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Das blutige Kreischen Gottes

Untertitel
Adriana Hölszkys „Der Gott von Manhattan“ bei den Schwetzinger Festspielen
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Die rumäniendeutsche Komponistin Adriana Hölszky hat es dem Hörer noch nie leicht gemacht. Das Getrieben-Sein, die Angst des Individuums vor der Gesellschaft, war für sie schon immer ein substanzielles Ingredienz ihres musikalischen Schaffens. Die Auswegslosigkeit der Giftmischerin Geesche Gottfried in „Bremer Freiheit“, das Gefühl der Umlagerung in „Die Wände“, das sich gegenstandslos ausbreitende Gefühl der Angst in „Tragödia“ waren Stationen in einem unbarmherzig vorangetriebenen Prozess.

Doch man muss sich fragen, wo die Kante ist, an der diese Prinzipien kippen? Bei den Schwetzinger Festspielen bekam man nun davon eine Ahnung. Höszky hatte auf das Hörspiel „Der gute Gott von Manhattan“ von Ingeborg Bachmann (bearbeitet von Yona Kim) zurückgegriffen. Es zählt literarisch vielleicht nicht zu den intensivsten Texten Bachmanns, was den Prämissen der Umsetzung für den Funk geschuldet ist. Aber er ist durchtränkt von geradezu lapidarer Gnaden- und Illusionslosigkeit: Eine Frau (Jennifer, Ann-Katrin Naidu) spricht an der New Yorker Central Station einen Mann (Jan, Andreas Scheiner) an. Das ewige Räderwerk von Lust und Liebe, die Melange aus Herausforderung und Zurückweisung hebt an. Eichhörnchen, Gesandte des obskuren „Gottes von Manhattan“ bringen Kassiber vorbei, die den Fortgang der Dinge voraus sagen. Vom ersten Stock des Stundenhotels wechselt man die Zimmer des Liebesakts in immer höhere Etagen. Auf der höchsten zieht Jan endgültig wieder ab, der am Schluss schließlich desillusioniert eingreifende Gott von Manhattan bringt Jennifer eine Bombe, die die Frau und die nebulösen Gefühle von Liebe in die Luft jagt. Es ist der Liebestod der Moderne: hoffnungslos, schäbig, leer.

Die Stimmführung der beiden Protagonisten überraschte. Denn Hölszky behandelte sie weithin konventionell, in einer Art von modernem, expressivem Parlando, wie wir es von vielen neuen, unambitionierten Opernproduktionen zur Genüge kennen. Das bläser- und schlagwerkdominierte Orchester, das das Publikum umlagert, gewissermaßen in die Zange nimmt, stellte in permanenter Geste des Dreinfahrens, des erschreckten Nachklingens harte Zwischenschnitte her. Ein achtstimmiger Chor, gekleidet als Reisende, als gymnastiktreibende Bodybesorgte, als Hotelgäste, als Verkäufer, als Mönche, als Hotelpersonal (somit einen Querschnitt der Wählermasse symbolisierend) schuf dazu herbe, klanglich exaltierte Zonen, die einst in der attischen Tragödie allgemeine, besinnende Kontemplation meinten, hier aber zum Common sense der inhaltlichen Öde verkommen sind. Hölszky ging an Grenzen stimmlicher Behandlung, aggressiv unterminiert von Mundraum-Verrenkungen und Deklamationsrhytmen, vom Klatschen der Hände, von brachialen Steppeinlagen. Die Eichhörnchen, stimmlich außerordentlich kühn geführt, fiepten und zwitscherten in schrillen, von den Orchesterklängen prolongierten Lagen dazwischen.

Es war ein Zustand permanenter Überdehnung, in die der Hörer versetzt wurde. All dies, nochmals bis zum Zerreißen gedehnt in einer Puppentheatereinlage der Eichhörnchen (hier hautnah zeitbezogen als amerikanische Gefängniswärterinnen), in denen die großen Liebespaare der Geschichte (Orpheus und Eurydike, Romeo und Julia et cetera) auf die Kategorien von Kuss, Kopulation und Vernichtung reduziert wurden, schuf ein Klima überreizter Ausweglosigkeit.

