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Musikalisch beschenkt: Sofia Gubaidulina in Hannover. Foto: Jaakko Kilpiäinen
Musikalisch beschenkt: Sofia Gubaidulina in Hannover. Foto: Jaakko Kilpiäinen
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Das kreative Prinzip

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Sofia Gubaidulina – ein Fest zum 80. Geburtstag in Hannover
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Sie nimmt die Ehrungen lächelnd entgegen, reiht sich ein in die vielen Ausführenden: Sofia Gubaidulina bleibt nachdenklich, zurückgezogen, so als gelte der Beifall nicht ihr, sondern dem Geschenk, komponieren zu können und zu dürfen in ihr. Sofia Gubaidulina wurde achtzig: Ihr zu Ehren veranstaltete der NDR in Hannover ein Festival vom 9. bis 13. November an verschiedenen Orten der Stadt.

Das Konzert am 12. November in der Musikhochschule Hannover verband unterschiedliche Klangwelten miteinander. Das Streichquartett Nr. 3 aus dem Jahr 1987 von Gubaidulina erklang in der Realisation des Szymanowski-Quartetts ungemein spannend und klangdifferenziert. Eine lange, fast „Erste-Satz-Passage“, spielte mit unterschiedlichen Pizzicatotönen im Pianissimo, im Dialog der Instrumente untereinander. Wie durch einen Schleier hindurch erkennbar, schienen Assoziationen von Tonalität aufzuleuchten, die aber dann wieder in eine frei sich entfaltende Klangwelt abtauchten. „Fingerschlagen“ auf dem Griffbrett der Instrumente erzeugte im Zusammenklang ein Bild naturnaher Insektenflüge, unmittelbar erklang ein melodisch-leises Cellosolo. „Quasi Hoquetus“ für Viola, Kontrabass und Klavier (1985/2011) verband rhythmische Tonfolgen in überaus schnellem Tempo und langgehaltenen Klängen im Klavier mit Tönen der beiden Streichinstrumente, die die Obertöne der klingenden Tonfolge zu verlängern schienen. Ein Tonfenster zum Choral wurde abgelöst durch eine hämmernde Bass-Passage im Klavier, verstärkt durch die Streicher, engagiert musiziert von Kana Sugimura, Viola, Martin Heinze, Kontrabass, und Jan Philip Schulze, Klavier.

Ein besonderes Geschenk zu ihrem Geburtstag bildete die Komposition, die die Komponistin Elena Firsova zusammen mit ihrer Tochter Alissa Firsova und Dimitri Smirnow für Sofia Gubaidulina erfand, ergänzt durch die Bilder von Philip Firsov. Diese Komposition auf den Text von Kubla Khan: „A Vision in a Dream“ erklang für Tenor (Simon Bode), Bajan (Elsbeth Moser), Violine (Andrej Bielow) und Violoncello (Reynard Rott). Simon Bodes klarer Tenor erzählte von einem „Lustschloss“, von „Höhlen, Wäldern“ und „Sonnenflecken im Grün“, aber auch von Tumult und Lärm, der Ankündigung eines Krieges. Bajan, Violine und Violoncello bildeten die Klänge in stetigem Miteinander-Entwickeln der Spannung, die die Aussage des Textes verstärkten.

Humorvoll und voller Witz sind die „Galgenlieder à 5“ von Sofia Gubaidulina. Die Texte Morgensterns, seine Sprachbilder von der „Mitternachtsmaus“, dem „ästhetischen Wiesel“, das sich auf „Kiesel“ und „bachgeriesel“ „um des Reimes willen reimt“, dem „Knie“, das einsam durch die Welt geht, dem „Mondkalb“ und natürlich auch „Fisches Nachtgesang“, wurden in dieser musikalischen Gestalt zu einer humoresken Steigerung und Brechung. Wesentlichen Anteil an dieser witzigen Realisation hatte die Mezzosopranistin Barbara Höfling, deren komödiantisches Spiel im Singen begeisterte. Gergely Bodoky, Flöte, Cornelia Monske, Schlagzeug, Elsbeth Moser, Bajan, und Martin Heinze, Kontrabass, musizierten mit Witz, wobei ihnen allen eine kräftige Portion musiktheatralisches ironisches Spiel abverlangt wurde. Ein besonderes Konzert zum Geburtstag, dem auch die Familie Firsova durch ihre Anwesenheit und Anne-Sophie Mutter durch ihr Geigenspiel Glanz verlieh. 

