„Es gibt immer noch viel gute Musik in C-Dur zu komponieren.“ Den Satz äußerte Arnold Schönberg zur Verblüffung seiner Kompositions-Schüler, die zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht mehr Anton Webern und Alban Berg hießen, sondern John Cage und Lou Harrison. Schönberg floh vor den Nazis in die USA und lebte seit 1934 in Los Angeles.
Offenbar förderte das amerikanische Umfeld bei ihm eine sehr undogmatische Haltung gegenüber dem Schaffen seiner Kollegen. Jedenfalls ging es ihm nun nicht mehr primär darum, durch seine Erfindung der Zwölftontechnik im Jahr 1921, „die Überlegenheit der deutschen Musik für die nächsten hundert Jahre“ zu sichern. Schönberg freundete sich in seiner neuen kalifornischen Heimat – von der er sagte, er sei ins Paradies vertrieben worden – z.B. mit George Gershwin an, den er nicht nur als Tennispartner, sondern eben auch als einen der führenden amerikanischen Komponisten respektierte. Er liebäugelte sogar mit der Idee, sich als Filmkomponist für Hollywood engagieren zu lassen, was anderen Exilmusikern, etwa Erich Wolfgang Korngold oder auch Hanns Eisler sehr erfolgreich gelang.
Kein leichter Job: Amerikanische Musik zum Swingen bringen
Sowohl Schönberg als auch Gershwin waren beim diesjährigen Musikfest Berlin, das den Fokus auf die Musik Amerikas legte, prominent vertreten. Dabei wurde vor allem eines deutlich: Die hierzulande immer noch gerne gezogene Trennlinie zwischen „Unterhaltungsmusik“ und „Ernste Musik“, spielte seit jeher in den USA eine nur sehr untergeordnete Rolle. Ferner lässt sich auch die Musik von Aaron Copland, Leonard Bernstein und Samuel Barber keineswegs als einfach oder leicht bezeichnen, besonders im Hinblick auf die Interpretation.
Aufschlussreich war hier ein Konzert der Berliner Philharmoniker unter Ingo Metzmacher, bei dem neben der minutiösen 4. Sinfonie von Charles Ives, Gershwins „Cuban Overture“, George Antheils „Jazz Symphony“ und Bernsteins „Symphonic Dances“ aus der „West Side Story“ zu hören waren. In Bezug auf die letzten drei Werke erläutert Metzmacher: „So etwas zu machen, wird immer unterschätzt, denn es ist ja sehr schwer. Hier wird eine andere Präzision verlangt als sonst, nämlich eine Genauigkeit, die aus der Lockerheit kommt, deswegen ist es gut für die Orchester auch diese Musik zu machen.“ Dies gilt natürlich auch für die Berliner Philharmoniker, die z.B. Bernsteins mitreißende Symphonische Tänze zum ersten Mal überhaupt aufführten – und dabei Metzmachers Einschätzung just bestätigten. So waren die Virtuosen der Philharmoniker nicht in der Lage, das Stück mit tänzerischer Leichtigkeit zu spielen. Lag dies vielleicht an der gleichzeitig zu bewältigenden diffizilen rhythmischen Textur oder der etwas zu akribischen Schlagtechnik des Dirigenten? Wie man wirklich Schwung und Eleganz in eine solche Musik hineinbringt, zeigte das St. Louis Symphony Orchestra unter David Robertson. In Gershwins „Ein Amerikaner in Paris“ konnte man als Zuhörer ganz in die Rolle eines Flaneurs schlüpfen und musikalisch in das quirlige Leben der französischen Großstadt eintauchen, auch erklingen Blues- und Charleston-Melodien aus der Heimat des Komponisten. Die musikalische Interpretation sprühte vor Witz, Raffinesse und swingendem Elan und begeisterte damit die Zuhörer. Die Ouvertüre zu Bernsteins „Candide“ als Zugabe sorgte für einen beschwingten Nach-Hause-Weg. Auch für Ingo Metzmacher muss ein Konzertbesuch übrigens nicht immer in andächtiger Stimmung enden.
