Fünf Jahre ist es inzwischen her, dass Pierre Boulez eine Art „Meisterschule“ für 130 hochbegabte junge Musiker aus der ganzen Welt als ein neues Gefäß im Rahmen des Lucerne Festivals gründete. In täglichen Proben, Workshops und Lektionen erwerben Instrumentalisten jedes Jahr drei Wochen lang das Rüstzeug für die Interpretation von Kompositionen des 20. und 21. Jahrhunderts. Am 5. September gab es als ersten Höhepunkt der Lucerne Festival Academy 2009 zwei Aufführungen von Pierre Boulez’ „Répons“ am selben Abend.
Berliner Philharmoniker, Wiener Philharmoniker, Koninkliijk Concertgebouworkest, Chicago Symphony Orchestra, Sächsische Staatskapelle Dresden, Orchestre des Champs-Elysées, Gewandhausorchester Leipzig, SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg – das sind nur acht von zwanzig großen Orchestern, die diesen Sommer zu Gast auf dem Lucerne Festival waren und ihren spezifischen Klang in der nach wie vor einzigartigen Akustik des Luzerner Konzertsaals vorstellten. Mit jedem dieser Klangkörper verbindet sich eine lange Musiziertradition. Dagegen nehmen sich die sechs Jahre, die das Lucerne Festival Academy Orchestra existiert, bescheiden aus. Dennoch hinterließ gerade dieses Orchester einen der stärksten Eindrücke in diesem Festivalsommer.
Im Rhythmus von drei Jahren erneuert sich das Akademieorchester, was aber seiner Qualität keinen Abbruch tut. Akademieleiterin Katharina Rengger und Pierre Boulez als künstlerischer Leiter haben mehr als genug Bewerbungen weltweit, um jedes Jahr alle Stellen des Orchesterpools erstklassig besetzen zu können. Im Mittelpunkt der Akademie 2009 standen und stehen Werke mit Live-Elektronik, etwa Stücke von Kaija Saariaho und Jörg Widmann. Voran aber eines der Referenzwerke des Ensembles Intercontemporain, Pierre Boulez’ „Répons“ aus dem Jahr 1981, ein Stück für Live-Elektronik, das ursprünglich etwa eine Viertelstunde dauerte und das der Komponist seitdem immer weitergeschrieben und ausgedehnt hat. Von einigen kleinen Unsicherheiten am Beginn abgesehen, bewältigten die jungen Leute die Herausforderungen der komplexen Komposition, in der Boulez quasi einen dreifachen Dialog zwischen sechs Solisten an Harfe, Klavier, Cymbalom und Perkussion, dem Ensemble und dem durch die Live-Elektronik transformierten Klang der Solisten, auf souveräne Art und Weise.
Verglichen mit ihren älteren Kollegen wächst hier eine neue Generation von Orchestermusikern heran, die keine Angst vor dem Unbekannten und keine Aversion gegen das Neue hat. In seiner sachlichen, präzisen Dirigierweise führte Boulez sein Orchester nicht nur einmal durch sein inzwischen gut 50 Minuten dauerndes Werk, an dem nach seinen eigenen Worten die Arbeit noch nicht abgeschlossen ist. Nach der Pause folgte eine zweite Interpretation seiner „Unvollendeten“ – noch fesselnder, noch konzentrierter, noch plastischer als beim ersten Mal. Wer dem Rat von Boulez gefolgt war und den Sitzplatz nach der Pause getauscht hatte, erlebte dann eine interessante Klangvariante dieses Klassikers moderner Raummusik.
Mehr zum Lucerne Festival Academy Orchestra sowie zur Moderne im Rahmen des Schweizer Traditionsfestivals in der Oktoberausgabe der neuen musikzeitung.