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Das italienische Parlament spricht Dada

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„Brot und Spiele“ fürs Publikum beim 20. Münchner ADEvantgarde-Festival
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Viele Komponisten hat man in den letzten zwanzig Jahren beim Münchner ADEvantgarde Festivals kommen und gehen sehen. Manche Eintagsfliege, aber immer wieder auch Namen, die uns bis heute regelmäßig im Konzert begegnen. Der Jubiläumssaison hatte man nun das Motto „Spielend“ vorangestellt. Denn neben zeitlosen Themen wie Macht und Geld ist es eben gerade das Spiel, das die Menschen seit Urzeiten beschäftigt, egal ob zur simplen Unterhaltung oder als erbitterter Wettkampf.

Beide Aspekte vereinten sich am gelungensten beim Abend „Brot und Spiele“, für den sich drei Nachwuchskomponisten in Form von Operneinaktern mit dem Festivalmotto beschäftigt hatten. Wobei gleich zwei von ihnen durch das „panem et circenses“-Zitat zu einer bissigen Politsatire inspiriert wurden. So zeigte Verena Marisa Schmidt beim „Volksentscheid am Nockerlberg“ ein fiktives TV-Duell, dessen Teilnehmer sich beide auf der Gehaltsliste desselben Großkonzerns finden. Ähnlichkeiten mit aktuellen Schlagzeilen rein zufällig. Voll beabsichtigt dagegen der Stilmix ihrer Partitur, die rezitativische Passagen vom traditionellen Cembalo untermalen lässt, aber nicht vor schrillen Dissonanzen zurückschreckt. Noch weiter trieb es Manuela Kerer, die in „tickende polli“ Eindrücke einer italienischen Parlamentssitzung verarbeitet und ihre dadaistischen Figuren nicht nur in höchsten Tonlagen sinnfreie Phrasen in den Raum werfen lässt, sondern das Ausdrucksspektrum gleich noch um Niesen, Schmatzen und Fingerschnipsen erweitert. Vertrauter klangen da schon die Stilmittel, die Stefan Johannes Hanke bei seinem phonstarken aber letztlich zu eintönig geratenen Ehedrama „all in“ zum Einsatz brachte.

Dieses Nebeneinander von Alt und Neu spiegelte sich ebenfalls im Konzertprogramm, wo es beim Eröffnungsabend mit dem Aventa Ensemble neben zwei Uraufführungen noch „Browsing Agon“ von Michel Gonneville zu hören gab, der mit diesem Werk einen unverklärten Blick in die Vergangenheit wagte und auf Motive aus dem gleichnamigen Strawinsky-Ballett zurückgriff. Bereits hier zeigte sich eine Linie, die bis zum Abschlusskonzert konsequent fortgesetzt wurde. Denn obwohl auch dort fast ausschließlich Uraufführungen auf dem Programm standen, waren diese doch alle fest in der Musikgeschichte verwurzelt. Etwa Georg Haiders „Ausleuchtung“ von Perotins „Viderunt omnes“, die der Vorlage jedoch nicht allzu viele neue Aspekte entlockte und den mittelalterlichen Meister mit etwas zu viel Respekt behandelte. Weniger zimperlich ging Leopold Hurt ans Werk, der für seine Versionen von Antoine Brumels Missa „Et ecce terrae motus“ das Original zunächst nur behutsam umarrangierte, dann aber immer mehr eigene Kommentare hinzufügte, bevor das Werk mit einem neu geschriebenen Finale ganz im 21. Jahrhundert ankam.

Vorangegangen waren dem Festival-Finale eine ganze Reihe interessanter Veranstaltungen, bei denen internationale Gäste wie das koreanische Ensemble TIMF ebenso ihre persönliche Note beisteuerten wie einheimische Kräfte vom Münchner Kammerorchester oder der Hochschule für Musik und Theater. Nach deren Beitrag zu „Brot und Spiele“ kam in der zweiten Woche auch das Tanztheater zu seinem Recht. Wobei der versprochene „Showdown“ im direkten Vergleich eher zahm ausfiel. Was vor allem an der Musik lag, die als verzerrte Geräuschkulisse aus dem PC kaum Emotionen entfachte, und ähnlich auch in der spannungsarmen choreographischen Umsetzung nur selten zu fesseln vermochte, wirkte hier doch vieles ähnlich seelenlos wie die Bits und Bites, aus denen sich die dröhnenden Klänge zusammensetzten. So wichtig der technische Fortschritt auch sein mag, hat das Festival doch wieder einmal bewiesen, dass handgemachte Musik, die eine Geschichte erzählt, den Hörer noch immer am stärksten zu packen vermag. Da ist es bezeichnend, dass ausgerechnet das Familienstück „Schön, schöner, Schneewittchen“ die höchste Besucherzahl aufweisen konnte und rund 1.200 Jugendliche samt Eltern begeisterte. Sicher, zeitgenössische Musik mag nach wie vor ein Nischenprodukt sein, doch die Neugier des (jungen) Publikums bleibt bestehen. Und damit die Hoffnung, dass wir in Zukunft noch die eine oder andere Überraschung erleben werden.

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