Weingarten, nahe dem Bodensee gelegen, ist Pilgerstätte. 2.000 Kilometer bis Santiago de Compostela liest man im Innenhof des Benediktinerstifts, das als Tagungs- und Konzertort der Weingartener Tage für Neue Musik dient. Jedes Jahr steht ein anderer Komponist im Zentrum – ausschließlich seine Werke werden gespielt und diskutiert. Cage, Lachenmann, Schnebel, Stockhausen, Hespos, Rihm, Kagel oder Adriana Hölszky waren unter anderem schon hier.
Weingarten, nahe dem Bodensee gelegen, ist Pilgerstätte. 2.000 Kilometer bis Santiago de Compostela liest man im Innenhof des Benediktinerstifts, das als Tagungs- und Konzertort der Weingartener Tage für Neue Musik dient. Jedes Jahr steht ein anderer Komponist im Zentrum – ausschließlich seine Werke werden gespielt und diskutiert. Cage, Lachenmann, Schnebel, Stockhausen, Hespos, Rihm, Kagel oder Adriana Hölszky waren unter anderem schon hier. Walter Zimmermann, 1949 im fränkischen Schwabach geboren, muss es hier gut gefallen haben, denn auch er ist ein Pilger. Seine Reiserouten liegen im Geistigen, und hier erreicht er die Neuplatoniker, Augustinus, Meister Eckhart, Jean Paul, Nietzsche und viele andere. Und Walter Zimmermann ist Asket. Wie ein Säulenheiliger sucht er nicht das Getümmel der Auseinandersetzungen von Avantgarde und Postmoderne, seine Klänge ziehen sich davon zurück und blicken ins Weite. Sie lassen los, gehorchen damit einer Forderung von Meister Eckart („Vom Nutzen des Lassens“) und suchen eigene Orientierung. Hierbei ist Zimmermann immer skrupulös, er klammert sich an selbstverordnete Regularien, die der Ordnung von Stundengebeten entsprechen mögen. Gelingen ist auf solch gefährdeten Wegen nicht garantiert, der Geist aber dringt – und in den besten Werken ganz vehement – durch: hin zu einer Musik, die in ihrer Abgeschiedenheit singulär ist. Sie wirft Gebilde aus, die durch ihre beharrliche Nachdrücklichkeit bestechen und konzentrierte Schönheit einer anderen Art generieren.Vielleicht haben sich dieses Jahr in Weingarten Geistesverwandtschaften auf ganz besondere Art getroffen. Aus Australien kam der Musikwissenschaftler Richard Toop, der die Musik Zimmermanns gleichsam antipodisch zum Zentrum vordringend beleuchtete, die Witwe Morton Feldmans war hier und das „ensemble recherche“, die Sängerin Uta Buchheister, der exorbitante Geiger-Komponist Marc Sabat und der universale Akkordeonist Teodoro Anzellotti ließen Zimmermanns Musik aus ihrer Mitte heraus leuchten. Zu Recht hat man in Bezug auf Zimmermanns Stücke immer wieder von introvertierter Virtuosität gesprochen. Vieles klingt ganz einfach, da sind modal getönte Melodien, da sind Unisonobewegungen, da sind weite Gräben von Pausen. Genaues Hören oder auch ein Blick in die Noten belehrt einen: alles ist verdammt schwer zu realisieren. Zimmermann sucht immer Töne, die auf der Kippe stehen, die sich nur an der schmalen Schnittstelle von Gedachtem und Realität verwirklichen lassen. Solches Bemühen aber schafft Energien, von denen Al-fresco-Partiturpinsler nicht einmal träumen. Und diese Energien stehen wie Geister im Raum. Am entschiedensten war dies, das soll die anderen Leistungen nicht schmälern, im gewaltigen Soloviolinstück „Die Sorge geht über den Fluss 1 & 2“ (der zweite Teil war Uraufführung) der Fall. 50 Minuten Dauer bedeuteten 50 Minuten intensivste Anspannung. Fragile Klänge wagten sich schütter ins Leben, kurze Exzesse rüttelten an den Gittern, Ätherisches trat abgeklärt dazwischen, Stillen unterminierten und verdichteten den Verlauf zur Atemlosigkeit des Vernehmens. „Ich habe über drei Monate jeden Tag etwas Unabhängiges geschrieben. An Tagen, wo ich nicht komponieren konnte, sind jetzt die Pausen.“ So beschrieb Walter Zimmermann den schöpferischen Hergang. So einfach ist das. Das Einfachste aber ist das Schwerste. Es zu erreichen, bedeutet Verzicht, beständige Reduzierung. Das kann man nicht komponieren, das muss man leben.
Zimmermann lebt und vermutlich wird er immerfort von Selbstzweifeln geplagt. Daraus freilich wächst letztlich seine Kraft.