Ein neuer Gast stellte fest: „Das ist ja hier eine eingefleischte Gemeinde“. Recht hatte er, das zehnte Festival „The Look of the Sound“ hatte in Bremen begonnen, alle kamen wieder: So die Regisseure Bettina Ehrhardt, Bruno Monsaingeon, Maria Stodtmeier und Enrique Sánchez-Lansch, der Musikwissenschaftler Ulrich Mosch, die Studentinnen vom Lernradio der Musikhochschule Karlsruhe mit ihrem Dozenten Syrthos Dreher, Komponistinnen, Musikwissenschaftlerinnen, Journalistinnen und viel Publikum, die in der gastfreundlichen Atmosphäre erleben wollten, was Katrin Rabus sich dieses Mal ausgedacht hat. Seit zehn Jahren betreibt die ehemalige Galeristin mit Leidenschaft dieses einzigartige Festival.
„Gute Musikfilme sind eine eigene Gattung – für den Kenner vertiefen sie das Konzerterlebnis, für den interessierten Laien eröffnen sie das Verständnis für eine andere Welt“, hatte Rabus 2010 formuliert und aus dieser Idee schöpft und schafft sie jährlich Neues, überzeugt von der Richtigkeit ihrer These. Zudem bringt sie immer ein thematisch gebundenes Live-Konzert: das war wieder einmal das wunderbare Ensemble Alternance aus Paris mit einem kontrastreichen Programm französischer Komponisten. An Werken von Philipp Manoury – eine enorm kraftvolle Klaviersonate –, an „Asche“ von Mark Andre – eine Pianostudie fast mystischer Versenkung und weiteren Bespielen von Yan Maresz, Riccardo Nillni und Philipp Maintz zeigte sich die Abneigung der Franzosen gegenüber der in Deutschland und Skandinavien weit fortgeschrittenen Verwendung von medialen Zutaten wie Video und Elektronik – „eine Plage“ hat Manoury das genannt.
Ulrich Mosch stellte aus den Frühtagen des Fernsehens eine Kostbarkeit vor: Die Reihe „Les Grands répétitions“ (Luc Ferrari, ORTF 1965–67), in der unter anderem Hermann Scherchen die „Kunst der Fuge“ probte. Dann die Reihe von Hans Heinz Stuckenschmidt: „Musik im technischen Zeitalter“ von 1962: Varèse, Ligeti, Cage und Henze sind da zu erleben und Luigi Nono wird gefragt, doch bitte in einem Satz „Intolleranza“ zu erklären. Da kann er nur lachen – eine wunderbare Szene.
Dann die ganz neuen Filme: Bettina Ehrhardts Film über Bernd Alois Zimmermann „Mönch und Dionysos“ ist mit den Beispielen „Die Soldaten“, „Requiem für einen jungen Dichter“ und den „Ekklesiatischen Aktionen“ als erstes Porträt über den 1970 verstorbenen Komponisten geradezu erschütternd gelungen. Maria Stodtmeier überzeugte mit einer atemberaubenden Arbeit „In Between“ über den 1967 vom südkoreanischen Geheimdienst entführten und zu Tode verurteilten Komponisten Isang Yun, in dem sie abwechselnd Nord- und Südkorea zu Wort kommen ließ. Ganz anders, aber nicht weniger stark: „Große Oper. Verdi“, in dem der Regisseur Michael Wende die Entdeckung von „Rigoletto“ und damit der Magie der Oper, durch den Besuch der Probenarbeit eines ahnungslosen Journalisten an der Münchner Staatsoper witzig vorzeigt. Nett der Film von Axel Brüggemann und Axel Fuhrmann über die Entstehung des Welterfolges „Peter und der Wolf“, der eine Idee der legendären russischen Theatermacherin Natalia Saz war.
In allen Gesprächen wurde deutlich, mit welchen Hindernissen Dokumentarfilmer umgehen müssen: Einwände von Familienmitgliedern, Rechtsfragen, politische Behinderungen und immer wieder das fehlende Finanzpolster, das den Künstlerinnen ohne Ende Ausweichideen abverlangt.
Wieder in Bremen: Bruno Monsaingeon, der große Altmeister von großen Musikfilmen, enttäuschte leider mit einem weiteren Film über Dietrich Fischer-Dieskau. Unfassbar, dass einer der großen Sänger des Jahrhunderts gar nicht singen darf, sondern eineinhalb Stunden nur reden. Und das ist wiederum derart insiderhaft, dass die Spannung nicht lange anhält. Dazu kommt das regelrecht dumme Zeug, das der Regisseur dem Sänger über Opernregie durchgehen lässt: pauschale Diffamierung aller zeitgenössischen Regisseure unter Berufung auf „Werktreue“. Ambivalent auch „Strawinsky in Hollywood“ von Marco Capalbo: der Film schwankt zwischen gut dargestellter Entwicklung seiner Musik und kitschigen Lebensszenen.
Thematisiert wurde durch Tony Follwell und Tom Nelson vom Royal Opera House London und auch deutsche Regisseure (Oliver Becker) ein sozusagen neuer Berufsstand: die Filme für Web-Seiten, Videoclips und Internet für die Jugend. Die „Kunst“ dieser paar Werbesekunden wird weiter zu thematisieren sein und führte zu eindringlichen Nachfragen und Diskussionen.
Anregungen ohne Ende, die einen würdigen Abschluss fanden in den Präsentationen des „Lernradios“ – wie es immer noch heißt – der Musikhochschule Karlsruhe: viele sehr unterschiedliche Filme, die deutlich machten, dass technisches Know how keinen Inhalt ersetzen kann.
Ich kenne kein Festival, an dem man eine derart hohe Dichte an tiefster Information über Produktion und Interpretation vier Tage lang erfahren kann. Das gibt Vorfreude auf das elfte Festival im März 2015.