vom Flüstern ins Ächzen, vom Raunen in vage Singen, des verheißungsvollen Schreitens und Tänzelns zwischen bedeutungsschwangeren Verrichtungen. Wegmanns Kostüme zitieren Uniformen, die ausladenden Hüftbögen von Oskar Schlemmers Triadischem Ballett und dystopische Science-Fiction. Inspiriert wurde das Musiktheater durch die Schrift „ Bodies of Water: Posthuman Feminist Phenomenology“ der feministische Kulturtheoretikerin Astrida Neimanis .

Am Ende bietet man Cocktails mit Wasser, was wie ein Teil der geschmolzenen Requisiten-Drecksbrühe anbrütet, willigen Vorstellungsgästen. Einige Anwesende kneifen spätestens da fest ihre Lippen zusammen. Der Ausstatter Joseph Wegmann penetriert diese postfeministische Utopie mit Mut zur Hässlichkeit. Kein schönes Versprechen aus vielen unklaren Ideen. „Shall I Build a Dam“ erweist sich auch als ziemlich unappetitliche Angelegenheit mit überreichlichen Griffen nach den Performance-Schablonen aus den letzten 50 Jahren. Bei der etwas kruden Perspektive aus der intelligiblen, offenbar technik- und zivilisationsfeindlichen Zukunft bleibt ungewiss, ob sich diese Performance-Liturgie als neues Bewusstsein am Ende des Anthropozäns versteht oder als positive Utopie. Die Show verläppert nach spätestens einer Stunde. Der Rest ist Überlänge. 

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