Stille der Überwältigung – und dann tosende Bravo-Stürme, unterfüttert von den nur an Ausnahmeabenden hochbrandenden Trampel-Wellen. Konzertmeister Markus Wolf versucht mehrfach, die Aufstehaufforderung des Dirigenten an das Bayerische Staatsorchester zu verhindern, um Kirill Petrenko in den Mittelpunkt des Jubels zu stellen. Erst nach dem x-ten Versuch gelingt es ihm: über die übliche Höflichkeitsgeste eines Orchesters an den Dirigenten – das Klopfen mit dem Geigenbogen aufs Notenpult – darüber hinaus fangen Damenchor, Kinderchor und das Orchester mit strahlenden Gesichtern zu klatschen an und trampeln auf dem Podium ihre eigene Musizierbegeisterung heraus. Der neue Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper verbeugt sich in alle Richtungen und wieder signalisiert seine Körpersprache: „Danke, aber ich hab doch nur dirigiert…“
Nur das eben wie! Parallel zur Uraufführung 1902 hätte eigentlich schon nach dem monumentalen 1. Satz begeisterter Beifall losbrechen sollen. So war es ein ungewöhnlich lautes, hörbar den Bann und die Überwältigung überwindendes Aufatmen, dann heftiges Atemholen, bewunderndes Kopfschütteln, sich Aufrichten und Zurechtsetzen, nachdem die Klangwogen des Mahlerschen Universums einen im Sitz scheinbar zusammengepresst hatten. Petrenkos Entscheidung, für sein 1. Akademiekonzert an „seinem Haus“ Mahlers 3. Symphonie zu wählen, erwies sich als Glücksfall. Der Komponist sprengt ja in den sechs Sätzen nicht nur die bis dahin üblichen symphonischen Konventionen, er schreitet auch Welt und Natur aus, um im Schlusssatz alle menschliche Erfahrung zu transzendieren: „Was mir die Liebe erzählt“.
Das Besondere der Einstudierung wie des Konzerts ist der Sinn Petrenkos für Abstufungen, Nebenstimmen und Klangfarben. So gelangen nicht nur die gewaltigen Steigerungen der Bergauftürmungen – Mahler zum jungen Dirigenten Bruno Walter vor den Attersee-Alpen: „Sie brauchen gar nicht mehr hinzusehen – das hab ich alles schon wegkomponiert“ – sondern Petrenko ließ auch alle Klänge bis atmenden Stille verstummen, ließ dann eine Idylle aufblühen, weitete den Klang zum tönenden Großpanorama, um dann energisch und vehement Mahlers abrupte Umbrüche ins Zerrissene, ins grell Verzerrte und chaotisch Schrille zu formen. Immer wieder wurde da die erschreckende Komplexität unserer modernen Welt mit ihren unvereinbaren Gegensätzen und Gleichzeitigkeiten im Klang beschworen.
In der süßen Streicherfülle des 2. Satzes - „Was mir die Blumen erzählen“ - forderte Petrenko dann ein rasantes Descrescendo, um mit flatternden Fingern für die Solo-Flöte zirpendes Vogelgezwitscher hörbar zu machen. Die Posthorn-Idylle ließ Petrenko von Christian Böld herrlich fern, hinter den Konzertwänden auf dem Podium, irgendwo weit im Bühnenraum des Nationaltheaters blasen, traumverloren und dennoch herzinnig nah – ein verdienter Solo-Jubel am Ende.
Okka von der Damerau sang das Alt-Solo von Schmerz und Lust schön eingebettet in den Orchesterklang, zu dem dann das „Bimm-Bamm“ der Engelschöre keck kontrastierte. Noch einmal faszinierte Petrenko im bewegenden Liebes-Adagio des Schlusssatzes: seine durchweg sprechende, den kommenden Klang speziell mit der linken Hand vorformende Zeichensprache fern aller Dirigiershow, die spürbare Energie seiner Forderungen zum überwältigenden Fortissimo, das eben nicht auf ein „lautest“ zielt, sondern in der Wortbedeutung „stärkste“ Expression erzwingt.
Die Instrumentalisten des Staatsorchesters wurden davon einzeln oder als Gruppe „angesprochen“, spielten dementsprechend sicht- und hörbar animiert „groß“ auf. Aus all dem erwuchs ein in Emotionswellen mehrfach überwältigendes Kunsterlebnis, gemäß Mahlers Wunsch „eine Welt in Tönen“ – so grandios, dass nur zu sagen bleibt: Danke, dass man das erleben durfte.