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Francisco de Goya y Lucientes: Zeichnungen für »Desastres de la Guerra«: »Desastre 72, Die Folgen«, um 1815–1820, Rötel auf Papier, 14,6 × 20,8 cm, Madrid, Museo del Prado
Francisco de Goya y Lucientes: Zeichnungen für »Desastres de la Guerra«: »Desastre 72, Die Folgen«, um 1815–1820, Rötel auf Papier, 14,6 × 20,8 cm, Madrid, Museo del Prado
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Das Beste und die Bestie im Manne – Das 15. Forum neuer Musik des Deutschlandfunks betrachtete Zusammenhänge von Krieg, Musik und Männlichkeit

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„Der Krieg“ hieß die Eröffnungskomposition beim diesjährigen Forum neuer Musik, ein Kompositionsauftrag der mit dem veranstaltenden Deutschlandfunk kooperierenden Musikhochschule Hannover an die 28jährige Koreanerin Jung-Eun Park. Die Komponistin, so heißt es im Programmheft, habe als Südkoreanerin selbst Kriegsdrohungen und militärische Demonstrationen erlebt, wolle in ihrem Stück die rohe Gewalt des Krieges, das Chaos, das Nichts nach dem Krieg und neue Hoffnung verklangbildlichen.

Was das Ensemble Schwerpunkt auf zwei Trompeten, Horn, Posaune und Tuba von sich gibt, ist allein durch die Wahl der Instrumente stark an traditionellen Vorstellungen orientiert, ruft durch schneidende langgezogene Klänge oder Marschrhythmen, welche die auf dem Boden sitzenden Musiker mit den Füßen produzieren, eher bekannte Muster ab. Eher denkt man an vergangenes, noch irgendwie malerisches Schlachtengetümmel als an heutige Tötungsmaschinerien; das Grauen des einen wie des anderen, uns auch nur vom Hörensagen bekannt, medial entfremdet vermittelt und doch durch Fantasie und Empfindungsfähigkeit erahnbar, teilt sich kaum mit. Allenfalls kommt hier die Primitivität des Krieges, seine Grobheit und Rohheit, seine Entindividualisierung im militärischen Drill zum Ausdruck.

„Die wilden Jungen 1914 – 2014“

Dem Krieg auf die Spur zu kommen war ein Anliegen des Forums, unter dem Titel „Die wilden Jungen 1914 – 2014“ allerdings bemühte man sich, angelehnt an jüngste Entwicklungen der Genderforschung, um eine Erfassung des Männlichen schlechthin. Denn wird Krieg nicht nach wie vor von Männern ausgeübt, verlangt und produziert eine Aggressivität und Gewalt, die wir als „typisch männlich“ empfinden? Ein dem Forum angegliedertes wissenschaftliches Symposium entfaltete Facetten des aktuellen Anknüpfungspunktes, des Ersten Weltkriegs mit seinen damaligen und heutigen Auswirkungen. Krieg werde es immer geben, tönte die Publizistin und selbsternannte „Bellizistin“ Cora Stephan in einer Podiumsdiskussion, welche die Entwicklung „vom Grabenkrieg zum Anti-Terrorkampf“ beleuchten wollte; er wecke „die Bestie und das Beste im Manne“. Die Faszination, die angeblich vom Krieg ausgehen sollte, die bunten Husarenstaffeln mit Trompetenschall, das Beschützen der eigenen Sache und die Abwehr des Feindes, gehört heute doch eher in die Mottenkiste. (Auch wenn Leo Tolstoi in „Krieg und Frieden“ sehr glaubwürdig das tiefe Gefühl des Lebendigseins im Angesicht des Todes beschreibt, so geht es hier doch letztlich um das Bedürfnis nach existentiellen Erfahrungen, die zwar weniger in unserer kontrolliert-zivilisierten „Normalität“, aber beim Aufmucken gegen diese durchaus auch im Frieden zu haben sind.)

Auch die Genugtuung der ukrainischen Schriftstellerin Katja Petrowskaja darüber, dass man sich „die Spucke im Gesicht“ nicht mehr gefallen ließe und endlich auch Kierkegaard-Übersetzerinnen Molotow-Cocktails bastelten, kann angesichts der Ukraine-Krise (und anderen) nicht als problemlösend angesehen werden. Pikanterweise waren es Frauen, die solch martialische Töne von sich gaben. Die Militärforscher Stig Förster und Manfried Rauchensteiner etwa wurden nicht müde, vor den Gefahren der heutigen Technisierung zu warnen, die die Hemmschwelle zum Töten nicht mehr spüren lasse und letztlich die Entwicklung von Roboterarmeen ermögliche, die durchaus auch Kriege gegen Menschen führen könnten.

Stefan Prins und Maximilian Marcoll

„Generation Kill“ von Stefan Prins könnte eine Ahnung davon vermitteln, das Werk eines 34jährigen Belgiers, der neben Komposition auch Maschinenbau studierte und „Technologie“ umfassend zur Thematik seines Schaffens gemacht hat. Das Video eines Drohnenangriffs, von den Musikern an der Playstation kontrolliert – tatsächlich ging eine starke Faszination von der ausgeklügelten, virtuos beherrschten Technik aus. Ihre Anfälligkeit zeigte sich in Maximilian Marcolls „Break Remove Demolish“: Was Violoncello und Kreissäge, Bassklarinette und Bohrmaschine, Schlagzeug und Hammer an lärmenden Zerstörungslauten ebenso konkret wie ins Artifizielle übersetzt von sich gaben, blieb als Computer-Sampling unter den Sensorenhänden von Thomas Moore, musikalischer Leiter und „Game Controller“ des ausführenden Nadar Ensembles, zunächst stumm – auch dies ein bedenkenswerter Aspekt.