„Das Publikum denkt häufig, in einem klassischen Konzert geht es nicht um Spaß, sondern um tiefen Ernst. Aber man weiß ja vom Theater, dass das Heitere am Schwersten herzustellen ist. Ich finde eigentlich Konzerte sehr schön, wo das Publikum auch Zeit hat zu lächeln und sich zu freuen – ohne an die letzten Dinge erinnert zu werden.“
Gesang und Unterhaltung
Der Fokus auf das amerikanische Repertoire ermöglichte auch eine Ausweitung des Musikfests. So waren diesmal nicht nur große Orchester zu Gast, denn allein durch die große Bedeutung des Musicals ist Gesang seit langem ein unverzichtbarer Teil der musikalischen Identität der USA. Mit Gershwins „Porgy and Bess“ und „Nixon in China“ von John Adams wurden zwei der anspruchsvollsten und wichtigsten Musiktheaterstücke Nordamerikas geboten. Gershwins Oper, die in einer szenisch angedeuteten Version an drei Abenden mit den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle und exzellenten schwarzen Sängern sowie dem Chor der Cape Town Opera zu erleben war, entpuppte sich als ein musikalischer Höhepunkt des gesamten Musikfests, jedenfalls war die Philharmonie mit ihren knapp 2500 Sitzplätzen an drei Abenden komplett ausverkauft. Die notwendige Leichtigkeit, wollte sich zwar erneut mit den Philharmonikern so ganz nicht einstellen, da Rattle die musikalischen Fäden vielleicht etwas zu kontrolliert in der Hand hielt, aber dennoch verbrachte man mit dieser Oper einen großartigen Abend. Der musikalische Reichtum von Gershwins Geniestreich ist betörend, denn der Komponist absorbierte eine Fülle von Stilen und Kompositionstechniken wie Blues, Jazz und Klezmer. Gleichzeitig arbeitete Gershwin mit chromatischen Skalen und Ganztonskalen, würzte seine Musik mit bitonalen Harmonien und lieferte zugleich im Broadwaystil einen wunderbaren Wechsel von effektvollen Gesangs- und Tanznummern. All dies ist in ein opernsinfonisches Gefüge verwoben, das sich durchaus mit Alban Bergs Wozzeck, dessen Partitur Gershwin genau studiert hatte, messen kann. Bei dieser Oper handelt es sich also, wenn man so will, um U-Musik auf höchstem Niveau.
50 Jahre später, 1985, komponierte John Adams mit „Nixon in China“ eine Oper, die vor allem mit der Technik der Minimalmusic den heutigen Zeitgeist in zugleich schöner, wie entlarvender Musik einfängt. In einer konzertanten Version leitete Adams selbst die Aufführung mit szenischen Elementen, und zwar zusammen mit dem BBC Symphony Orchestra, den BBC Singers sowie darstellerisch überzeugende Gesangssolisten. Die Musik von Adams macht Spaß. Und genau dadurch reflektiert sie am Beispiel dieses historischen Staatsbesuchs - der ja 1972 tatsächlich zwischen Mao und Nixon stattfand - wie sehr Politik durch das Diktat von Entertainment in der Mediengesellschaft sowie dem scheinbaren Zwang zu einfachen Formeln verflacht. Die repetitiven und eingängigen musikalischen Patterns werden in den Arien entweder mit sehr reduzierten Textaussagen oder mit übertriebenem Geschwätz unterlegt, so wird die Oberflächlichkeit politischer Worthülsen besonders wirkungsvoll dargestellt. Politik gerät - wie so häufig - zur Trivialität, hier zählt Fassade mehr als Inhalt. Schönberg hatte Recht, es gibt tatsächlich noch viel gute Musik in C-Dur zu komponieren. Bei Adams wird die plakative Tonalität zum wirkungsvollen Ausdrucksmittel für Sarkasmus und Ironie.