Draußen funkelt das Gold in den prachtvoll renovierten Foyers des Grand Théâtre Genève, das zweieinhalb Jahre geschlossen war. Drinnen möchte der scheidende Intendant Tobias Richter im wiedereröffneten Opernhaus mit dem „Ring des Nibelungen“ von 2013/14 (Regie: Dieter Dorn, Bühne: Jürgen Rose) den Glanz auch in den nüchtern und funktional gebliebenen Zuschauerraum bringen. Das mystische Vorspiel zum „Rheingold“ als Schöpfungsakt, als Weihe des wiedereröffneten Hauses – eine durchaus stimmige Dramaturgie.
Der Kieler Generalmusikdirektor Georg Fritzsch hat dafür die Rolle des Zeremonienmeisters übernommen, nachdem Ingo Metzmacher den ersten Ring in Genf dirigiert hatte. Eigentlich war geplant, die Saison schon im Herbst mit dem Ring und der Wiedereröffnung des Hauses zu beginnen, aber wegen eines Wasserschadens dauerte der Umbau einige Montage länger. Sonst klappte alles wie am Schnürchen. 70 der 75 Millionen Schweizer Franken hat die Stadt Genf bezahlt. Die restlichen 5 Millionen wurden von Stiftungen übernommen. In der dreijährigen Umbauzeit mussten die Genfer aber nicht auf Oper verzichten, sondern die im UNO-Viertel gelegene, von der Pariser Comédie-Francaise gekaufte und mit einem Orchestergraben versehene Opéra des Nations erwies sich als akustisch hervorragende Ausweichspielstätte, die auch ein neues Publikum anzog. Nun wird das hölzerne Gebäude nach China verschifft.
Renovierung
Bei der Renovierung des Grand Théâtre Genève hat man nicht nur die Deckengemälde des Genfer Malers Léon Gaud restauriert und der Farbkomposition mehr Kontrast verliehen. Auch viele Rekonstruktionen wie ein Parkettboden mit Intarsien, von dem man nur eine Skizze hatte, lassen das 1879 eröffnete Gebäude neu erstrahlen – auch von außen mit einer gereinigten Fassade. Im Eingangsbereich wurden eine Kasse und ein Café eingerichtet, die das Opernhaus in den öffentlichen Raum öffnen sollen gegenüber der Stadt. Die neu angelegten Bars und eine optimierte Belüftung des Zuschauerbereichs mit 1500 Plätzen verbessern ebenfalls das Angebot für das Publikum. Aber auch die Künstler dürfen sich freuen über neue, unterirdisch angelegte Proberäume mit insgesamt 800 Quadratmetern mehr Fläche.
Technisch verbrummt: „Rheingold“
Vor der Premiere des „Rheingold“ bevölkern die Zuschauer die Foyers und schauen staunend nach oben zu den blinkenden Kristalllüstern und nach unten zu den kunstvollen Holzböden. Diese Aufgeregtheit setzt sich leider im Saal fort, so dass im Vorspiel die leisen, tiefen Es-Liegetöne in den Kontrabässen und Fagotten kaum wahrzunehmen sind. Ein störendes Brummen der Lautsprecheranlage macht dann alle Bemühungen um klangliche Differenzierung zunichte. Diesem Anfang wohnt kein Zauber inne. Und auch im „Rheingold“ selbst muss sich das Orchestre de la Suisse Romande erst freispielen. Fritzsch achtet zwar auf kammermusikalische Transparenz, vernachlässigt aber die dramatischen Momente. Selbst kurze Orchestereinwürfe geraten seltsam unentschlossen. Mit der Zurücknahme ins Piano verliert die Musik auch an Intensität. Für die Sänger ist dieser Dirigent aber ein Glücksfall. Schon die ganz lyrisch angelegten Rheintöchter (Polina Pastirchak, Carine Séchaye, Ahlima Mhamdi) profitieren von der Legatokultur, die Fritzsch mit dem eleganten Klangkörper entstehen lässt. Soviel Melos wie bei Stephan Rügamers leuchtendem Loge hat man selten gehört. Erst beim Fluch Alberichs (etwas zu kantig und kurzatmig: Tom Fox) in der vierten Szene lässt das Orchester die Muskeln spielen. Die Leichtigkeit und Transparenz dieser Wagnerinterpretation passt zur verspielten Inszenierung von Dieter Dorn. Manches erinnert an Kindertheater, wenn Dorn den Lindwurm, in den sich Alberich verwandelt, durch das aufgerissene Maul Rauch schnauben lässt oder am Ende die Götter zum Einzug in das Walhall in den Fesselballon steigen.
Dichtes Beziehungsnetz: „Walküre“
Das packendere, vor allem vielschichtigere Theater ereignet sich im Orchestergraben. In der „Walküre“ misst Fritzsch die gesamte Bandbreite aus – von sphärischen Streichertremoli bis zu erdigen, eruptiven Blechattacken. Von Beginn an hört man größte Plastizität im Orchestergraben. Fritzsch ist nicht nur ein äußerst sensibler Sängerbegleiter, der den Orchesterklang wie ein Tonmeister genau ausbalanciert und den lyrischen, über zu wenig metallenen Glanz verfügenden Siegmund von Will Hartmann nicht zudeckt. Überhaupt ist das Orchester nie über den Sängern und wird nur an ganz wenigen, bewusst ausgewählten Stellen wie dem Walkürenritt klanglich voll ausgefahren. Fritzsche setzt auch interpretatorische Akzente, wenn er die Vorhalte betont und die Auflösungen extrem zurücknimmt oder in seiner fließenden Interpretation mit einigen langen Generalpausen wie vor Sieglindes „Wo bist Du, Siegmund“ innehalten lässt. Nicht nur die Textverständlichkeit im homogenen Ensemble (herausragend: Tómas Tómasson als Wotan, Michaela Kaune als Sieglinde, Ruxandra Donose als Fricka und mit leichten Abstrichen Petra Lang als Brünnhilde) ist bemerkenswert – auch das Orchester spricht! Georg Fritzsch zieht mit dem groß aufspielenden Orchestre de la Suisse Romande weite Spannungsbögen und knüpft ein dichtes Beziehungsnetz. Am Ende gibt es besonders für die musikalische Interpretation starken Applaus. Nun ist Genf gespannt auf den „Siegfried“ und die „Götterdämmerung“.