Doch gerade hierin hatte Hölszkys neues Musiktheater seine Schwächen. Die Zonen von verhetzter und gleichzeitig grauer Tristesse blieben in ihrer drastischen Nervosität letztlich eindimensional. Alles siedelte auf gnadenloser Klippe, verkommene Enge war gemeint, in ihr aber bewegte sich letztlich auch in nur repetitivem Gestus die Musik. Die permanente Überspannung setzte der Musik Grenzen, ihre Mittel drohten sich zu egalisieren, was denn auch über weite Strecken des Stücks der Fall war. Das Enigmatische von Bachmanns Hörspiel, das mit medizinischer Genauigkeit nach- einander jede Illusion extrahiert, wandelte sich hier zu einer in seiner Subtilität beschnittenen Ästhetik am Anschlagspunkt. Die schonungslose Zeichnung kann sich, und das geschah hier, auch in ihrer Schonungslosigkeit verstricken: Die Attitüde der Überreizung, die sich selbst genügt und weitgehend auf der Schiene einer leeren Konversation transportiert wird, egalisiert sich letztlich selbst.

Freilich war diese Ausgangsposition mit Bedacht gesetzt. Hölszky eine viel zu versierte Frau des Musiktheaters, als dass ihr solches einfach unterlaufen könnte. Konzeption war, mit einem extrem überdehnten Zustand zu beginnen, und diesen dann nochmals zu überdrehen. Das wurde klar, als in den letzten zehn Minuten des 90-minütigen Stücks der Gott von Manhattan ins Geschehen trat. Er bringt der allein gelassenen Jennifer die Bombe der Vernichtung, er selbst aber ist im Grunde die Bombe. Denn die Behandlung seiner Singstimme brach jegliche Konvention. Kreischen, Brüllen, schrille Überdehnungslagen zerschlugen hier jeden ästhetischen Vorhang (unglaublich drastisch mit stupender Technik: Daniel Gloger). Der Gott exhibitioniert sich zum Obszönen, zum Schlächter der eigenen Stimme, zum ohnmächtig von der Welt gefolterten Wesen. Die Musik durchbrach hier alle Schranken der künstlerischen Distanz, der Gott wühlt in den eigenen Gedärmen ehemaliger Entwürfe, er zeigt nichts, will nicht betrachtet werden, sondern schreit wie ein zu Tode Gepeinigter. Kein noch so unschöner „schöner Schein“ steht dazwischen, die Libido der Vernichtung stand blutig nackt auf der Bühne. So wurde noch keine Person, ob Mensch oder Gott, in Szene gesetzt.

Hölszky überschritt mit diesem Stück Grenzen. Das hatte seinen Preis. Es war der hohe der subtilen Differenzierung. Die Musik schlug auf den Hörer ein, Schmerzbereiche extremer Pfeifgeräusche wie bei Rückkoppelungen wurden bewusst wie Elektroschocksonden eingesetzt. Unbehagen war einkalkuliert, aber es wendete sich auch wie zur Selbstverteidigung gegen das Stück. Die Regie (Stephan Kimming) war von diesem fraglichen Entwurf gnadenlos überfordert und reduzierte das Geschehen auf die matten Bilder eines expressiven Realismus mit weitgehend hilf- und einfallsloser Personenführung. Auch die musikalische Umsetzung (Leitung: Alexander Winterson) konnte im Grunde nur mitmachen. Die scharfen Klangkaskaden machten differenzierende Distanz oft nicht möglich. Das war die Vorgabe des Stücks, das war aber auch sein Manko. Letztlich wurde Bachmanns illusionslose Analyse auf einen existenzialistischen Aufschrei heruntergefahren.

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