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Oper in der Straßenbahn. Foto: Maurice Korbel
Oper in der Straßenbahn. Foto: Maurice Korbel
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Das Publikum zu Touristen machen – In Freiburg fährt die Oper Straßenbahn

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Die Opernbesucher stehen geduldig in der Warteschlange und schauen auf den Sonnenuntergang, der durch den Uringeruch aus der benachbarten Toilettenkabine eine besondere Note erhält. Ab und zu fährt ein Bus vorbei. Der Betriebshof der VAG im Freiburger Westen ist bislang noch nicht als besonders theatralischer Ort aufgefallen. An diesem Abend startet und endet hier die Uraufführung von „Operation Breisgauland 2048“.

Und dann fährt auch schon der Erlebniswagen der Freiburger Verkehrs AG vor, der nicht nur zum Zuschauersaal, sondern auch zur 33 Meter langen Bühne dieses speziellen Musiktheaters wird. VAG-Vorstand Stephan Bartosch bemerkt lakonisch, sie hätten ja schon gelegentlich Theater in der Straßenbahn, wenn einmal wieder jemand keine Fahrkarte hat, aber die Uraufführung einer Oper – das sei doch etwas ganz Besonderes. Aus dem Betriebshof erscheinen maskierte, weiße Gestalten, die um die Straßenbahn tanzen, singen und gegen die Fenster trommeln. Die Türen öffnen sich – und man ist gleich mittendrin im Geschehen, wenn der Chor singt „Ist das der richtige Wagen?“ und die Bahn zu rollen beginnt.

Bereits bei der Produktion „Die gute Stadt“ im Jahr 2015 hat Regisseurin Thalia Kellmeyer, damals noch Leiterin des Jungen Theaters Freiburg, eine Stadtoper auf die Bühne gebracht – mit Profis und Laien, mit einer recherchebasierten, theatralisch dünnen Geschichte und einer Musik, die von jedem Stil etwas dabei hatte. Mit dem daraus hervorgegangenen, 2017 gegründeten Verein „Community Oper Freiburg e.V.“ möchte man ein „gegenwartsnahes, interkulturelles und partizipatives Musiktheater für und mit einer Stadtgemeinschaft der Zukunft“ entwickeln. „Raus aus der Festung des Stadttheaters“ (Dramaturg Veit B. Arlt) möchte man gehen und sich andere Räume und ein neues Publikum erschließen.

Gemeinsam mit dem „Netzwerk Junge Ohren“ hat der Verein am Premierentag auch ein kleines, aber feines Musiksymposium organisiert, bei dem sich Musikvermittler und Theatermacher aus Deutschland und der Schweiz im Freiburger Humboldtsaal konfliktfrei austauschten. „Oper, das heißt ja für viele: Zwei dicke Menschen schreien sich an. Und am Ende stirbt die Frau“, konstatierte Mustafa Akca grinsend. Der frühere Klempner und Quartiersmanager versucht seit 2011 mit dem Projekt „Selam Opera!“ an der Komischen Oper Berlin, das Haus auch für andere Kulturkreise zu öffnen. Deshalb packt er regelmäßig einige Musiker und Sänger in sein Operndolmus zu einem „Flashmöbchen“ und fährt in andere Stadtteile, um einige Szenen aus „Carmen“ als sogenannte Pop-Up-Opera in einer Bar zu spielen. „Die subventionierte Oper muss für alle Schichten der Stadtbevölkerung da sein.“ Deshalb gibt es in manchen Opernvorstellungen des Hauses auch türkische Übertitel. Für die Dramaturgie eines Opernhauses empfiehlt er kulturell gemischte Tandems, die auf Augenhöhe kommunizieren.

„Wir müssen auch die Themen entdecken, die die Leute interessieren“, bemerkte Alicia de Banffy-Hall von der Community Music München, die Vermittlungsprogramme für die Münchner Philharmoniker entwickelt. Für Laila Koller vom Freiburger E-Werk ist die Ernsthaftigkeit und Kontinuität interkultureller Arbeit entscheidend für den Erfolg wie beim aus Geflüchteten und Freiburgern gebildeten Süduferchor. Im Bereich Oper seien die aus dem 19. Jahrhundert stammenden, aristokratischen Strukturen besonders verfestigt, klagten die Podiumsteilnehmer der ersten, von Lydia Grün (Netzwerk Junge Ohren) moderierten Runde. Im Bereich Schauspiel sei es aber auch leichter, mit Laien zu arbeiten, so Miriam Tscholl von der Bürgerbühne am Staatschauspiel Dresden, da schon deren biographische Expertise theatralisch genutzt werden könne. An der Hochschule der Künste Bern möchte Barbara Balba Weber, Autorin des Buches „Entfesselte Klassik“, schon in der Ausbildung das Interesse der Studenten an anderen Gesellschaftsgruppen wecken. Regisseur Ludger Engels will im Musikbetrieb keine Virtuosen mehr haben, sondern nur noch künstlerische Persönlichkeiten. In seinen Inszenierungen setzt er auf eine Umfunktionalisierung des Raums oder sucht gleich ganz andere Orte, an denen ein theatralischen Erlebnis möglich ist.

Eine fahrende Straßenbahn ist solch ein Ort. Nicht nur das Innere der Straßenbahn bildet die Bühne für die mitfahrenden Premierenbesuchern, sondern auch von außen fällt der Blick aufs Geschehen, wenn an der Straßenbahnhaltestelle die Wartenden mit erstauntem Blick ein paar Sekunden der Aufführung mitbekommen. Die Zuhörer werden selbst Teil des Geschehens. Die Stückidee von Veit B. Arlt, das Publikum zu Touristen zu machen, die im Jahr 2048 durch einen nachgebauten Breisgau-Erlebnispark fahren, ist brillant. Leider wird diese theatralische Spannung in der Inszenierung von Thalia Kellmeyer nicht weiter ausgespielt. Freiburg zieht unkommentiert am Fenster vorbei. Dafür singt und mimt ein Laienchor (Leitung: Raffaella Dilles) opernbegeisterter Freiburger, die sich nach dreißig Jahren Gesangsverbot aus ihrem Versteck wagen und noch Kleider aus dem Theaterfundus tragen (Kostüme: Yvonne Forster). Dirigent Jan F. Kurth hat dafür eine stark rhythmisch geprägte Musik geschrieben (Schlagzeug: Konrad Wiemann), die ein wenig an Kurt Weill erinnert. Die einstimmigen Chöre werden meist vom Saxofon (Jonathan Maag) gestützt. Ein paar Opernhits wie der „Jägerchor“ aus dem „Freischütz“ oder der Gefangenenchor aus „Nabucco“ dürfen bei der gemeinschaftlich konzipierten Oper auch nicht fehlen. Selbst „I Get Around“ von den Beach Boys hat den Weg in die Straßenbahn gefunden. Die professionellen Gesangssolisten Katharina Schwesinger und Maximilian Bischofberger verdichten das lose Geschehen und sorgen musikalisch für Höhepunkte. Am Ende biegt die Straßenbahn nach 45 kurzweiligen Minuten wieder in den VAG Hof ein, um in der Halle von tanzenden Menschen (Süduferchor: Fiona Combosch) im Neonlicht begrüßt zu werden.

Was genau das nun erreichte Opernhaus der Zukunft ist, bleibt ungewiss. Jedenfalls singt man ein gemeinsam italienisches Lied, ehe die Akteure vom Publikum gefeiert werden und der Straßenbahnfahrer Matthias Wölke einen Extraapplaus erhält.

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