„Psychotherapie der Nationen“

Kontrovers wurde auf der Tagung das Problem des „Appeasement“ oder des Rechts zum Eingreifen seitens „demokratischer Mächte“ in heutige Auseinandersetzungen diskutiert, immer wieder der Ukraine-Konflikt als Parallele oder zur Aktualisierung der Geschehnisse um 1914 herangezogen. Von polnischer Seite kam da etwa der Vorwurf an deutsche Intellektuelle, sich der Stellungnahme zu enthalten, erleichtert darüber, sich wegen rechtsradikaler Tendenzen distanzieren zu dürfen. Hintergründe, etwa auch durch Benennung ökonomischer Interessen, wurden da kaum geklärt, wie eh und je Fronten von „Gut“ und „Böse“, „Recht“ und „Unrecht“ abgesteckt. Da war es nur zu angebracht, dass die Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann  in der Gesprächsrunde „Europäisches Erinnern“ eine „Psychotherapie der Nationen“ forderte. Ausgehend vom Begriff der „mental maps“ des Historikers Christopher Clarke – einer Art „geistige Landkarte“ von Individuen und Nationen, die historisch kulturell geprägte Sichtweisen, damit auch entsprechende Vorurteile enthalten – beschrieb sie, wie sich in Europa allmählich eine gemeinsame Perspektive der Opfer im Gedenken an den 1. Weltkrieg durchsetze, dass diese gegenseitige Einfühlung aber für die heutige Situation umso dringlicher sei. Hier wurde vom Publikum aus auch endlich die Rolle von Kunst und Musik angesprochen, als Möglichkeit, fremde Erfahrungen  emotional nacherlebbar zu machen – leider auf einer etwas unkritischen, lediglich „Gefühle“ ansprechenden Ebene“. 

Bezüge zwischen Kunst und Politik

Stärkere Bezüge zwischen Kunst und Politik vermochte ein Vortrag der Musikwissenschaftlerin Melanie Unseld zu schaffen. Ihre Einsichten in „Konstruktionen des Heroischen in der Musikkultur von 1914“ galten vor allem der Unterhaltungsmusik und der häuslichen Musikpraxis, die während der Kriegsjahre patriotisch eingestimmt wurden. Soldatenlieder, Paraphrasen und Salonstücke à la „Weihnachten im Feld“ wurden für Frauen und Kinder „leicht gesetzt“, schon Kinder durch Klavierstücke wie „Die kleinen Soldaten“ auf die auch im Zivilleben gängige Denkform des Heroischen eingeschworen. Unseld übertrug dieses Konzept jedoch auch auf die Kunstmusik, konnte es in Arnold Schönbergs Identifikation mit dem Genialen zweifelsfrei ausmachen, nicht ohne Widerspruch bei Brahms und Beethoven.

Die futuristischen und dadaistischen Richtungen der (Vor)-Kriegszeit setzten durchaus die Begeisterung für Maschinen und Technik, für Aufbruch in vielerlei Hinsicht, in verstörend martialische Rhythmen, das harmonische System auflösende Tonkomplexe und „Formen der Luft“ um. Ein Abend mit russischer Klaviermusik eines Obouchow, Roslawetz oder Mossolow bezeugte diese immer noch viel zu wenig bekannten, im „mainstream“ der Zwölfton-Avantgarde untergegangenen Innovationen auf eindrucksvollste Weise. Die Frage von Festival-Leiter Frank Kämpfer an Unseld, ob die Kreation des Neuen ausschließlich in männlichen Händen liege, beantwortete diese mit einem Hinweis auf Lili Boulangers Symbolismus, dessen Traditionsbruch im Nicht-Klang der leisen Töne liege, Debussy vergleichbar.

Unterscheidungen

Sind es nur die „Jungen“, die „wild“ sind? Braucht es für die Schaffung des Neuen, das Hinwegfegen für „verstaubt“ erklärter Traditionen einer Fähigkeit zu Aggression und Destruktion, die der zur Kriegführung und zum Töten gleichzusetzen, der schützenden, bewahrenden und nährenden Weiblichkeit fremd ist? Ist das Schaffen von Werken, der Anspruch, das „Neue“ und „Eigene“ zu (er)finden, „männlich“? Unselds Hinweis, dass „Avantgarde“ oder „Heroismus“ auch Wahrnehmungskategorien seien, könnte hilfreich sein, zwischen Geschlechterklischees, kurzschlüssigem Biologismus und kulturell eingeübten Verhaltensweisen zu unterscheiden. Sie sinnlich erlebbar zu machen versuchten mehrere auf dem „Forum“ vorgestellte Werke: Schwierig war es, im improvisiert anmutenden Schlagzeug-Einerlei von Marko Cicilianis „Suicidal Self Portraits“ die behaupteten existenziellen Alltags-Szenerien – ein Autounfall, das „Outing“ in Talkshows, die unglückliche Liebe im gecoverten „Yesterday“ – zu erkennen und darin auch noch unterschiedliche Formen von Männlichkeit zu entdecken. Das Gemeinschaftswerk „The Clotilde Entertainment“ von Niklas Seidl, Paul Hübner, und Floran Zwissler hingegen entpuppte sich, ausgehend von der androgynen Figur der Tänzerin und vergessenen Mary-Wigman-Antipodin Clotilde van Derp, als vergnügliches Konglomerat von Tanz, Musik und (Video)-Bild über Männer und Frauen, Clownerie und Kunst, auch in ihren laienhaftesten, allen Vorstellungen von Schönheit und Perfektion widersprechenden Formen.

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