„Wäre denn je ein Fest, wären nicht insgeheim wir die Geladenen, wir auch die Wirte“, so endet aus dem Munde der Ungeborenen, in mythisch-erotischer Verklausulierung des Festes als Anlass zu Vereinigungen und damit auch zur Zeugung von Kindern, Hofmannsthals Libretto zu Richard Strauss’ Märchen-Oper „Die Frau ohne Schatten“.
In der Züricher Neuinszenierung, wo diese Ungeborenen nicht nur aus dem Off hörbar sind, sondern mit übergroßen, niedlichen Babygesichtsmasken wiederholt die Szenen bevölkern, wird dieses Gastmahl wörtlich genommen: mehr und mehr legen sämtliche Darsteller der Handlung ihre Bühnenkostüme ab (im Sinne: „es schwindet schon, Mutter das Ängstliche“) und finden sich an einer improvisierten Tafel zu einer Feier, deren lockere Selbstverständlichkeit von der anschließend am selben Ort stattfindenden Premierenfeier kaum zu überbieten ist.
Und die Freude springt über, das Publikum stimmt ein in den „Jubel, wie keiner gejubelt“ und feiert um 23 Uhr den neuesten Coup de théâtre einhellig als Sternstunde.
Dem vorausgegangen war in der viereinhalbstündigen, stark von erotischer Spannung getragenen, Aufführung viel Verblüffendes, Erhellendes und wenig Verstörendes, so dass David Pountneys bereits dreizehnte Inszenierung am Opernhaus Zürich ohne Widerspruch aufgenommen wurde.
Die Kostüme von Marie-Jeanne Lecca lösen das Kunstmärchen ebenso sein, wie die Zeit der Entstehung: Federn tragen alle Wesen der Keikobad-Welt, deren 12. Bote beispielsweise ein geflügelter Riese mit Zylinder ist. Und Pountneys Regie betont soziale Bezüge zur Arbeitswelt der Underdocks, inklusive Kinderarbeit an Nähmaschinen, und setzt in der Personenführung auf (Tiefen-)Psychologie. Die Welt des Glamour („O Welt in der Welt, o Traum im Wachen“) führt er als ein Theater auf dem Theater ein, eine Revuebühne, die von der Amme in die Arbeitswelt Baraks gezaubert wird. In orientalischem Nachtclub-Ambiente tanzt der potenzielle Liebhaber der Färberin und zaubert ein Jongleur die Fischlein für die Pfanne.
Zu den fesselndsten und zugleich erotischsten Momenten der Aufführung gehört das Ende des zweiten Aktes, wenn Barak seine Frau zunächst mit einer Schaufel erschlagen und dann mit bloßen Händen erwürgen will (eine Parallele zur Absicht des Kaisers!), aber sich der Überdruck in einem langen, intensiven Kuss löst; folgerichtig sind die „Übermächte“, die dann hereinbrechen und die Wohnung zerstören, hier keine Wassermassen, sondern die gewaltige Ankündigung eines Kinderspielzeuglandes, mit großen, farbigen Ballons und buntem Konfetti (Bühnenbild: Robert Israel). Der dritte Akt spielt dann in einer halb zerstörten Chaos-Architektur auf zirkulierender Drehbühne. Einen atomaren Unfall signalisieren die grauen X-Ray-Kostüme des Färberpaars und der Kaiserin.
Eine ungewöhnliche Umsetzung erfahren die Flüge des hier sichtbaren, roten Falken als sexy Tänzerin: faszinierende Akrobatik in schwindelnder Höhe, ohne Sicherungsseil oder Netz, durch Beate Vollack, die auch für die Choreographie verantwortlich zeichnet. Den meisten Zuspruch erntet Michael Volle als ungemein intensiv gestaltender, mit Belcanto und Volumen aufwartender Barak, dessen Timbre sich im Duett trefflich mischt mit der hochdramatischen Amerikanerin Janice Baird, als einer stimmlich differenzierenden, ungehemmt leidenschaftlichen Färberin. Emily Magee, in Bayreuth als Eva glücklos, obsiegt hier in der Titelpartie mit der Bandbreite der Lyrismen des ersten Aktes bis zu den hochdramatischen Ausbrüchen im dritten. Ihr zur Seite liefert der lyrische italienische Tenor Roberto Saccà mit heldischen Ansätzen ein viel versprechendes Rollendebüt als Kaiser. Hinreißend in Spiel und Stimmgebung gestaltet die Altistin Birgit Remmert die Amme als einen Emporkömmling, mit aller Perfidie des intoleranten Konvertiten.
Von der im ersten Weltkrieg entstandenen Partitur bekommt man in Zürich sehr viel mehr zu hören als gewöhnlich, auch wenn die Wiedergabe nicht ganz strichlos ist. Mit großem Atem, Liebe zum Detail und zur Farbigkeit, zelebriert Franz Welser-Möst ihre asiatischen Einflüsse, aber auch die Nähe zur leichten Muse eines Franz Lehár. Weniger betont er hingegen die rhythmischen Strukturen. Dafür skandiert das Publikum am Ende des Premierenabends rhythmisch applaudierend.
(Weitere Aufführungen: 16., 19., 22., 26. Dezember 2009, 9. Januar 2010)