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Das Problem eines gemeinsamen Kampfes

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Ehemalige Mitglieder des BJO proben für die Münchener Biennale – ein Round-Table-Gespräch
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André Werner ist der Komponist. Sein Stück „Marlowe: Der Jude von Malta“ geht auf ein Drama von Christopher Marlowe aus dem Jahr 1593 zurück. Überzeitliches Thema: Macht, Reichtum, Konflikt zwischen Religionen.

André Werner ist der Komponist. Sein Stück „Marlowe: Der Jude von Malta“ geht auf ein Drama von Christopher Marlowe aus dem Jahr 1593 zurück. Überzeitliches Thema: Macht, Reichtum, Konflikt zwischen Religionen.Musiker, die einst Mitglieder im Bundesjugendorchester waren, begannen die Proben in der wunderschön gelegenen und bestens ausgestatteten Bayerischen Musikakademie in Marktoberdorf. Hans Timm, bis vor kurzem Geschäftsführer des BJO, organisierte. Gruppenproben mit einzelnen Dozenten fanden statt, der Dirigent Rüdiger Bohn traf ein. An diesem Abend wurde ein Round-Table-Gespräch zwischen Dirigent, Dozenten und den jungen Musikern angesetzt. Die meisten Musiker sind inzwischen an Musikhochschulen, sie haben sich zur Mitarbeit gemeldet, um ein zeitgenössisches Musikstück aufzuführen. Thema des Gesprächs war es, wie groß das Interesse der jungen Musiker am Zeitgenössischen ist und welche Bedingungen sie in dieser Hinsicht an ihren Hochschulen vorfinden. Es entwickelte sich eine lebendige Diskussion.

Es ist wohl so: Der Zustand, dass die Musik der Zeitgenossen abseits steht von der musikalischen Ausbildung, vor allem abseits von Probespielen für die Aufnahme in ein Orchester, auch abseits von Anforderungen bei Wettbewerben, wird immer mehr als unerträglich empfunden. Gewiss reagierten auch die Ausbildungsinstitute darauf und bieten heute stärker Neue Musik an als vor 20 Jahren. Das wurde auch im Gespräch angemerkt. An den meisten Hochschulen hätten die Studenten die Möglichkeit, sich in Sachen Neuer Musik unterrichten zu lassen. Zweifelsohne herrschen dort aber noch Trägheitsmomente. Viele Instrumentallehrer fühlen sich für avantgardistische Praktiken nicht zuständig. Hier brachte Hans Timm den Begriff des Professionellen ein: Wer seinen Unterricht professionell begreife, der dürfe nicht gravierende Lücken in Sachen neuer Techniken haben. Vielleicht, so mag man hoffen, ist das noch ein Generationenproblem. Aber dann wurden auch Zweifel unter den Musikern laut, auch eigene Trägheitsmomente benannt – und es sind gewissermaßen handverlesene, denn mit gewissem Selbstverständnis wurde behauptet, dass das Interesse an Neuer Musik für sie außer Frage stünde, denn immerhin hätten sie ja freiwillig ihr Mitwirken am Uraufführungsprojekt zugesagt. Die Zweifel haben durchaus teilweise Berechtigung. Viele Partituren sind, wenn nicht sogar gegen, so doch gewiss nicht im Hinblick auf den Musiker geschrieben. Nachlässigkeiten oder Unübersichtlichkeiten im Text würden immer wieder lästig zeitverzögernde Probleme auslösen. Und was soll man sich mit riesigen, fast unüberwindlichen Schwierigkeiten des Textes aufhalten, wenn der Sinn für solche Schwierigkeiten, die manchmal wie Selbstzweck erscheinen, nicht einzusehen ist?

In der Tat ist das (wenig Trost für die Musiker) immer wieder Bestimmung von Zeitgenossen. Man verwies darauf, mit wie viel schlechter, gleichwohl vertrackt schwerer Musik sich die Vorgänger-Interpreten etwa zu Zeiten der Romantik herumschlagen mussten; mit Werken, die heute längst aus dem historischen Bewusstsein getilgt sind. Gleichzeitig verwies man darauf, dass auch die großen Komponisten der Vergangenheit, sei es Bach, Beethoven, Schubert, Bruckner, Debussy oder Schönberg, immer wieder die Grenzen des technisch Machbaren tangierten oder auch überschritten. Heute aber, so meinte ein Trompeter, würden viele Stücke so sehr auf einen einzigen Interpreten und dessen spezielle Fähigkeiten zugeschnitten, dass es für andere Interpreten desselben Instruments so gut wie unausführbar sei. Der Riss sei dadurch noch größer als früher. Auch in anderer Hinsicht konnte man den jungen Musikern teilweise Recht geben: Mit dem Verlust der Tonalität am Anfang des letzten Jahrhunderts sei zugleich partiell der Verlust einer gemeinsam kommunizierbaren Sprechebene einhergegangen. Dieses Problem, das Problem eines einsamen Kampfes, sei sich immer wieder zu vergegenwärtigen.

Und dennoch wurde klar: Zumindest in der Zeit der Ausbildung muss ein Studierender nicht nur das Recht, sondern auch breit gefächerte Möglichkeiten haben, sich mit allen Aspekten musikalischen Tuns auseinander zu setzen. Denn nur, wer das gesamte Spektrum besitzt, kann letztlich als voll ausgebildetes Individuum die eigenen Präferenzen profund benennen. Hingewiesen wurde darauf, dass Neue Musik nicht nur als experimentell interessante Perspektive gesehen werden dürfe, sondern dass sie Interpreten braucht, die mit Begeisterung dafür einstehen: Interpreten, die erkennen, dass mit diesen Mitteln Dinge gesagt werden, die anders nie benannt wurden, nicht formuliert werden konnten. Die Begeisterung am Tun sei es auch, die dann der Aufführung Überzeugungskraft beim zaudernden Publikum verleihe. Wachheit und Offenheit sollte weit mehr als heute üblich Ausbildungsziel sein. Die Ausbildung allein zum Orchestermusiker, gleichsam die Hinführung zum Probespiel allein, ist eines der größten Dilemmata gegenwärtiger Musikausbildung. Vielleicht war es eines der nachhaltigsten Ergebnisse des lebendigen Gesprächs in Marktoberdorf, dass eine Verlängerung dieses Zustands letztlich allem musikalischen Tun das Wasser abgräbt. Was wir mehr denn je brauchen ist ein offener Musiker. Vor der individuellen Arbeit auf solcher Basis, wie immer sie auch aussieht, bräuchte es einem nicht bange zu sein.

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