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Das blutige Heulen der Wölfe als Wiege des Klangs

Untertitel
Olga Neuwirths und Elfriede Jelineks Oper „Bählamms Fest“ bei den Wiener Festwochen uraufgeführt
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Schon mehrfach hat die Komponistin Olga Neuwirth mit der Literatin Elfriede Jelinek zusammengearbeitet. Mit dem Stücke „Der Wald. Ein tönendes Fastfoodgericht“ von 1989/90 war man bis zur Mini-Oper, mit „Körperliche Veränderungen“ von 1990/91 bis zum kleinen Musiktheater vorgedrungen. Die Mini-Oper dauerte gut zehn Minuten, das Musiktheater keine halbe Stunde. Jetzt wagte man sich ans abendfüllende Werk: „Bählamms Fest“ nach der englischen Autorin Leonora Carrington. baehlamm.jpg (13000 Byte) Es ist eine Geschichte aus Blutesdurst und Angst. Leonora Carrington hat sie 1940 notiert,nachdem ihr Geliebter, der surrealistische Maler Max Ernst inhaftiert worden war und sie von Frankreich nach Spanien fliehen mußte. Ihr verhaßtes englisches Elternhaus mit seinen verlogenen Zeremonien der oberen Gesellschaft hatte sie schon vier Jahre zuvor verlassen. Die traumartigen Wahngesichte dürfte sie von dort mitbekommen haben. Und so entstand ein greller Reigen aus Halbmenschen und Halbtieren, aus Untoten und fatal Geborenen, aus Spukerscheinungen und irren Erinnerungen – ein Schattenkabinett der Seele. Das war der Elfriede Jelinek und Neuwirth bei ihrem ersten Opernprojekt gerade recht. In der Tat lasten die Eindrücke schwer auf der Psyche – vom Werwolf geköpfte Lämmer, Vermischung von Blut und sexueller Gier, kindliche Sadismen mit Spielzeug. Sie lasten, weil sie ohne Erklärung auskommen, weil sie, so ahnten es die Surrealisten, mit verschütteten Vor-Erfahrungen in unergründlichem Kontakt stehen. Kaum aber setzt Erklärung, gar soziokulturelle Deutung an, werden die Gesichte flach. Dieser Gefahr ist das Libretto von Elfriede Jelinek nicht ganz entgangen, das Programmheft bescheinigt ihr sogar die Entlarvung der Produkt- und Medienwelt. Das trifft zwar nicht zu, allein schon aber dieser analytische Zugang verrät, daß das Libretto mitunter Erklärungsziele ansteuert, die das Stück in Schräglage bringen. Vor allem aber tat die Regie von Nicholas Broadhurst einiges, um die grellen Seelenfarben ins konkretistisch Betuliche zu überführen: ein Fäden spinnende noble Hausherrin, ihr Sohn Philip als alkoholnasiges Unerotikum erster Wahl, dessen zweite Frau Teodora, die allem, auch den eigenen Sehnsüchten, Verdrängungen und erotischen Wünschen (sie lebt sie im Kinderzimmer aus), bedingungslos ausgeliefert ist. Die erste Frau taucht auf, der früher Schlimmes widerfahren sein muß. Offensichtlich hängt dies mit Philips Bruder Jeremy zusammen, der zum Werwolf, halb Wolf, halb Mensch mutierte. Er hat offensichtlich, was Philip so gar nicht mitbringt. Ihm wird lüsterne Hingabe entgegengebracht. Und er nutzt sie blutrünstig. Bluttriefende Schafe, ein geköpfter Schäfer sind nur die Vorahnungen seiner blut-erotischen Exzesse. Broadhurst zeigt uns das alles im Eins-zu-eins-Verhältnis. Es ist hemdsärmelig diesseitig in eine Rappelkiste mit kindlichen Utensilien, Tierwesen und Gewaltwerkzeugen verpackt. Beim Draufschaun verliert alles sein hintergründig Bedrohliches, seinen Schrecken. Die Musik Olga Neuwirths freilich ließ sich auf solch falsche Näherung nicht ein. Unmittelbar wird der Hörer durch die Musik in den Sog des Geschehens geworfen. Atemlos geht sie voran und läßt im Spannungstempo eines Videoclips keinen Raum für Kontemplation. Sie lebt aus Zitaten, die gleichsam in die Hüllkurven von Wolfs- oder Hundegeheul gepreßt sind. Stimmen, vieles wird gesprochen, sind von ihren elektronischen Derivaten kontrapunktiert, der akustische Raum splittert auf und verliert seinen Boden. Fast instinkthaft – Jelinek zeigte sich vom dramatischen Gespür Neuwirths überrascht – lebt der Rhythmus aus den irreal flackernden Zonen der Angst. Hierin ist das Stück stark. Das Timing nimmt dem Hörer die Zeit zum Beschaulichen, er ist immerfort eingebettet in neue klangliche Attacken, die Olga Neuwirth souverän durchgestaltet. Nie gibt sich die Musik mit dem vordergründig Erklingenden zufrieden, ruhelos zwängt sie Assoziationen zweiter und dritter Natur darüber. Eine äußerst vielschichtig komplexe Partitur ist so entstanden. Klangfarben mischen sich auf kühn neue Art, Übergänge zwischen Gespieltem, Gesungenem und elektroakustisch Behandeltem sind nahtlos verschränkt, der Versuch einer Orientierung gerät immer wieder aufs Glatteis. Das nach seinem russischen Erfinder benannte Instrument Theremin Vox, das singend und wimmernd auf Abstände und Bewegungen der Hände reagiert, übernahm eine staunenswerte Mittlerfunktion – etwa hin zu alt verblichenem Gesang. Das Klangforum Wien unter Johannes Kalitzke und das Institut für Elektronische Musik Graz leisteten hierbei Großartiges. Dennoch aber blieb ein Erdenrest. Stücke dieser Art, wir denken zum Beispiel an Benjamin Brittens Henry James-Oper „The Turn of the Screw“, ziehen ihr Nachhaltiges aus dem plötzlichen Gänsehautgefühl unergründlicher Bedrohung. Eine Musik aber, die sich fast ständig am Rande des Abgrunds bewegt, verliert das Gefühl des Schwindels. Die Fülle, die Olga Neuwirth bot, unterstrichen von der Regie, drohte Züge des Additiven anzunehmen. Der musikalisch-szenische Todesstoß in die Tiefe kam hierbei etwas zu kurz. Für weitere Produktionen von „Bählamms Fest“ hat die Wiener Uraufführung jedenfalls noch einigen Raum gelassen.

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