37 Uraufführungen in fünf Tagen, das ergibt einen Schnitt von etwa sieben neuen Werken am Tag. Mehr als je zuvor war das Eclat Festival vom 6. bis 10. Februar 2019 im Stuttgarter Theaterhaus – übrigens nach wie vor eine der architektonisch besten Produktionsstätten für neue Musik – eine Messe der musikalischen Möglichkeiten der Gegenwart. Was die eingeladenen 26 Komponistinnen und 24 Komponisten alles präsentierten, reichte vom „harmlosen“ (in Anführungszeichen!) Schubert-Abend über neue Musik als sozialreformerische Bemühung bis hin zu auf höchstem Niveau gefertigter und dargestellter Kammer-, Chor- und Orchestermusik.
Im Zentrum des spannenden Narrativs der Gegenwartsmusik stand unter anderem das Klavier. Komponist Philipp Krebs und Performerin Neus Estarellas hatten das Instrument ganz im Wortsinn „entkernt“ und es mit neuer Bedeutung und mit neuer Musik gefüllt. Mit ihrer ganztägigen Installation, die insgesamt vier Mal in halbstündige Performances überging, schufen sie eine Art Ruhepol im Festivaltrubel. Vorausgesetzt man hatte nichts einzuwenden gegen die Geräusche eines Bandschleifers oder elektronische Noise-Musik.
Eine ganz klassische Gattung bediente das Duo der Geigerin Karin Hellqvist und der Pianistin Heloisa Amaral. Mit Hilfe eines dritten Mitspielers, Max Sauer am Regiepult, schöpften die fünf uraufgeführten Werke alle Erweiterungsmöglichkeiten aus, die moderne Elektronik für herkömmliche Instrumente bereithält. Gemäß der Matrix der Eclat-Ausgabe 2019 hatten alle Kompositionen neben der Musikproduktion auch noch die Aufgabe, ein außermusikalisches Programm zu transportieren. Bei Lisa Streichs Versuch, ein Stück zu schreiben, das versucht, Düfte zu erinnern, blieb das doch sehr im Gewollten. Øyvind Torvund dagegen wurde konkret und lieferte live Skizzen und Pläne für zukünftige Kompositionen für Violine und Klavier. Alverto Bernal nahm ein Thema aus der 3. Violinsonate von Johannes Brahms und konfrontierte es mit einer enormen Masse von 117 aufgenommenen Variationen desselben. Die 117 Parallelwelten für ein und dasselbe Material entfalteten eine suggestive Wirkung, der man sich nicht entziehen wollte. Kristine Tjøgersen schuf fürs norwegische Duo Hellqvist/Amaral eine „Silent Disco“ und Lars Petter Hagen gab mit seiner Bearbeitung von Johan S. Svendsens „Romanze G-Dur op. 46“ für Víoline, Klavier und Elektronik dem Kammermusikkonzert sinfonischen Touch.
Biedermeier revisited …
Ein Schubertabend stellte Klavier und Tasteninstrumente in ein Konzept aus kammerorchestralem Farbenreichtum, kitschigen Background-Vocals und seriösem Liedgesang. Mezzosopranistin Tora Augestad und Bariton Halvor Festervoll Melien trafen den Schubert-Ton ausgezeichnet. Angeführt wurde die Schubert-Hommage vom Komponisten und Konzeptkünstler Eivind Buene am Fender Rhodes. Biedermeier revisited in Singer-Songwriter-Attitude.
Doch nicht nur das Klavier, auch Konzertformate, Konzert-Räume, Medien, künstlerische Ikonen, das Publikum und diverse Ensembles wurden auf den Prüfstand gestellt. Eclat 2019, das war Experiment, riskante Ideen sowie Überraschungen und Einfälle in schnellem Wechsel. Manches Stück war leicht goutierbar, andere artifiziell und fordernd – ausnahmslos alle erzeugten beim Hörer die Nachklänge, ohne die sie unvollendet wären.
- Lesen Sie einen ausführlichen Bericht über die weiteren 30 Uraufführungen des Eclat-Festivals von Rainer Nonnenmann in der Märzausgabe der neuen musikzeitung.