Anne-Sophie Mutter war die Solistin des 2. Violinkonzertes „In tempus praesens“ von Sofia Gubaidulina, das den Höhepunkt des Konzertes des NDR-Radio-Orchesters unter der Leitung von Eivind Gullberg Jensen bildete. Bereits 2007 fand in Luzern die Uraufführung dieses Werkes statt, das die Komponistin für die Interpretin schrieb. Sofia Gubaidulina und Anne-Sophie Mutter verbindet über das musikalische Ausnahmetalent hinaus die Namensverwandtschaft: „Sophia“ ist die Personifikation der Weisheit, die als „Urgrund geistiger und künstlerischer Entfaltung“ gilt: „Sophia ist“, so die Komponistin, „Gottes kreatives Prinzip, der eigentliche Motor der Welterschaffung. Einigkeit in Vielfalt und Vielfalt in Einigkeit.“ (Zitat Programmheft, A. Flechsig) 

Anne-Sophie Mutter ließ zusammen mit den Musikern des Orchesters ein beeindruckendes intensives Klanggebilde entstehen. Wie aus dem Nichts entwickelt die Violine ihre traurig-melancholische Erzählung, gerät in den Strudel irisierender Klänge unterschiedlicher Instrumente und besonders auch in die Klangwelt des überaus vielfältigen Schlagzeug-

instrumentariums. Fast zerschellt die Einsamkeit der Violine an den Blech-Brechern, die über sie hinwegfetzen. Die Violine bleibt, hält den Stürmen stand, behauptet sich in einer virtuosen Kadenz und spielt mit Kantilenen. Anne-Sophie Mutter faszinierte durch ihre Hingabe an das Werk, ihren warmen Violinklang und ihre selbstverständliche Brillanz. Fast führte sie das Orchester, das sich intensiv in die Klangwelt Gubaidulinas einfand. Die Freundschaft der beiden Künstlerinnen, der Komponistin und der Geigerin, durchdrang dieses Geburtstagskonzert und ließ das Publikum an der gemeinsamen Freude an der Musik, am Klang, am Musikantischen teilhaben. 

„Wer beschenkt hier wen?“, fragte  in seinem Glückwunsch an die Komponistin Dietrich H. Hoppenstedt. Mit „standing ovations“ bedankte sich das Publikum für das Musikgeschenk der Komponistin. Der „Cantus in memory of Benjamin Britten“ von Arvo Pärt bildete einen zeitlichen Übergang von der Musik des 19. über das 20. ins 21. Jahrhundert. Sofia Gubaidulina bedankte sich in wenigen bewegten Worten für das Konzert, das man ihr bereitete, mehr aber für das Geschenk, so Musik erfinden zu dürfen.

Die Vielfalt der Veranstaltungen zum Fest des 80. Geburtstages von Sofia Gubaidulina setzte weitere Schwerpunkte: Konzerte und Gespräche zu den Themen: „Religion und Konstruktion – Sofia Gubaidulina und Johann Sebastian Bach“ und „Kammermusik in ungewöhnlichen Besetzungen“ mit den Gesprächspartnerinnen Margarete Zander, Sofia Gubaidulina und Elsbeth Moser. Der Dokumentarfilm zur Entstehung des Violinkonzertes beeindruckte durch die deutliche Erzählung des Kompositionsprozesses und der Arbeit der Solistin, die sich in Hannover ebenfalls zum Gespräch eingefunden hatte. Die Musikwissenschaft setzte sich unter verschiedenen Gesichtspunkten mit dem Werk der Komponistin auseinander: „Notationen und Bilder – Kompositionsprozess“ (mit Vorträgen von Hubertus von Amelunxen, Braunschweig, Heidy Zimmermann, Basel, und Anja Städtler, Köln), in denen die musikalische Graphik als Vor-Notation oder Notationsidee einer nachfolgenden Komposition betrachtet wurde. Gleichzeitig wurde die Frage aufgeworfen, ob denn die Partitur, als „graphische Notation“, nicht eine „Gebrauchsanweisung“ sei, die dann von den Interpreten umgesetzt werde. Das Original entstehe erst durch die Interpreten und damit bei jeder weiteren Aufführung neu als weiteres Original. „Ordnungen und Räume – Kompositionen“, zu diesem Thema wurde auch die Frage nach den Ordnungen in den Kompositionen Sofia Gubaidulinas gestellt. Florian Heesch suchte die „komponierten Zahlenordnungen und die Geschichte der musikalischen Mystik“ darzustellen. Fibunacci-Folge und der „Goldene Schnitt“ erschienen in mathematischen Formeln. Sie bilden eine proportionale Ordnung in den Werken Sofia Gubaidulinas. Alles sei jedoch nicht zu erklären, die Frage nach der Mystik in diesen Zahlen in Bezug zu den Kompositionen Sofia Gubaidulinas blieb weitgehend offen.

Humor, Nachdenklichkeit, Wissen um die Schöpfung und die Verantwortung des Menschen in ihr – geformt in Klang – Sofia Gubaidulina beschenkt uns – ihr sei mit großer Freude gedankt.

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