Das Musikbusiness verzeichnet zwei Baustellen: Frauen sind zwar gefeierte Solistinnen, auf dem Dirigentenpodest und innerhalb der Komponistenzunft aber deutlich in der Unterzahl. Dazu kommt als Folge des avantgardistischen Innovationsparadigmas der Uraufführungswahn, der die Werke selten über ihre Premiere hinauskommen lässt. Es ist also folgerichtig, dass sich die Zukunftsmusikschmiede des Bayerischen Rundfunks dieser Problemfelder emanzipatorisch sowie paritätisch annahm: Beim Orchesterkonzert der musica viva am 22. Januar standen Damen im Rampenlicht, während das anschließende Late-Night-Konzert männliche Repertoirepflege betrieb.
Die schmale Silhouette von Susanna Mälkki lässt auf weiblich-weiche Taktgebung schließen, aber die finnische Dirigentin leitete das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zackig-präzise und verhalf im sehr gut besuchten Münchner Herkulessaal zwei Komponistinnen zu ausgesprochen gelungenen Uraufführungen. Francesca Verunelli entwarf mit „The Narrow Corner“ eine groß angelegte Szenerie, auf die sie dem Publikum allerdings nur begrenzte Einblicke aus fünf Perspektiven gewährte und damit einen vielschichtig-paradoxen Klangraum eröffnete.
Paradox sind auch die „Vogelperspektiven“, die Isabel Mundry mit deutlich reduzierter Besetzung zu Gedichten des Lyrikers Thomas Kling komponierte. Die Schweizer Grande Dame der Neuen Musik ließ sich weniger von ornithologischen Klangmalereien à la Olivier Messiaen inspirieren, als vom Kommunikationsverhalten zwischen Mensch, Natur und Technik. Die lyrische Narration überließ Mundry einer Sprecherin (Meret Roth), auf die sie die Natur durch die Sopranistin Sarah Maria Sun mittels assoziativer Lautkonfigurationen reagieren ließ. Die Technik fuhr als Varèse’sche Interpolation dazwischen: durch Tonbandeinschübe mit Störgeräuschen der Telekommunikation, die den Dialog von Mensch und Natur medientechnisch zum Dreiklang erweiterten.
Die Kommunikation von Mensch und Technik spielt auch bei Philippe Manoury eine tragende Rolle, dessen Werk im Rahmen der musica viva eine Repertoirepflege erfuhr. In seinem 2010 entstandenen Violinkonzert „Synapse“ simulierte der Computermusikpionier mit instrumentaler Raffinesse flirrend sich verdichtende Feedbackschleifen zwischen dem Orchester und dem Solopart, den Hae-Sun Kang mit kühl-klarer Eleganz stetig intensivierte. Konkret wurde der Dialog von Mensch und Technik im Late-Night-Konzert vor exklusiv verbliebenem Publikumskreis. In „Le temps, mode d’emploi“ erweiterte Manoury 2014 zwei Klaviere mittels Elektronik zu einem Flügelorchester, in dem sich konkrete und elektronische, reale und imaginäre Töne zu einer höchst effektiven Raummusik verlaufen. Die enorme Wirkung war in München auch der furiosen Interpretation durch das GrauSchumacher Piano Duo zu verdanken, das darüber hinaus einen Schatz aus der Repertoirekiste der musikalischen Moderne hob: Ferruccio Busonis „Fantasia contrappuntistica“.