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Hoansi-San, Eslon Hindundu, Niederrheinische Symphoniker.  Foto: © Rainer Nonnenmann

Hoansi-San, Eslon Hindundu, Niederrheinische Symphoniker.  Foto: © Rainer Nonnenmann

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Da gibt es was zu denken – Schlaglichter auf Namibia und linker Aktivismus beim Moers-Festival

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Im Untertitel nennt sich das Festival noch immer „Jazzfestival“, doch mit universalisierender Ergänzung „für Musik, BeSinnung, Politik, SuperheldInnen und: Zusammensein!“ Jazz und Improvisierte Musik unterschiedlichster Richtungen bleiben beim Moers-Festival tonangebend, doch zugleich öffnet sich das Programm für vieles, was aktuell in Musik und Gesellschaft geschieht.

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Zur Eröffnung befeuerte Gwyn Wurst die Enni Eventhalle mit einer furiosen Keyboard-Performance. Der französische „Supercharcutier“ verarbeitete Samples verschiedenster Klänge, Stile, Kulturen. Einem meditativ-ruhigen Anfang mit elektronisch verfremdeten „Vishnu, Vishnu“-Gesängen aus Stockhausens Vokalsextett „Stimmung“ folgten in repetitivem Hochgeschwindigkeitstakt ein virtuelles Ensemble aus arabischen Melodien, syrischen Oboen, persischem Tombak, blechernem Gamelan, funkigen Bässen, perkussiven Flötenstößen und Technobeats. Fürwahr ein für das niederrheinische Festival typisches Statement für Global-Fusion-Mix-Cross-Over-Mashup-Hybridisation.

Nach Schwerpunkten auf Äthiopien 2022 sowie Äquatorial-Guinea und Südafrika 2023 standen nun Japan und Namibia im Fokus. Den Anfang machte der Komponist, Trommler und Bariton Eslon Hindundu aus der Hauptstadt Windhoek. In seiner Oper „Chief Hijangua“ – der ersten Oper des Landes überhaupt – thematisierte er den von wilhelminischen Truppen in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika zwischen 1904 und 1908 begangenen Völkermord an den Herero und Nama. Nun bot er mit einem Ensemble der Niederrheinischen Symphoniker aus Mönchengladbach unter dem Titel „Oumwe“ (Einheit) eine Reihe von Arien, Songs und Instrumentalstücken. Kombiniert mit Rhythmen der westafrikanischen Vasentrommel Djembé entstand dadurch – bitter, das so sagen zu müssen – lediglich süßlicher Ethno-Kitsch.

Während der namibische Komponist die Instrumente, Gesangsart und tonale Harmonik der einstigen Kolonisatoren übernahm und Sängerin Angelina Tashiya Akawa mit der portugiesisch-hawaiianischen Ukulele auftrat, überraschten zwischen der soften Neo-Klassik umso mehr die singenden und tanzenden Frauen und Männern aus dem „Living Museum of the Ju/Hoansi-San“. Spärlich mit Lendenschürzen bekleidet erschienen diese Menschen aus dem halbwüstigen Buschland im Nordosten Namibias wie aus einer komplett anderen Welt. Das Moerser Publikum bestaunte und bejubelte die filigranen Gestalten, die völlig unvermutet nur für wenige Minuten die Bühne betraten und komplett veränderten.

Im Programmheft erinnerte der künstlerische Leiter Tim Isfort daran, dass es in Moers neben Musik auch immer um Politik gegangen sei, „ums Hinterfragen von Konventionen, darum, Haltung zu zeigen, reale Mauern und (künstlerische) Grenzen zum Einsturz zu bringen, die sich zwischen Kulturen und Menschen auftun.“ Das Orgateam erklärte – an die „Liebe Festivalcommunity“ gerichtet – seine Solidarität mit den Opfern des Hamas-Anschlags von 7. Oktober auf Israel und die Forderungen, sowohl die israelischen Geiseln freizulassen als auch die Kampfhandlungen im Gaza-Streifen einzustellen. Weiter hieß es: „Keinesfalls werden wir antisemitischen Äußerungen irgendeine Bühne bieten, genauso aber auch die Kunstfreiheit nicht beschneiden.“ Beides ist richtig und wichtig, im Einzelfall aber schwer zu trennen.

Die 1985 in Buffalo geborene Amirtha Kidambi bekannte sich mit ihrem Quintett „Elder Ones“ aus New York ausdrücklich zum politischen Aktivismus in der Nachfolge schwarzer Jazzmusiker wie Max Roach oder Charles Mingus. Zu den Jazzern an Bass, Drums und zwei Saxophonen sang sie unter anderem karnatische Ragas mit Shrutibox und Elektronik. Zwischen den Stücken wandte sie sich gegen Nationalismus, Rassismus, Faschismus, Kapitalismus, Patriarchat und alles sonstige Unrecht der Welt. Wer sich so sicher auf der richtigen Seite der besseren Weltgeschichte weiß, tappt jedoch unversehens in eigene Verblendung. Im Eifer der Gerechtigkeit rückte Kidambi auch Israel in die lange Geschichte des Kolonialismus, so wie es Studierende momentan an US-amerikanischen, europäischen und deutschen Universitäten tun. Ihre Aussagen gipfelten schließlich im Ruf „Free Palestine!“. Statt Widerspruch erntete das beim Publikum Beifall.

Ja, es sterben viele zu viele unschuldige Menschen beim Krieg der israelischen Armee gegen die Hamas. Doch zur Wahrheit gehören auch das Recht Israels, seine Bevölkerung vor brutalen Terroristen und Vernichtungsanschlägen zu schützen, sowie der historische Umstand, dass dieser Staat von Jüdinnen und Juden gegründet wurde, die seit 1933 aus Deutschland, ab 1939 aus halb Europa und nach 1948 aus viele arabischen Staaten dorthin vertrieben wurden. Wer das alles ausblendet und noch immer nicht begreifen will, dass „Free Palestine“ ein Aufruf zur Auslöschung Israels „from the river to the see“ bedeutet, trägt nichts zum ersehnten Frieden bei, sondern entlarvt bloß das eigene dekolonial-verhärtete Täter-Opfer-Denken als links-aktivistischen Antisemitismus.

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